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Wirecard: Kommt die Trennung von Prüfung und Beratung?

Der Bilanzskandal bei Wirecard hat wieder eine Diskussion ausgelöst: Müssen Prüfung und Beratung stärker getrennt werden?
picture alliance/dpa/Tobias Hase

Eine Äußerung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz in einem F.A.Z.-Interview vor wenigen Tagen sorgt für viel Unmut in den Reihen der Wirtschaftsprüfer: „Wir müssen auch überlegen, ob es funktioniert, wenn eine Gesellschaft ein Unternehmen gleichzeitig berät und prüft.“

Es geht mal wieder um die altbekannte Frage, ob und wie Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsleistungen voneinander getrennt werden müssen. Sie kocht immer wieder hoch, wenn Bilanzskandale passieren – jetzt sind die Vorkommnisse bei Wirecard der Anlass. Der Prüfer EY hatte vor drei Wochen das Testat für den Geschäftsbericht 2019 verweigert, weil er nicht ausreichend Belege für 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten finden konnte. Kritiker monieren, dass EY dies schon viel früher hätte erkennen müssen, denn inzwischen mehren sich die Hinweise, dass die Bilanzungereimtheiten bei Wirecard viele Jahre zurückreichen könnten. 

Wiederholt sich die Causa Enron?

Bereits nach den großen Bilanzskandalen der 2000er Jahre wie Enron, Parmalat und Flowtex wurde die Trennung von Prüfung und Beratung diskutiert. In Deutschland lagen zwei Optionen auf dem Tisch: Zum einen die radikale Form mit einer Aufspaltung in rechtlich voneinander komplett unabhängige Prüfungs- und Beratungseinheiten. Die betroffene Gesellschaft würde dadurch deutlich kleiner, und beide Einheiten müssten sich selbst finanziell tragen, was vor allem im Prüfungsgeschäft angesichts der niedrigen Honorare schwierig wäre.

Die zweite ist die mildere Variante, bei der die Gesellschaft weiterhin Prüfung und Beratung anbieten darf, aber die Beratung bei einem Unternehmen, das man gleichzeitig prüft, verboten oder eingeschränkt ist. Die Sorge hinter diesen Vorschlägen: Da die Beratungshonorare die der Prüfung deutlich überschreiten, könnte ein Wirtschaftsprüfer beim Testat ein Auge zudrücken, weil er fürchtet, den Beratungsauftrag zu verlieren. 

Nach erfolgreicher Lobby-Arbeit konnte die Branche die gefürchtete Aufspaltung in reine Prüf- und Beratungseinheiten allerdings abwehren. Stattdessen wurde nur eine Einschränkung der Beratung bei Prüfkunden eingeführt. Mit seiner Aussage scheint Olaf Scholz diesen Kompromiss jetzt allerdings infrage zu stellen.

Naumann: „Keinen Sinn, die Beratung einzuschränken“

„Ich sehe generell keinen Sinn darin, die Beratung beim Prüfkunden noch weiter einzuschränken, als es jetzt der Fall ist“, meint Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW. Das IDW vertritt die Interessen der Wirtschaftsprüfer.

Die Beschränkungen sind klar: Das Honorar, das ein Unternehmen seinem Prüfer für Beratungsleistungen zahlt, darf nicht höher sein als 70 Prozent des durchschnittlichen Honorars für die Abschlussprüfung in drei aufeinanderfolgenden Jahren – damit soll sichergestellt werden, dass die Einnahmen aus Prüfung und Beratung nicht zu sehr aus dem Gleichgewicht geraten. Zudem gibt es eine Liste an Beratungsleistungen, die ein Abschlussprüfer bei einem Klienten auf keinen Fall durchführen darf.

Vielen ist das zu lasch. In einer Mitteilung mit dem Titel „Lehren aus dem Fall Wirecard“ fordert die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK): „Ein Unternehmen, das Beratungsleistungen erbringt, darf nicht auch prüferische Tätigkeiten für dasselbe Unternehmen erbringen. Beratungs- und Prüfungsleistungen müssen von zwei rechtlich wirtschaftlich verschiedenen Unternehmen erbracht werden.“

EY hat bei Wirecard nur wenig beraten

Sollte sich die Ansicht der SdK durchsetzen, fordert Naumann, dass es unbedingt eine Neudefinition dessen geben müsse, was Beratung ist: „Die Prüfung der Quartalsberichte zum Beispiel wird von der Prüferaufsicht grundsätzlich als Beratung definiert. Wenn das in Zukunft verboten wäre, müssten sich die Unternehmen für den Blick auf ihre Zwischenberichte einen neuen Wirtschaftsprüfer suchen, was völlig unsinnig wäre.“

Unabhängig davon stellt sich im Fall Wirecard aber auch die Frage, was ein Verbot der Beratung durch den Prüfer EY überhaupt gebracht hätte. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass EY aufgrund seiner Beratungsleistungen befangen gewesen sein könnte. Laut Geschäftsbericht 2018 kassierte EY insgesamt 2,3 Millionen Euro für seine Leistungen bei Wirecard, nur 300.000 Euro davon für Beratung. Ähnlich war es 2017, und auch in den Jahren davor war der Anteil des Beratungshonorars an der Gesamtsumme, die EY erhielt, recht gering. Der Geschäftsbericht 2019 liegt bekanntlich noch nicht vor.

