„Qualifizierter Aufsichtsrat“ – mit diesem Prädikat können sich seit diesem Monat erstmals acht deutsche Aufsichtsräte und Mandatsanwärter schmücken. Die Deutsche Börse prüfte in einem neuen Zertifizierungsprogramm ihr Wissen über die gesamte Bandbreite der Aufsichtsratsarbeit, das sie zuvor in einem zehntätigen Lehrgang auffrischen mussten: von rechtlichen Rahmenbedingungen über Kommunikationspflichten bis hin zu Rechnungslegung und Risikomanagement. Die Börse will so die Wissensdefizite der Aufsichtsräte, die sich insbesondere in der Finanzkrise offenbarten, abbauen. „Wir wollen einen einheitlichen Standard zur Qualifikation der Aufsichtsräte etablieren“, erklärt Michaela Kundlich, Koordinatorin der Zertifizierungsinitiative. Vor allem sei die Zertifizierung aber auch ein Signal an Unternehmen und Investoren, das bei der Auswahl geeigneter Kandidaten helfen solle.
Seitdem die Bundesregierung vor drei Jahren die Professionalisierung der Aufsichtsräte im Bilanzierungsmodernisierungsgesetz, besser bekannt als BilMoG, festschrieben hat, entstehen überall Schulungsangebote, die auf eine Tätigkeit im Kontrollgremium vorbereiten sollen. Ob Beratungshäuser, Wirtschaftsprüfer oder Bildungseinrichtungen – die Angebote sind vielfältig. Das zeigt zwar, dass Unternehmen – und auch Aufsichtsräte selbst – sich der Bedeutung ihrer Qualifikation immer mehr bewusst sind, inwieweit solche Programme aber tatsächlich zur Verbesserung der Corporate Governance beitragen, ist bisher noch unklar. „Allein der Erwerb eines Zertifikats macht sicherlich aus einem Aspiranten noch keinen guten Aufsichtsrat“, sagt Marc Steffen Rapp, BWL-Professor und Co-Direktor des Center for Corporate Governance an der Handelshochschule Leipzig.
Daniela Weber-Rey, Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und Partner bei Clifford Chance, hält noch viel weniger von Zertifizierungen: „So wichtig es für den Einzelnen ist, sich weiterzubilden, besteht doch die Gefahr, dass diese Programme eine Scheinsicherheit schaffen und man sich zu sehr auf sie verlässt.“ Sie empfiehlt stattdessen endlich mehr dafür zu tun, um Aufsichtsratsmandate attraktiv für Finanzexperten zu machen.
Netzwerk und Karriere
Seit BilMoG muss eigentlich in jedem Aufsichtsrat ein Finanzexperte sitzen. Doch vielen Unternehmen fällt es derzeit schwer, diese Position zu besetzen. Im Moment gebe es noch nicht genügend Finanzexperten, die dazu bereit sind, ein Aufsichtsrat anzunehmen, sagt Weber-Rey: „Wir müssen mehr Fachleute aktivieren – nicht zuletzt durch eine Vergütung, die dem gestiegenen zeitlichen Aufwand und der höheren Haftung angemessen ist.“ Längst trifft sich der Aufsichtsrat nicht mehr nur noch an den gesetzlich vorgeschriebenen vier Terminen im Jahr.
Besonders CFOs sind gefragt. Laut Richard Vincent, Executive Director bei der Personalberatung Coleridge and Valmore, bringen sie das für den Aufsichtsrat nötige Gesamtpaket mit: „Sie können nicht nur Zahlen analysieren und haben eine strategische Perspektive, sie wissen auch, wie man transparent mit Stakeholdern kommuniziert.” Trotz der geringen Vergütung sei es sehr attraktiv für CFOs sich in einen Aufsichtsrat wählen zu lassen: „Sie lernen andere Unternehmen kennen und bauen ihr Netzwerk aus. Das hilft bei weiteren Karriereschritten.“ Und verbessert damit auch die Chancen auf einen CEO-Posten.