Der Markt für Künstliche Intelligenz (KI) läuft auf Hochtouren: In den USA und in China werden reihenweise Unternehmen gekauft, die Systeme mit selbstlernenden Algorithmen entwickeln oder nutzen. So kaufte Apple im vergangenen Jahr das Start-up Silk Labs, das Systeme entwickelt, die visuelle und akustische Erkennung in Echtzeit liefern – Systeme, die unter anderem in Smart-Home-Produkten ihre Anwendung finden könnten.
Laut der Beratungsagentur Hampleton Partners lag der globale Marktwert von KI-Unternehmen im vergangenen Jahr bei 21,5 Milliarden Dollar – und der Berater prognostiziert, dass der Marktwert in den nächsten sechs Jahren auf 190 Milliarden Dollar anschwellen wird. Alle Welt scheint vom KI-Hype gepackt – doch wie sieht das in Deutschland aus?
1. These: Bei KI-Unternehmen verschwimmen die Grenzen
Auf den ersten Blick merkt man in Deutschland wenig von dem Hype. Zählte die US-Investmentbank JP Morgan 2018 über alle Branchen hinweg 461 M&A-Deals bundesweit, kommt Hampleton im selben Zeitraum auf gerade einmal ernüchternde 4 M&A-Deals in der KI-Branche. Darunter fällt zum Beispiel der Kauf von Simi Reality Motion Systems – einem Münchener Hersteller von intelligenten 3D-Bewegungsanalysesystemen – durch den Autozulieferer ZF Friedrichshafen.
Doch man muss genauer hinschauen, meint Julian Riedlbauer, Partner bei dem M&A-Berater und Technologie-Investor GP Bullhound. „Es gibt eine Schwierigkeit bei der Auswertung von M&A-Deals, bei denen KI-Unternehmen involviert sind: Es ist keineswegs klar, in welches Branchensegment man KI-Unternehmen überhaupt einordnet.“ Ob diese Firmen Softwareunternehmen sind oder doch ihren Produkten nach zugeordnet werden sollten – wie autonome Fahrsysteme der Automobilbranche – ist demnach keine leicht zu beantwortende Frage.
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„Hinzu kommt, dass es reine Softwareunternehmen gibt, deren Produkte auf KI-Basis arbeiten, aber auch sogenannte kommerzielle Deeptech-KI-Unternehmen, die KI-Algorithmen und KI-Grundlagen-Technologie anbieten“, differenziert Riedlbauer. Diese Unterscheidung könnte auch einer der Gründe sein, weshalb kommerzielle KI-Deals in Deutschland durch das Raster fallen und die Statistik hierzulande verfälschen – unter dem Radar scheint der Hype demnach also auch Deutschland nicht unberührt zu lassen.
2. These: Kommerzielle KI-Targets sind attraktiver
Dieser Hype umfasst allerdings kaum reine Entwicklerunternehmen, sondern speziell kommerzielle KI-Targets, wie etwa den Karlsruher Softwareentwickler Blue Yonder, der vor einem Jahr vom US-Wettbewerber JDA gekauft wurde. Blue Yonder nutzt KI, um das Kaufverhalten von Kunden zu analysieren und speist die Ergebnisse dann in die eigene Supply-Chain-Software ein. Diese Software hilft dem Geschäftskunden dann, seine Wertschöpfungskette zu optimieren.
„Strategische Investoren sind weniger an Entwicklerteams oder KI-Experten interessiert“, erläutert Riedlbauer. „Vielmehr halten sie Ausschau nach ready-to-market-Produkten oder schon kommerziell erfolgreichen Basistechnologien, die sich unkompliziert in ihr bestehendes Business integrieren lassen.“ Noch relativ selten werden in Deutschland reine KI-Deals getätigt.
Und da die Technologien aktuell – anders als noch vor einigen Jahren – in ihrer Entwicklung reif genug sind, wagen viele KI-Unternehmen nun den Eintritt in den Markt. „Die auf KI-Technologien basierten Softwarefirmen können heute teilweise riesige Datenmengen sammeln, auswerten und vor allem nutzen. Gerade dieser Technologievorsprung macht sie als Target extrem attraktiv“, begründet der M&A-Berater die Entwicklung.
3. These: Die Bewertung von KI-Targets ist schwierig
Es gibt jedoch eine Krux an der Sache: Immer noch gibt es viel zu wenige vergleichbare Deals, der passende Kaufpreis ist dementsprechend schwierig zu beziffern. Klar ist allein: KI-Targets werden immer attraktiver – und teurer. Das bedeutet für die Kaufinteressenten: Sie haben zwar massive Schwierigkeiten, zu einer fairen Kaufpreisbewertung ihrer Targets zu kommen, dürfen aber nicht zu lange zögern, weil ihnen sonst die Preise davonzulaufen drohen.
Drei Überlegungen können aber bei der Herausforderung Bewertung helfen, sagt Riedlbauer: „Zunächst sollte man mit der Peer Group vergleichen. Für welchen Preis wechseln ähnliche Unternehmen den Eigentümer?“ Danach sei der Aspekt ‚time-to-market‘ relevant, also der Zeitpunkt, ab dem ein Produkt am Markt gelauncht werden kann: „Der Käufer muss wissen, wie er von dem Zukauf profitiert – und vor allem, ab welchem Zeitpunkt er mit Synergieeffekten aus dem Deal rechnen kann.“ Entscheidend sei, ob man durch die Akquisition einen Zeit- oder Technologievorsprung oder sogar beides gegenüber seinen Wettbewerbern gewinnt.
Zuletzt bleibt die altbekannte Frage, ob der Deal wirklich notwendig ist. „Letztlich hängt eine Kaufentscheidung stark von den individuellen Interessen des Käufers ab. Daher sollte sich jedes Unternehmen fragen, ob es bereit ist, für das Target einen Begehrlichkeitsaufschlag zu bezahlen – oder ob das gewünschte Wachstum auch mit anderen Mitteln als einem M&A-Deal erreicht werden kann“, rät Julian Riedlbauer.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.