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Integrated Reporting: Worum es wirklich geht

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In Südafrika ist Integrated Reporting seit 2010 Pflicht. Die dort gemachten Erfahrungen sind interessant – auch für deutsche Unternehmen.
stillwords/Thinkstock/Getty Images

Als neuer Maßstab für die unternehmerische Berichterstattung wird derzeit „Integrated Reporting“  heiß diskutiert. Immer noch aber zögern viele Unternehmen, dieses Rahmenkonzept in ihre Strukturen zu implementieren. Das Hauptargument: Integrierte Berichterstattung könne leicht dazu führen, dass die Unternehmensstrategie der Konkurrenz offengelegt wird. Höchste Zeit also zu zeigen, dass die wesentliche  Idee  hinter Integrated Reporting eigentlich „Integrated Thinking“ ist! Das allerdings erfordert eine unternehmerische Kompetenz, die weit über die Grundidee von Integrated Reporting hinausgeht.

Ursprünglich wurde Integrated Reporting als neuer Maßstab für die Berichterstattung entworfen, um dem wachsenden Nebeneinander Herr zu werden. Heute müssen Unternehmen eine Vielfalt von Informationen verarbeiten und in einer Vielzahl von Berichten veröffentlichen. Entscheider ächzen unter der hohen Komplexität, während Investoren und andere Stakeholder sich schwer tun, sich ein vollständiges Bild von den Ressourcen, Aktivitäten und Ergebnissen der Unternehmen zu machen.

Das Integrated Reporting versucht, die für den Unternehmenserfolg relevanten Ressourcen zu erfassen, unterteilt in finanzielles, produziertes, intellektuelles, personelles, soziales und natürliches Vermögen. Sicher kann man das als Overkill bezeichnen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass das Rahmenkonzept nur darstellt, was ein Unternehmen alles tun könnte, um seine Berichterstattung zu integrieren, nicht aber, was es tun muss– zumindest nicht in Deutschland.

Integrated Reporting: Die südafrikanische Erfahrung

In Südafrika ist das anders, und das eröffnet uns interessante Einblicke. Bereits seit 2010 müssen börsennotierte Unternehmen in Südafrika Integrated Reporting in ihrer Berichterstattung umsetzen. Eine umfassende Befragung von „Senior Executives“ dortiger Firmen aus 2014 zeigt auf, dass 72 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass der neue Fokus auf Integration in der Berichterstellung dazu führt, dass Unternehmen sich intensiver und reflektierter mit dem Prozess ihrer strategischen Zielsetzung auseinandersetzen. 68 Prozent meinten sogar, die erzeugte Transparenz führe dazu, dass sich die Kultur der eigenen Organisationen so verändert habe, dass Umwelt und Nachhaltigkeit eine explizite Rolle in der Festlegung strategischer Ziele spielen.

Trotzdem nahmen ganze 58 Prozent der befragten Unternehmen die Veröffentlichung strategischer Zielsetzungen nur skeptisch im Angriff, aus Sorge, eventuell vertrauliche Informationen der Konkurrenz preiszugeben. Fazit: Die südafrikanischen Unternehmen haben sich zwar mit dem Konzept des Integrated Reporting irgendwie angefreundet,  aber mit seinem eigentlichen Leitgedanken – Integrated Thinking – haben sie  bisher noch nicht viel anfangen können. Ist das auch in Europa und in Deutschland so?

Fallstudien aus europäischen Unternehmen, die Integrated Reporting eingeführt haben, wie zum Beispiel Eni in Italien oder SAP in Deutschland, zeigen, dass europäische Unternehmen das Integrated Reporting sehr unterschiedlich angehen und darstellen. Positiv kann man das so sehen: Unternehmen im Euro-Raum setzen sich mit Integrated Reporting differenziert auseinander, weil sie es sich (mangels einer regulativen Verpflichtung) noch leisten können, sich Gedanken darüber zu machen, wie man sich mittels integrierter Berichterstattung mit externen Interessenten in Dialog bringt.

Damit sind wir bei der eigentlichen Kernproblematik dieses Rahmenkonzeptes angekommen: Integrated Thinking erfordert Kompetenz weit über das hinaus, was für die einfache Darstellung von Integrated Reporting nötig wäre. Integrated Thinking soll den Unternehmen helfen, ein neues Wesentlichkeitskriterium aufzustellen und zu handhaben.

Worum es bei Wirecard und Ströer eben auch geht

Und darum geht es: Unternehmerische Aktivitäten erzeugen immer eine Außenwahrnehmung in der Öffentlichkeit. Es ist kein Geheimnis, dass die Wertschöpfung eines Unternehmens gefährdet wird, wenn es negativ wahrgenommen wird. Daher ist es so wichtig, die Außenwirkung in der Öffentlichkeit entscheidend mit zu prägen.

