Aufgrund der Coronavirus-Pandemie hat sich die Situation für Finanzfachkräfte auf Jobsuche zuletzt deutlich verschlechtert. Wie der aktuelle Hays-Fachkräfteindex zeigt, ist die Anzahl der ausgeschrieben Stellen im zweiten Quartal dramatisch eingebrochen. Für Bewerber wird es demnach noch wichtiger, sich gut zu positionieren und die eigenen Stärken bestmöglich zu betonen. Doch mit welchen Fähigkeiten kann man denn derzeit besonders punkten?
Für Varta-CFO Steffen Munz gehören Cash- und Liquiditätsmanagement, Working Capital und ein breites Spektrum an Erfahrungen mit Finanzierungsinstrumenten aktuell zu den Muss-Kriterien im Corporate-Finance-Bereich. Zudem sollten Bewerber bereits Kreditverhandlungen mit Banken gemeistert haben – eine Fähigkeit, die in Krisenzeiten bei vielen Unternehmen gefragt sein dürfte. Auf der Kann-Seite stehen für den MDax-Finanzchef Kenntnisse von Systemen und Tools im Treasury-Bereich.
Neben der passenden Spezialisierung spielt aber auch der Karriereweg der Bewerber insgesamt eine Rolle. Wie gut passen sie zu dem Unternehmen und wie oft haben sie über den eigenen Tellerrand geschaut? Bei Nemetschek-Vorstandssprecher und CFOO Axel Kaufmann muss ein Kandidat beispielsweise neben Fachkompetenz und gutem Verständnis des Geschäftsmodells auch internationale Erfahrung und Persönlichkeit mitbringen. Auch Branchenerfahrung sei gern gesehen, aber kein Ausschlusskriterium.
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Fachübergreifendes Denken gefragt
Auch Klaus Rudolph, Finanzvorstand beim Automobilzulieferer Swoboda, ist neben dem fachlichen Know-how besonders die Persönlichkeit wichtig: „Kommunikationsfähigkeit, Authentizität, Verlässlichkeit, Neugier, Loyalität, soziale Kompetenz und Teamfähigkeit“, zählt er als Muss-Skills auf. Als Kann-Kriterien sieht er Mehrsprachigkeit, Auslandserfahrung, Gewandtheit im Projektmanagement und Mobilität. Auch Detailwissen sei immer gefragt: „Bei den Führungskräften setzt man verstärkt auf Generalisten, während bei der Fachkarriere mehr Spezialisten gesucht werden.“ Junge Bewerber für das Controlling sollten bereits die Themen Digitalisierung und Business Intelligence verstärkt auf ihrer Agenda stehen haben, lässt Rudolf wissen.
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Hoffmann-CFO Annette Stieve, die spätestens im Oktober als Finanzchefin beim SDax-notierten Industriekonzern Norma anfängt, erwartet von ihren Bewerbern cross-funktionales, unternehmerisches und fachbereichübergreifendes Denken, sowie einen ständigen Optimierungswillen. „Finance-Leute müssen Service-Dienstleister, aber auch permanente Antriebsfedern des Gesamtunternehmens sein“, sagt die erfahrene Finanzmanagerin. Die eigene Rollenauffassung dürfe nicht die eines reinen Reporters und Datensammlers, sondern die eines Gestalters und Analytikers sein.
Welche Fähigkeiten wegen Corona wichtiger werden
Norma Group
Die derzeitige Ausnahmesituation hat den Fokus auf gewisse Skills nochmal verändert, wie die Finanzexperten berichten. „Sicherlich treten zur jetzigen Zeit Cash-, Treasury- und Controlling-Themen in den Vordergrund“, sagt Annette Stieve. Zukunftsszenarien zu erstellen und modellieren zu können, sei ebenso wichtig wie belastbare Forecasts anzufertigen. Auch für Steffen Munz steht derzeit die Szenario-Planung ganz klar oben auf der Qualifikationsliste. Daneben sind Belastbarkeit und das Arbeiten im Krisenmodus gefordert. Für Nemetschek-CFOO Axel Kaufmann sind hingegen Kommunikation und Flexibilität die beiden derzeit stärker gefragten Attribute.
Eine Einschätzung die der selbstständige Interim-CFO Sven Schneider teilt. Durch den steigenden Home-Office-Anteil sei die Fähigkeit der Schnittstellenkommunikation und das Denken in übergreifenden Prozessen deutlich wichtiger geworden. „Wer arbeitet was zu, und wie und wann wird mein Input benötigt und verarbeitet?“ Diese Fragen müssen sauber geklärt werden.
Das habe nicht überall immer gut geklappt: „In meiner Wahrnehmung sind während Corona die Schwächen einzelner Mitarbeiter und Führungskräfte stärker sichtbar geworden, während in Präsenzzeiten diese Schwächen durch kurze Kommunikationswege mit Kollegen ausgeglichen werden konnten“, meint Schneider, der bei verschiedenen Industrieunternehmen wie Chemetall oder dem Kunststoffspezialisten Schlemmer tätig war.
Muss der Bewerber vor Ort sein?
Grundsätzlich sind sich die Finanzmanager aber einig, dass sich das Arbeiten im Home-Office bewährt habe und auch nach Covid-19 stärker genutzt werden dürfte. Über das zukünftige Ausmaß gibt es jedoch unterschiedlich Meinungen. So berichten Personaldienstleister wie Robert Half bereits über eine aufgelockerte Standortpflicht dank der erfolgreichen Heimarbeit. Auch Headhunter und CFO-Veteran Paul Taaffe kann bereits über Beispiele berichten: „Wir haben ein neues Interim-Projekt in Bremen und dort arbeiten Leute von Frankfurt aus zu und fliegen lediglich zu wichtigen Meetings dorthin.“ Auch bei den Festanstellungen könne er sich dies, abhängig vom Job-Typ, durchaus vorstellen. Allerdings würden sich die meisten Firmen immer noch wohler fühlen, wenn der Kandidat nicht ganz so weit weg wohnen würde.
Für Axel Kaufmann und Annette Stieve käme lediglich eine Mischform zwischen flexiblem Arbeitsplatz und Büroalltag in Frage. „Weder Mitarbeiter noch Unternehmen sehen ein 100-prozentiges Home Office als ideal an“, gibt Stieve ihre Erfahrung wieder. Die Antworten der CFOs zeigen deutlich: Die Akzeptanz für Home Office steigt, aber Bewerber sollten sich nicht darauf einstellen, dass in den Finanzabteilungen deutscher Unternehmen grundsätzlich keine Präsenzpflicht mehr gilt.
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Varta-Finanzchef Munz lässt sich für FINANCE zumindest auf ein Planspiel ein und unterscheidet dabei ganz klar zwischen den Finanzabteilungen. „Einer transaktionalen Tätigkeit, also standardisierte, repetitive Prozesse wie beispielsweise in der Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung, kann jemand bei guter digitaler IT-Infrastruktur auch vom Home Office aus nachgehen.“ Anders sehe es hingegen im Controlling aus, wo mehr Interaktion notwendig sei und daher aus seiner Sicht eine Vor-Ort-Präsent erforderlich sei.
Info
Alles zu den Karrieren der Finanzvorstände Steffen Munz, Axel Kaufmann, Klaus Rudolph,Sven Schneider und Paul Taaffe erfahren Sie auf dem jeweiligen FINANCE-Köpfe-Profil.