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Prüferrotation: Ein Wechsel mit Hindernissen

Um im Zuge der Abschlussprüferreform einen neuen Wirtschaftsprüfer auszuwählen, müssen Unternehmen viele Hürden meistern.
nensuria/iStock/Getty Images

So hatte sich die Finanzabteilung von Delticom das sicher nicht vorgestellt: Der börsennotierte Online-Reifenhändler hat vor kurzem seinen Abschlussprüfer gewechselt – und musste daraufhin zweimal die Vorlage seiner Geschäftszahlen für 2018 verschieben. „Es hat sich gezeigt, dass der ursprünglich angenommene Zeitrahmen für die Aufstellung und Prüfung der Abschlüsse von Delticom und KPMG zu optimistisch eingeschätzt wurde“, räumt das Unternehmen ein.

Speziell die Besonderheiten des E-Commerce-Geschäfts und die Software-gesteuerte Verarbeitung von Geschäftsvorfällen stellten KPMG dabei offenbar vor Herausforderungen. Seit dem Börsengang 2006 hatte PwC immer die Bilanzen des Reifenhändlers geprüft, scheinbar problemlos. Delticom wollte sich gegenüber FINANCE zu dem Fall nicht äußern. Erst Ende Juni wurde die Prüfung für das Geschäftsjahr 2018 schließlich abgeschlossen.

Frischer Abschlussprüfer – mit Risiko

Der Grund für den Prüferwechsel bei Delticom war die 2016 in Kraft getretene gesetzliche Abschlussprüferrotation, wegen der kapitalmarktorientierte Unternehmen, die sogenannten Public Interest Entities, kurz PIEs, ihr Prüfmandat nach spätestens zehn Jahren neu ausschreiben müssen. Deshalb ist das Thema Prüferwechsel für einen Großteil der betroffenen Unternehmen völliges Neuland: Bisher hatte man in der Regel seit Jahrzehnten dieselbe WP-Gesellschaft im Haus.

Der Wechsel stellt Unternehmen wie Prüfer vor Herausforderungen, schließlich kannten sich beide gut. Reibungsverluste treten zwar auf jeden Fall auf, eine solche Panne wie bei Delticom möchte jedes Unternehmen aber tunlichst vermeiden. „Wenn ein neuer Prüfer einen frischen Blick auf die Bilanzen wirft, kann es schon passieren, dass man längere Abstimmungsrunden drehen muss“, sagt Christian Herold von FAS, der Unternehmen bei der Ausschreibung von Prüfmandaten berät.

Man könne das Risiko zwar mindern, indem man bereits beim Auswahlprozess über allgemeine Bilanzierungsfragen spreche. „Doch die wirklich kritischen Fragen kommen häufig erst bei der richtigen Prüfung auf, wenn man ins Detail geht“, gibt der Berater zu bedenken. Er hält es daher für zentral, genügend Zeit für den gesamten Prozess der Ausschreibung, Auswahl und Einarbeitung einzuplanen, um für Unerwartetes Puffer zu haben.

Hella hat sich viel Zeit für Prüferrotation genommen

Viel Zeit für den Wechsel hat sich Fuchs Petrolub genommen. Die Mannheimer, die auf die Herstellung und den Vertrieb von Schmierstoffen spezialisiert sind, haben rund 18 Monate eingeplant, berichtet Finanzchefin Dagmar Steinert. Bereits im März 2017 hat das MDax-Unternehmen die Ausschreibung im Bundesanzeiger veröffentlicht, im Mai 2018 wurde der Prüfer von der Hauptversammlung gewählt. Doch begonnen hatte die Arbeit schon im Oktober 2016, so Steinert: „Wir haben zuvor mit dem Prüfungsausschuss das Konzept sowie den Zeitrahmen erarbeitet und eine Scorecard mit Kriterien aufgestellt, die uns beim neuen Prüfer wichtig sind.“

Ähnlich vorgegangen ist der Automobilzulieferer Hella, der sich rund anderthalb Jahre Zeit für den gesamten Prozess genommen hat. „Zu unseren im Vorfeld definierten Auswahlkriterien gehörten unter anderem die Branchenkenntnisse des Prüfers, die Größe sowie das Netzwerk, das Prüfungsteam und der Prüfungsansatz sowie das Honorar“, berichtet Karsten Voß, der den Prüferwechsel bei dem MDax-Unternehmen aus Lippstadt als Head of Corporate Financial Accounting begleitet hat.

