Die Umzugspläne internationaler Großbanken nach dem Brexit werden immer konkreter. In den kommenden Wochen dürfte bei vielen Instituten die finale Entscheidung fallen, von welchem Standort aus sie künftig ihr EU-Geschäft betreiben werden. Denn der Druck auf die Banken steigt: Am heutigen Mittwoch will die britische Premierministerin Theresa May das formelle Austrittsgesuch in Brüssel einreichen. Damit würde Großbritannien im März 2019 aus der EU ausscheiden – und London als Bankenmetropole an Attraktivität verlieren.
In den Banken laufen die Brexit-Vorbereitungen deshalb auf schon Hochtouren: Potentielle Ausweichstandorte werden im Hinblick auf Länderrating, Regulatorik, Infrastruktur, Immobilienpreise sowie weiche Standortfaktoren wie Sprache und Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften analysiert.
Dabei spielt die Aufstellung des eigenen Hauses (wo verfügt die Bank bereits über Lizenzen?) ebenso eine Rolle wie interne Lobbyarbeit: Die jeweiligen Länderchefs wollen die Stellung der eigenen Niederlassung innerhalb der Bank-Gruppe aufwerten und pitchen für den eigenen Standort, wie zu hören ist. Nach aktuellem Stand könnten Frankfurt und Dublin die größten Gewinner eines sogenannten harten Brexit sein, bei dem Großbritannien den Zugang zum EU-Binnenmarkt verliert und in London ansässige Banken damit ihren EU-Pass.
Citi, Goldman Sachs und JP Morgan liebäugeln mit Frankfurt
Die Main-Metropole Frankfurt steht dank ihrer Nähe zur EZB-Bankenaufsicht und dem guten deutschen Länderrating vor allem bei den amerikanischen Großbanken hoch im Kurs: Die Citigroup, die hierzulande aktuell 350 Mitarbeiter beschäftigt, erwägt, Frankfurt zum wichtigsten Standort für ihr Handelsgeschäft in der EU zu machen. Konkurrent JP Morgan soll bereits große Flächen im Frankfurter Taunusturm angemietet und sich Optionen auf weitere Etagen gesichert haben, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) berichtet.
Goldman Sachs hat laut Europachef Richard Gnodde sogar schon damit begonnen, einige hundert Arbeitsplätze aus der Londoner City auf das europäische Festland zu verlagern. Frankfurt könnte nach einem Brexit zum Haupt-Drehkreuz der US-Investmentbank innerhalb der EU werden, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Derzeit ist Goldman Sachs mit 200 Mitarbeitern und einer Vollbanklizenz in Frankfurt tätig.
Doch nicht nur die amerikanischen Investmentbanken schauen auf Frankfurt: Auch bei der Schweizer UBS soll die deutsche Finanzmetropole Favoritenstatus haben, schreibt die „Financial Times“. Die Zeitung zitiert Hubertus Väth, Geschäftsführer der Lobby-Vereinigung Frankfurt Main Finance, mit den Worten, neben drei US-Großbanken wisse er von einem Schweizer, einem japanischen, einem koreanischen, einem indischen und einem chinesischen Institut, die allesamt größere Pläne für Frankfurt hätten.
Credit Suisse, Barclays und Standard Chartered tendieren zu Dublin
Bei der Credit Suisse, der Bank of America Merrill Lynch, Barclays und der Royal Bank of Scotland – die ihr Geschäft außerhalb der Heimatmärkte erst vor zwei Jahren radikal eindampfte – hat Medienberichten zufolge dagegen Dublin die Nase vorn. Die irische Hauptstadt punktet vor allem mit der sprachlichen und der kulturellen Nähe zu London.
Standard Chartered soll ebenfalls mit einer Stärkung der Dubliner Niederlassung liebäugeln. Nach FINANCE-Informationen hat aber auch Frankfurt noch gute Karten bei der britischen Bank. Das Management werde zeitnah eine finale Entscheidung treffen, ist zu hören.
Konkurrent HSBC hat sich dagegen für Paris entschieden: Etwa 20 Prozent der Handelsumsätze würden nach dem Brexit in die französische Hauptstadt gehen, kündigte Konzernchef Stuart Gulliver bereits im Januar an. Die ebenfalls britische Lloyds überraschte vor einigen Wochen mit der Ankündigung, ihr Büro in Berlin aufzuwerten. Auch Madrid, Warschau und Luxemburg machen sich Hoffnungen, von einem Brexit zu profitieren.
EZB-Bankenaufsicht nimmt Brexit-Verlagerer in die Pflicht
Der Druck auf die Banken steigt nun. Denn mit dem offiziellen Austrittsgesuch der Briten beginnt heute die Zwei-Jahres-Frist für die Brexit-Verhandlungen. Länger darf der Prozess laut EU-Regeln nicht dauern. Die Verlagerung von Bankaktivität – insbesondere wenn sie mit der Beantragung neuer Lizenzen verbunden ist – kostet aber viel Zeit und Geld.
Die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) hat daher in dieser Woche schon einmal gewarnt: Zwar werde es bankenspezifische Übergangszeiten geben, um sicherzustellen, dass alle Banken die Anforderungen erfüllen, kündigte Sabine Lautenschläger an. Die Vize-Chefin der EZB-Bankenaufsicht betonte aber auch, man werde genau überwachen, wie Banken ihre Aktivitäten im Euroraum aufstellen: „Wir werden nur gut kapitalisierten und gut geführten Banken Lizenzen gewähren.“ Ein gegenseitiges Ausspielen von nationalen und europäischen Aufsichtsregimen solle es nicht geben.
Auch deutsche CFOs dürften genau darauf schauen, wie sich ihre Banken künftig aufstellen, könnten doch bei einem harten Brexit für die Finanzabteilung wichtige Bankdienstleistungen rund um Risiko- und Liquiditätsmanagement nicht mehr aus London heraus betrieben werden. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage der FINANCE-Schwesterpublikation DerTreasurer: Nach dem Risikomanagement sehen die rund 85 Befragten die größten Auswirkungen eines Brexit im Umgang mit ihren Banken.
Warum dies insbesondere das Hedging trifft und welche Folgen der Brexit für Kapitalmarktregulierungen haben könnte, das beleuchtet ein aktuelles Positionspapier des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Der vollständige Report steht für registrierte My-FINANCE-Leser in unserer White Paper Library kostenlos zum Download zur Verfügung.
desiree.backhaus[at]finance-magazin.de
Info
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