Herr Hamprecht, Sie warnen davor, dass Banken im Geschäft mit kleinen und mittelständischen Unternehmen künftig Marktanteile an Fintechs verlieren könnten. Warum glauben Sie das?
Die Anforderungen der kleineren und mittleren Firmenkunden an ihre Banken haben sich geändert. Früher haben die Unternehmen Wert auf Schnelligkeit und gute Preise für Finanzdienstleistungen gelegt. In Zeiten des billigen Geldes fällt der Preis als Differenzierungsmerkmal aber weitestgehend aus. Heute muss die Leistung der Bank dazu beitragen, das operative Geschäft des Unternehmens zu verbessern. Der Wert geht über die reine Finanzdienstleistung hinaus – damit wird der Spielraum für Wettbewerber größer.
Wer sind die Wettbewerber aus Ihrer Sicht?
Es gibt drei Kategorien: Die erste Kategorie bilden Neo-Banken wie etwa N26 oder Revolut. Sie bieten Unternehmen eine schnelle und einfache Anbindung an, die Kommunikation erfolgt komplett digital. Die zweite Kategorie sind Fintechs, wobei ich diese nur in Teilen als Gefahr einstufen würde. Denn einige Banken haben Fintech-Angebote in ihre Produktpalette für Geschäftskunden integriert. Die dritte Kategorie bilden Plattformen wie beispielsweise we.trade.
Moment, we.trade wurde von Banken gegründet, um die Handelsfinanzierung für KMUs zu erleichtern und in Logistikprozesse zu integrieren. Die Plattform ist doch kein Wettbewerber, sondern eine Antwort der Banken auf die neuen Anforderungen der Kunden.
Ja und nein. Einerseits zeigt dieser Ansatz, dass Banken reagieren. Andererseits besteht durch solche Plattformen die Gefahr, dass Banken in den Hintergrund gedrängt werden und die Sichtbarkeit zum Kunden verlieren. Das würde die Margen der Banken weiter schmälern.
Accenture: Vollabdeckung ist kein Wert mehr
In einer KfW-Studie von Anfang 2019 gaben 93 Prozent der befragten KMUs an, eine Hausbank zu haben – und das seit durchschnittlich 20 Jahren. Das klingt nicht, als würde sich der Mittelstand auf breiter Front von den traditionellen Banken abwenden.
Eine Abkehr auf breiter Front erleben wir auch – noch – nicht, aber die enge Bindung vieler Unternehmen an ihre Hausbank bröckelt. Die Kunden kaufen Finanzdienstleistungen differenzierter ein. Größe und Vollabdeckung, die die Hausbank bietet, stellen keinen Wert mehr da. Das Problem für die Banken ist, dass die profitabelsten Services zuerst verloren gehen werden.
Welche sind das?
Dazu gehört beispielsweise die Lieferantenfinanzierung, die Geldanlage – wo Anbieter wie Scalable für Konkurrenz sorgen – oder der Zahlungsverkehr mit Fremdwährungen. Dort locken Anbieter wie Transferwise mit mehr Transparenz und geringeren Gebühren. Viele dieser Anbieter haben im Privatkundengeschäft begonnen, den nächsten logischen Wachstumsschritt bietet nun das Business mit kleinen und mittleren Firmenkunden.
„Das Problem für die Banken ist, dass die profitabelsten Services zuerst verloren gehen werden.“
Commerzbank setzt auf Pay-per-Use-Kredit
Wie sollten Banken Ihrer Meinung nach darauf reagieren?
Zwei Dinge sind überlebenswichtig: Es braucht Produkte, die der Kunde einfach in seine eigenen Unternehmensabläufe integrieren kann. Und das Produkt muss einen Zusatznutzen über die reine Finanzdienstleistung hinaus bringen. Ein positives Beispiel liefert etwa der Pay-per-Use-Kredit der Commerzbank, bei dem die Tilgungsrate von der Nutzung der Maschine abhängt. Das liefert einen echten Mehrwert. Leider gibt es aber zu wenige solcher Beispiele in der Industrie.
Kann das nicht auch daran liegen, dass die Nachfrage deutscher Mittelständler nach solchen digitalen Kreditprodukten einfach noch sehr begrenzt ist? Die Nutzung solcher Angebote setzt schließlich auch Investitionen bei den Unternehmen voraus.
Das ist richtig. Aber über kurz oder lang wird die Digitalisierung dazu führen, dass die Nachfrage nach solchen Produkten steigt. Dafür müssen die Banken gerüstet sein.
Zerfällt der Markt für Finanzdienstleistungen?
Bringen diese Produkte neue Erlösquellen für die Banken oder geht es nur darum, das eigene Geschäft gegen Angreifer zu verteidigen?
„Ein Produkt wie der Pay-per-Use-Kredit amortisiert sich nur über die Zahl der Kunden, die dieses Angebot nutzen.“
Ich glaube nicht, dass die Kunden bereit sind, für solche Services mehr Geld zu bezahlen. Den Banken wird es nur dann gelingen, im Geschäft mit kleinen Firmenkunden mehr Geld zu verdienen, wenn sie es schaffen, weitere Kunden zu gewinnen. Ein Produkt wie der Pay-per-Use-Kredit amortisiert sich nur über die Zahl der Kunden, die dieses Angebot nutzen. Das Gleiche gilt für viele andere digitale Bankservices auch: Marktanteile und die Auslastung der Systeme sind entscheidend.
Für die ertragsschwachen deutschen Banken ist das eine schlechte Nachricht. Dort lautet das Credo eher sparen als investieren, die Aktionäre wollen endlich Ergebnisse sehen.
Ja, es wird spannend sein, diese Entwicklung zu verfolgen. Ich habe zwei extreme Szenarien im Kopf: In der Utopie gelänge es den deutschen Banken durch ihre Kenntnisse der deutschen Unternehmenslandschaft sich perfekt digital in die Endkundenprozesse ihrer Firmenkunden zu integrieren und damit fest im Firmenkundengeschäft verankert zu bleiben. In der Dystopie zerfällt der Markt komplett in Einzelleistungen und Produkte, die von spezialisierten Anbietern zur Verfügung gestellt werden. Zugegeben, das ist sehr pessimistisch. Aber ich sehe darin eine reale Gefahr.