FINANCE-Köpfe

Dagmar Steinert, Fuchs Petrolub SE

Dagmar Steinert beginnt nach ihrem Studium der Betriebswirtschaft ihre Karriere als Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin bei PwC. Nach diversen leitenden Funktionen bei PwC sowie bei Rheinmetall wechselt sie 2013 zu Fuchs Petrolub.Dort arbeitet sie zunächst als Head of Investor Relations. Im Januar 2016 wird sie zur CFO des Unternehmens befördert und verantwortet die Ressorts Finanzen & Controlling, Investor Relations, Compliance, Interne Revision, IT, Recht & Steuern. Von 2008 bis 2015 ist sie außerdem Mitglied im Aufsichtsrat der Automobilsparte von Rheinmetall KSPG. Seit 2016 ist sie Mitglied im Beirat der LBBW (Landesbank Baden-Württemberg). Seit Dezember 2017 gehört Steinert dem Aufsichtsrat von ZF Friedrichshafen an.

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Im Vorfeld konkrete Kriterien zu definieren, die einen durch den kompletten Auswahlprozess begleiten, empfiehlt auch Berater Herold. „Die Unternehmen müssen am Ende einen Bericht für den Auswahlprozess vorlegen, aus dem transparent hervorgeht, dass er fair abgelaufen ist – das kann man anhand einer Scorecard gut dokumentieren.“

Fuchs Petrolub hätte KPMG noch behalten dürfen

Auch der Zeitpunkt für den Wechsel muss gut gewählt sein. So hätte Fuchs Petrolub seinen bisherigen Prüfer KPMG eigentlich noch zwei weitere Jahre behalten dürfen, bevor ein Wechsel ansteht. „Wir haben aber bewusst früher ausgeschrieben, um nicht zu einer Zeit zu suchen, zu der es die meisten anderen Unternehmen tun“, erklärt Finanzchefin Steinert. „So wollten wir uns unter anderem das beste Team sichern.“ Tatsächlich ist es so, dass ein Großteil der deutschen kapitalmarktorientierten Unternehmen bis spätestens 2020/21 den Prüfer wechseln muss, so dass sehr viele Auswahlprozesse ein bis zwei Jahre vorher stattfinden.

Und es gibt noch einen Aspekt, den Unternehmen bei dem Zeitpunkt der Ausschreibung im Blick behalten müssen: Die Cooling-in-Phase des neuen Prüfers. „Im Geschäftsjahr, bevor der neue Abschlussprüfer seine Arbeit aufnimmt, darf er bei dem Unternehmen bestimmte Beratungsleistungen nicht mehr erbringen“, betont Christian Herold von FAS. Deshalb sollte man idealerweise ein Jahr vor Verpflichtung schon wissen, wer der neue Prüfer sein wird, damit dieser seine Beratungsservices zurückfahren kann oder gar nicht erst dafür engagiert wird.

Next Ten trauen sich Big-Four-Mandate zu

Nachdem ein Unternehmen die Ausschreibung im Bundesanzeiger veröffentlicht hat, erfolgt meistens ein mehrstufiger Auswahlprozess, bei dem nach und nach Wettbewerber ausscheiden. Sowohl bei Fuchs Petrolub als auch bei Hella haben sich insgesamt acht WP-Häuser beworben. Offensichtlich haben also nicht nur die sogenannten Big Four (KPMG, PwC, Deloitte und EY) an der Ausschreibung teilgenommen, sondern auch die sogenannten Next Ten, also mittelständische Prüfungsgesellschaften.

Das scheint auf den ersten Blick keineswegs selbstverständlich, denn gerade Unternehmen aus dem Dax und MDax wählen in aller Regel ohnehin nur eine der Big-Four-Gesellschaften, weil diese wegen ihrer Größe und dem weltweiten Netzwerk die beste Leistung versprechen. „Um eine gewisse Auswahl zu haben, gehen Unternehmen häufig auch direkt auf die mittelständischen Häuser zu und bitten sie um eine Teilnahme“, hat Herold beobachtet.

Dem kommen die Next Ten offenbar nach – doch es stellt sich die Frage, ob sich die zeit- und kostenintensive Bewerbung für sie tatsächlich lohnt. „Kleinere Wirtschaftsprüfer haben durchaus auch Chancen, gerade wenn sie über ein weltweites Netzwerk verfügen“, versichert Karsten Voß von Hella, auch wenn sich der Autozulieferer dieses Mal mit PwC für ein Big-Four-Haus entschieden hat. Im Zuge der Prüferrotation hat bisher aber noch kein Next-Ten-Haus ein MDax-Mandat ergattern können. Laut Herold gibt es aber noch einen anderen Grund, warum die mittelständischen Prüfer dennoch an den Ausschreibungen teilnehmen: „Sie bekommen dadurch eine gewisse Sichtbarkeit und können sich nachgelagert für prüfungsnahe oder andere Beratungsleistungen empfehlen.“

Wie wichtig ist das Honorar beim Prüferwechsel?

Auf Basis der ersten Bewerbungen müssen die Unternehmen schließlich eine engere Auswahl treffen. Fuchs Petrolub beispielsweise hat dazu Vorabfragebögen an alle acht Interessenten geschickt, „um sicherzustellen, dass ihre Leistung unseren Ansprüchen an die Abschlussprüfung genügt“, berichtet CFO Dagmar Steinert. Von den sechs, die diesen beantwortet haben, wurden drei in die nächste Runde eingeladen und zu einem konkreten schriftlichen Angebot aufgefordert.

