Vor wenigen Wochen hat in Astrid Hermanns Leben ein neues, aufregendes Kapitel begonnen: Seit Anfang des Jahres ist sie Vorständin des Konsumgüterherstellers Beiersdorf. Noch verantwortet sie kein eigenes Ressort, sie soll im Laufe des Jahres aber die Nachfolge der amtierenden Finanzchefin Dessi Temperley antreten, die den „Nivea“-Hersteller nach Ablauf ihres Dreijahresvertrags verlassen wird.
Der Stuhl des Beiersdorf-CFOs ist in den vergangenen Jahren zu einem der wackeligsten im Dax geworden: Seit 2015 wird Hermann nach Jesper Andersen und Temperley die dritte CFO des Hamburger Traditionskonzerns. Die Berufung von Hermann zur Finanzchefin ist ein riesiger Karriereschritt, aber es lauern zahlreiche Fallstricke, die sie umgehen muss.
Beiersdorf: Hermann fehlt IR-Erfahrung
Die neue Beiersdorf-CFO hat nämlich nicht den typischen Werdegang eines Dax-CFOs: Die 47-Jährige war seit 2004 für den Beiersdorf-Konkurrenten Colgate-Palmolive tätig, zuletzt als Vizepräsidentin des Nordamerikageschäfts. Zuvor agierte sie unter anderem als Finanzdirektorin für die Region Zentralwesteuropa und als Leiterin Finanzen für die Colgate-Palmolive-Tochter Tom’s of Maine. Bei früheren Stationen hat sie sich im Colgate-Palmolive-Konzern vor allem in den Bereichen Budget und Planung verdient gemacht, auch bei Integrationsprojekten.
Gesamtverantwortung als Konzern-CFO sucht man in Hermanns Lebenslauf jedoch vergeblich. Auch deshalb sehen einige Beobachter den Sprung zur Dax-Finanzchefin kritisch: „Wenn jemand noch nicht CFO mit Gesamtverantwortung war, ist es immer das gleiche: Er oder sie muss erst einmal beweisen, dass sie der Aufgabe gewachsen sind“, sagt Heiner Thorborg, der seit über 40 Jahren Vorstände in Deutschlands höchster Börsenliga platziert.
„Als CFO eines Dax-Konzerns sind mehrjährige Kapitalmarkterfahrungen unabdingbar.“
„Basierend auf den Informationen aus dem Lebenslauf von Frau Hermann ist der Schritt zur Dax-CFO riesig“, findet der Headhunter, der Beiersdorfs neue Finanzchefin nicht persönlich kennt. „Als CFO eines Dax-Konzerns sind mehrjährige Kapitalmarkterfahrungen – Investor Relations eingeschlossen – unabdingbar. Insofern verwundert mich die Wahl etwas.“
Dass Hermann kaum Erfahrung in der Investorenkommunikation aufweisen kann, verwundert tatsächlich, ist ein gutes Standing am Kapitalmarkt doch ungemein wichtig für einen Dax-CFO. Laut einer Beiersdorf-Sprecherin hat Hermann als VP of Finance North America für Colgate-Palmolive eng mit dem Chief Investor Relations Officer an kapitalmarktrelevanten Themen zusammengearbeitet. Auch in ihrer früheren Position als Associate Finance Director für Corporate Budget & Planning war die Zusammenarbeit mit der IR fester Bestandteil ihrer täglichen Arbeit. Ob ihre IR-Kompetenz damit Dax-tauglich ist und ob sie auch in der Lage dazu ist, Investoren zu begeistern, wird Hermann nun zeigen müssen.
Temperley arbeitet Astrid Hermann ein
Gleichwohl müssen mangelnde Kenntnisse in einzelnen Bereichen kein Ausschlusskriterium sein, vermutlich sieht Beiersdorf ungenutztes Potential bei seiner neuen CFO. Zudem wird Hermann in den kommenden Monaten noch von ihrer Vorgängerin Temperley angelernt. Die amtierende Finanzchefin hat ausgiebige Erfahrung im Bereich Investor Relations, leitete vor ihrem Wechsel zu Beiersdorf den IR-Bereich des Nahrungsmittelriesen Nestlé.
Bis auf weiteres wird Temperley für das Finanzressort sowie die Vorbereitung und Bekanntgabe des Geschäftsergebnisses 2020 verantwortlich sein, heißt es seitens Beiersdorf. Im Februar will Beiersdorf verkünden, wann genau Hermann die Finanzen von der Bulgarin übernehmen soll. Fest steht: Hermann wird bald auf eigenen Beinen stehen müssen.
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Dominante Familie Herz im Aufsichtsrat
Die designierte Finanzchefin wird in den kommenden Monaten außerdem noch ein Gespür für die Eigenarten des Beiersdorf-Konzerns entwickeln müssen. Beiersdorf ist zwar Dax-Mitglied, funktioniert in vielerlei Hinsicht aber wie ein Familienunternehmen. Über die Dachgesellschaft Maxingvest hält die Familie Herz über 51 Prozent der Beiersdorf-Anteile.
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Der Beiersdorf-Eigner steht in dem Ruf, durchaus aktiv ins operative Geschäft einzugreifen und sich nicht mit einer rein kontrollierenden Funktion zufrieden zu geben. Die Herz-Familie ist seit den Siebzigerjahren Anteilseigner bei Beiersdorf, Wolfgang Herz vertritt die Interessen derzeit im Aufsichtsrat, nachdem sich sein Bruder Michael im vergangenen Frühjahr überraschend zurückgezogen hat. Aufsichtsratschef ist der als Herz-Vertrauter geltende Reinhard Pöllath. Mit Frédéric Pflanz ist auch der Maxingvest-Finanzchef Teil des Kontrollgremiums.
Letztlich kann der angehenden neuen Finanzchefin dieses Konstrukt aber auch zugutekommen: Beiersdorf ist nicht so kapitalmarktgetrieben wie andere Großkonzerne, leichtere Schwächen in der Investorenkommunikation könnten daher nicht so schwer wiegen.
Dennoch muss Hermann sich das Selbstvertrauen und Standing einer Dax- oder MDax-CFO erarbeiten, um dem Aufsichtsrat um die Familie Herz sowie CEO Stefan De Loecker Paroli bieten zu können. Vorgängerin Dessi Temperley wurde in Medienberichten immerhin vorgeworfen, dem Konzern nicht ausreichend ihren Stempel aufgedrückt zu haben. Hermann wird schnell lernen müssen, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden.
Jakob Eich ist Redakteur der Fachzeitungen FINANCE und DerTreasurer des Fachverlags F.A.Z Business Media, bei dem er auch sein Volontariat absolviert hat. Eich ist spezialisiert auf die Themen Digitalisierung im Finanzbereich und Treasury. Durch seine Zwischenstation bei der Schwesterpublikation „Der Neue Kämmerer“ ist 1988 geborene Journalist auch versiert beim Thema Kommunalfinanzen. Erste journalistische Erfahrungen hat der gebürtige Schleswig-Holsteiner in den Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr sowie in der Sportredaktion der Hamburger Morgenpost gesammelt.