Zunächst hängt die Wahrnehmung eines Unternehmens von der Wertevorstellung des Betrachters ab.  Utilitaristisch sind wir alle. Dennoch schauen wir nicht alle nur auf das Ergebnis eines Unternehmens. Aktivistische Investoren zum Beispiel fokussieren sich oft auf die Handlungen eines Unternehmens – wie der Konflikt zwischen Wirecard und dem US-Researchdienst Zatarra gerade zeigt. Auch bei der Hedgefondsattacke auf Ströer geht es um vermeintlich unethische Geschäftspraktiken.

Für Unternehmern sind die unterschiedlichen ethischen Sichtweisen ihrer Stakeholder kein Phänomen, das sie akzeptieren müssen, wie es ist – und notfalls eben zurücktreten, wenn die Konflikte zu schwer werden.  Mit Integrated Thinking soll dieses undankbare Rollenspiel verändert werden.  Aber was ist eigentlich mit integrativem Denken gemeint beziehungsweise wie soll es seine Wirkung entfalten?

Vor allem geht es darum, die Interdisziplinarität des Unternehmertums  zu erfassen. Selbstverständlich basiert eine Firma nach wie vor auf Ressourcen und unternimmt verschiedene Aktivitäten, um daraus Profite zu erzeugen. Dennoch ist jedes Unternehmen auch Teilhaber und Träger unserer Gesellschaft.  Integrated Reporting versucht insbesondere diese Rolle in den  Blickpunkt zu rücken. Es präsentiert uns, dass wir in Zukunft von einem viel breiter aufgestellten Wesentlichkeitskriterium in der Bewertung und Prüfung eines Unternehmens ausgehen sollten, als es heute der Fall ist. In Amerika wurde dieses Thema bereits diskutiert.

Integrated Reporting: Die ideale Basis für Kommunikation?

Das Financial Accounting Standards Board (FASB) hat vor kurzem kommuniziert, dass „Materialität” kein Konzept der Rechnungslegung, sondern ein legalistisches Konzept ist. In den USA bedeutet dies ganz konkret, dass per Definition jede Art von Information prinzipiell als materiell einzuschätzen ist, insofern nachweisbar ist, dass das Fehlen einer Teilinformation die Gesamtinformation eines Unternehmens in ihrer Darstellung verändern würde.

Früher wurde immer nur davon ausgegangen, dass eine Information dann als materiell  anzusehen war,  wenn diese Information die Darstellung eines Unternehmens als Einheit verändert hätte. Der Unterschied ist immens, weil nun nicht mehr das Unternehmen in Fokus stehen soll, sondern seine Kommunikation (die sich in der Tat in den USA oft  auf das sogenannte 10K-Formular beschränkt, das die Geschäftslage eines Unternehmens nur durch grobe Zahlen erkennen lässt).

In Zukunft werden Unternehmen sich also immer wieder mit dem Wesentlichkeitskriterium auseinandersetzen müssen, indem sie sich selbst die Frage stellen, inwieweit ihre Kommunikation insgesamt das Kriterium der Wesentlichkeit bedient. Das ist knifflig, denn: Wie soll man dies wissen? Sicher ist, dass es nicht nur reichen wird, einen Bericht zu veröffentlichen, der wie eine bunte Balanced Scorecard daher kommt. Vielmehr geht es darum, die Kohärenz zwischen der Außen- und Selbstwahrnehmung eines Unternehmens herzustellen.  

Um diese Aufgabe zu meistern, müssen Unternehmen zusammen mit ihren Stakeholdern intensiver miteinander in Dialog gehen als vorher. Das Ziel von Unternehmenslenkern muss es sein, mit den Stakeholdern in einen realen und relevanten Dialog zu treten und auf diese Weise deren Erwartungshaltungen so zu moderieren, dass Kohärenz mobilisiert werden kann. Dafür sind zwei Dinge unbedingt erforderlich: ein „Opposable Mind“ und ein Chief Value Officer. Darauf komme ich im nächsten Blog zu spreche, wo ich mich auch mit der Frage auseinandersetzen werde, inwiefern es möglich ist, unternehmerische Zielsetzungen zu berichten, ohne sich selbst zum Opfer der Konkurrenz zu machen.

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Niels Dechow seziert die Ängste der CFOs vor den Tücken des verhaltensorientierten Controllings – und fragt, was die modernen Unternehmensprozesse für die Pflichten und Verantwortungen der einzelnen Mitarbeiter bedeuten. Seinen letzten Beitrag zum Lernpotenzial des VW-Skandals für Controller lesen Sie hier.