Parallel dazu gab es außerdem eine Infoveranstaltung, bei welcher die drei Wirtschaftsprüfer detaillierte Fragen zum Unternehmen stellen konnten. „Darüber hinaus gab es keinen individuellen Kontakt. Es war uns wichtig, dass alle Bewerber immer den gleichen Informationsstand haben“, sagt Dagmar Steinert.

Die zwei ausgewählten Häuser – PwC und EY – mussten in einer letzten Runde noch eine Präsentation vor dem Prüfungsausschuss halten, um von sich zu überzeugen. „Erst jetzt haben wir auch das Honorar abgefragt“, sagt Finanzchefin Steinert und führt den Grund dafür an: „Ich bin überzeugt, dass ein Wirtschaftsprüfer erst mit einer tieferen Kenntnis über das zu prüfende Unternehmen verlässlich einschätzen kann, wie hoch das Honorar sein müsste.“ Außerdem wollte man sicherstellen, dass eine Entscheidung nicht nur aufgrund einer Honorarhöhe, sondern vor allem wegen der Prüferqualität getroffen werde. Am Ende des Auswahlverfahrens fiel die Wahl schließlich auf PwC.

Hella: Prüfer KPMG wird zum Berater

Auch Hella hat seine Entscheidung über ein mehrstufiges Auswahlverfahren getroffen. Es gab aber noch eine Besonderheit bei dem Autozulieferer: Die Lippstädter hätten ihren damaligen Prüfer KPMG sogar erneut wählen dürfen, weil KPMG das Unternehmen erst seit zehn Jahren geprüft hatte. In diesem Fall darf man sich – nach einem Auswahlverfahren – noch mal für den alten Prüfer entscheiden.

Diesen muss man aber nach spätestens zehn weiteren Jahren endgültig wechseln, so die Vorschrift. Somit hatte sich auch KPMG am Verfahren beteiligt. Häufig entscheiden sich in so einem Fall Unternehmen gegen einen Wechsel, weil sie die Einarbeitung scheuen. „Es gab tatsächlich auch die klare Option, unseren bisherigen Prüfer wiederzuwählen, sofern er sich gegen die Wettbewerber durchsetzt“, sagt Karsten Voß von Hella. „Wir wollten aber auch bewusst den Markt sondieren und schauen, welche Unterschiede es bezüglich Dienstleistungen oder Prüfungsgebühren gibt.“

Ins Finale kamen am Ende KPMG und PwC – die Wahl fiel dann auf PwC. Das Big-Four-Haus war bisher als Steuerberater bei Hella tätig, einen Teil dieser Dienstleistung hat inzwischen KPMG übernommen. Dass der frühere Prüfer zum neuen Berater wird, ist nicht ungewöhnlich, immerhin kennt er das Unternehmen durch die jahrelange Prüfungstätigkeit wie kein anderer. Finanziell lohnt sich dies meist auch: Die Tagessätze in der Beratung sind häufig wesentlich höher als die Tagessätze in der Prüfung.

Der letzte Schritt beim Prüferwechsel ist die Einarbeitung des neuen Dienstleisters. Laut Christian Herold von FAS machen das viele Unternehmen in Form eines Shadowings: Der neue Prüfer geht parallel zum alten mit, nimmt an Besprechungen teil und wird in Vorprüfungen eingebunden. So hat es beispielsweise Bayer beim Wechsel von PwC zu Deloitte gemacht. Das läuft zwar meist auf Kosten des Prüfers, ist jedoch in die Honorare eingepreist.

Ist ein Shadowing beim Prüferwechsel sinnvoll?

Aber sowohl Fuchs Petrolub als auch Hella haben sich gegen diese Variante entschieden. Beide argumentieren mit zu hohen Kosten und einem zu hohen Aufwand für die Mitarbeiter, mit zwei Prüfern parallel zu kommunizieren. „Es gab ein ausführliches Übergabegespräch zwischen KPMG und PwC, das war ausreichend“, sagt Fuchs-Petrolub-Finanzchefin Dagmar Steinert. Dass die Prüfung im ersten Jahr dann doch aufwendiger ist und länger dauern kann, ist ihrer Meinung nach normal: „Natürlich gab es auch die ein oder andere Diskussion über bilanzielle Sachverhalte, aber keine wirklich strittigen Fälle.“

Anders als bei Delticom. Doch selbst in diesem Fall gab es letztlich noch ein Happy End. Zwar legte der Online-Reifenhändler die Ende Juni veröffentlichten Geschäftszahlen mit drei Monaten Verzug vor, aber KPMG erteilte ein uneingeschränktes Testat.

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Info

Die Prüferrotation ist für die Wirtschaftsprüfer Chance und Risiko zugleich. Lesen Sie mehr dazu auf unseren Themenseiten Big Four und Next Ten.

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.