Auch wenn vielleicht bei manchen Bilanzskandalen aus der Vergangenheit der Interessenskonflikt wegen hoher Beratungshonorare durchaus eine Rolle gespielt haben mag, scheint das doch im aktuellen Fall bei Wirecard nicht so zu sein. Trotzdem ebben die Diskussionen zu einer Trennung von Prüfung und Beratung in Deutschland nicht ab.

Wegweisende Entscheidung für Big Four in UK

Pikanterweise setzt sich in Großbritannien der Zug gerade genau in die Richtung in Bewegung, die die Kritiker hierzulande nach dem Wirecard-Debakel fordern. Nach mehreren Bilanzskandalen auf der Insel, zum Beispiel bei dem Baukonzern Carillion, wurde dort seit 2018 erbittert über eine Zerschlagung der Big Four diskutiert. Vor wenigen Tagen kam die Entscheidung des Financial Reporting Council (FRC): Eine Aufspaltung in rechtlich eigenständige Einheiten soll es zwar nicht geben, aber Prüfung und Beratung sollen operativ voneinander getrennt werden. „Man kann sich das so vorstellen, dass Prüfung und Beratung als zwei getrennte Silos mit einem jeweils eigenem Board aufgestellt sind“, meint Klaus-Peter Naumann vom IDW.

„Ziel der Trennung ist es, sicherzustellen, dass sich die Prüfungstätigkeiten vor allem auf die Durchführung qualitativ hochwertiger Prüfungen im öffentlichen Interesse konzentrieren und nicht auf anhaltenden Quersubventionen durch den Rest des Unternehmens beruhen“, heißt es in der Begründung. Der Hinweis zu den Quersubventionen kann so gedeutet werden, dass sich nun jeder Bereich wirtschaftlich selbst tragen muss, obwohl es hier keine Trennung in rechtlich eigenständige Einheiten geben wird.

Die Big Four müssen in Großbritannien nun bis Oktober einen Plan vorlegen, wie sie das umsetzen wollen, ab Juni 2024 gilt die neue Regelung. Bemerkenswert ist, dass diese Regelung nur für KPMG, PwC, Deloitte und EY gilt, nicht aber für andere Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. Auffällig ist auch, dass die Big Four sich in britischen Medienberichten sehr positiv zu der Reform äußern und diese in vorauseilendem Gehorsam teilweise sogar schon jetzt umsetzen – zu groß ist offenbar die Erleichterung darüber, dass das FRC keine komplette rechtliche Aufspaltung oder den Verkauf des Beratungsgeschäfts verlangt.

Aufspaltung wäre eine Katastrophe für Big Four

Denn für die Big Four wäre das eine Katastrophe – auch in Deutschland. Rund um den Globus haben die Big Four in den vergangenen Jahren ihre Beratungsgeschäfte massiv ausgebaut. In Deutschland macht das Beratungsgeschäft (inklusive Steuerberatung) bei KPMG, EY und PwC inzwischen schon über 65 Prozent vom Umsatz aus, bei Deloitte sind es sogar fast 75 Prozent. Doch auch für die mittelständischen Gesellschaften (Next Ten) wäre ein Verlust des Beratungs- oder des Prüfgeschäfts sehr problematisch.

Aber würde so ein radikaler Einschnitt überhaupt etwas bringen? „Wenn es um die reine Steigerung der Qualität in der Abschlussprüfung geht, wäre eine Abtrennung von Beratung nicht der richtige Ansatz“, meint etwa Jörg Hossenfelder, geschäftsführender Gesellschafter beim Marktforschungsunternehmen Lünendonk & Hossenfelder.

„Die komplexen internationalen Geschäftsmodelle und -prozesse vieler Konzerne können heutzutage nicht monokausal betrachtet werden. Der integrierte Prüfungs- und Beratungsansatz ist für den Mandanten und den Prüfer essentiell, um einen umfassenden Blick auf bilanzielle, steuerrechtliche und juristische Zusammenhänge zu erhalten.“ Das Problem: Die Prüfteams setzen sich meist aus verschiedenen Experten mit unterschiedlichem Know-how zusammen, was dann fehlen würde.

Während die Diskussion in Großbritannien schon geführt ist, fängt sie in Deutschland gerade erst an. Und die Aussage von Olaf Scholz macht deutlich, dass in alle Richtungen gedacht wird.

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Info

KPMG, PwC, Deloitte und EY stehen schon länger in der Kritik für ihre Beratungsleistungen. Mehr dazu finden Sie auf unserer Themenseite zu den Big Four. Mit unserer Themenseite zu Wirecard bleiben Sie außerdem zum Bilanzskandal auf dem Laufenden.

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.