Coronakrise – war da was? Zahlreiche Indikatoren des heute veröffentlichten neuen FINANCE Private Equity Panels zeigen gravierende Veränderungen gegenüber der vorherigen Befragung im Frühjahr. Zweimal im Jahr führt FINANCE zusammen mit der Kanzlei CMS diese Umfrage unter mehreren Dutzend verschiedenen Private-Equity-Häusern durch, und jetzt zeigt sich: Das Coronavirus könnte Private Equity die beste Kaufgelegenheit seit fast einem Jahrzehnt verschafft haben.
Dieser Ansicht ist zumindest die deutliche Mehrheit der befragten Investment-Manager. Sie schätzen die Kaufpreise als so attraktiv ein wie seit 2012 nicht mehr. Folglich sehen sich 87 Prozent von ihnen im Moment eher als Käufer denn als Verkäufer. Dies ist ein absoluter Rekordwert, der allerdings nicht sonderlich überrascht – wer in der aktuellen Marktlage nicht verkaufen muss, der tut es auch nicht.
Private Equity muss Kompromisse machen
Dies hat zur Folge, dass sich die Qualität des Dealflows in der Breite verschlechtert. Gleichzeitig steigen für Top-Assets tendenziell sogar die Preise. Private-Equity-Manager müssen sich also entscheiden, ob sie dazu bereit sind, für gute Unternehmen auch mehr zu bezahlen oder ob sie sich trauen, auch etwas heißere – aber dafür günstigere – Eisen zu schmieden.
Der FINANCE-TV-Talk zur aktuellen Lage
Dass es trotz der Coronakrise im Midmarket bisher noch zu keinem nachhaltig starken Bewertungsrückgang gekommen ist, liegt auch daran, dass an den Finanzierungsmärkten die Spuren des Corona-Schocks zunehmend verblassen: Auf einer Skala von 1 bis 10 legt die Einschätzung der Private-Equity-Manager über den Zugang zu MBO-Finanzierungen um 45 Prozent auf 6,25 Punkte zu, die Finanzierungsbedingungen immerhin um 17 Prozent auf 5,83 Punkte. Vor Corona lagen diesen beiden Werte in etwa bei 8 beziehungsweise 7 Punkten.
Private Equity wagt sich wieder an Zykliker heran
Setzen die Finanzinvestoren ihren Kaufhunger tatsächlich in die Tat um, könnten davon andere Branchen profitieren als in der Vorkrisenzeit. So hat sich die Software- und IT-Branche über den Sommer zum neuen Private-Equity-Liebling gemausert: Mit 8,71 Punkten zieht sie auf der Attraktivitätsliste stramm an dem bisherigen Private-Equity-Favoriten Healthcare (mit jetzt 8,08 Punkten) vorbei. Der Software-Sektor, insbesondere Unternehmen im Bereich Cloud-Technologie, gilt als eine der großen Gewinner-Branchen in der aktuellen Krise.
„Earn-outs sind kein Allheilmittel, gerade derzeit nicht.“
Aber auch Nahrungsmittelhersteller und Telekomanbieter können stark zulegen, sogar zyklische Branchen wie Maschinenbau und Chemie verzeichnen eine Erholung. Automotive hingegen verharrt weit abgeschlagen – und ohne neues Interesse zu wecken – auf dem letzten Platz dieses Rankings. Selbst flexible Kaufpreisregelungen wie zum Beispiel Earn-outs können daran nicht viel ändern, glaubt der Private-Equity-Anwalt Tobias Schneider, Partner bei CMS: „Earn-outs sind kein Allheilmittel, gerade derzeit nicht. Häufig ist noch gar nicht absehbar, wie tief die Corona-bedingten Bremsspuren in den Unternehmensbilanzen sein werden.“
Carve-outs: Die große M&A-Chance 2021
Dass Maschinenbau und Chemie zulegen, kann auch als Vorbereitung auf eine anstehende M&A-Welle gewertet werden. Drei Viertel der FINANCE-Panelisten sehen in Carve-outs von Großkonzernen eine besonders attraktive Investmentchance für 2021.
Dass es in erster Linie nicht die Healthcare- oder Softwarekonzerne sein werden, die Randgeschäfte abstoßen werden, ist absehbar. Dafür stehen gerade in den Corona-gebeutelten klassischen Industriebereichen viele Konzernchefs unter Druck, ihre Unternehmen schlanker zu machen oder über den M&A-Markt frisches Geld hereinzuholen.
Aber auch Carve-out-Deals werden für Private Equity kein Selbstläufer. Hier stehen die Finanzinvestoren im Wettbewerb mit spezialisierten Turnaround-Investoren, deren Kerngeschäft über Jahre hinweg brach lag und die sich durch Corona nun ebenfalls gute Investment-Chancen ausrechnen, auch bei profitablen Konzerntöchtern. So oder so gilt: Wenn die Carve-out-Welle käme, stünde Private Equity als Käufer bereit. Variable Kaufpreisregelungen könnten der Schlüssel sein, diese Art von Deals tatsächlich über die Ziellinie zu bringen, sagte CMS-Partner Jacob Siebert heute in einem Interview mit FINANCE-TV.