Es ist geschafft: Tui hat seine Kreuzfahrttochter Hapag-Lloyd Cruises an Tui Cruises, ein Gemeinschaftsunternehmen von Tui und dem US-Kreuzfahrtriesen Royal Caribbean, verkauft. Das teilte der von der Coronavirus-Krise schwer getroffene Reisekonzern heute mit, nachdem alle Genehmigungen, einschließlich der Freigabe der Transaktion durch die EU-Kommission, eingeholt werden konnten. Im Rahmen des M&A-Deals wurde Hapag-Lloyd Cruises mit 1,2 Milliarden Euro bewertet. Netto fließen Tui rund 700 Millionen Euro an frischen Mitteln aus der Transaktion zu, wie es in einer Mitteilung heißt.
Hapag-Lloyd Cruises erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr (Stichtag 30. September) bei einem Umsatz von 305 Millionen Euro einen bereinigten Gewinn vor Steuern und Abschreibungen (Ebita) von 43 Millionen Euro. Das Bruttovermögen belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 660 Millionen Euro. Mit dem Verkauf der Gesellschaft verabschiedet sich Tui von einer Flotte bestehend aus zwei Luxusschiffen sowie drei Expeditionsschiffen. Durch die Verlagerung in die Kreuzfahrttochter, die schon sieben noch deutlich größere Schiffe betreibt, erhofft sich Tui Synergieeffekte bei der Bewirtschaftung der Schiffe.
Corona setzt Tui stark zu
Für Tui endet damit ein nervenaufreibendes M&A-Projekt. Die Transaktion unterzeichneten die Unternehmen Anfang Februar, als von der Coronakrise noch kaum etwas zu spüren war. Nur wenige Wochen später legte das Virus die komplette Wirtschaft lahm – wegen des Lockdowns und umfangreichen Reiseeinschränkungen insbesondere die Tourismusbranche. Seit Ende März liegen praktisch alle Kreuzfahrtschiffe weltweit vor Anker.
Die Krise bedeutet für Tuis Finanzchefin Birgit Conix: ein massiver Stellenabbau, Standortschließungen, die Halbierung der Flotte von Tuifly, ein Rating-Downgrade von Moody‘s und nicht zuletzt eine milliardenschwere Staatshilfe. Wie schlimm die Coronakrise Tui tatsächlich getroffen hat, zeigen die Zahlen zum ersten Halbjahr, das bei Tui am 31. März endete. Zwar blieben die Umsatzerlöse mit rund 6,6 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau, doch der bereinigte Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen betrug fast 560 Millionen Euro. Noch im ersten Halbjahr 2019 lag dieser Wert bei knapp 79 Millionen Euro.
FINANCE-Köpfe
Ein großer Unsicherheitsfaktor sind zudem die bereits erfolgten Vorauszahlungen für gebuchte Reisen in Milliardenhöhe, die Tui auf der Bilanz hat. Nach wie vor ist unklar, ob Tui seinen Kunden die Kosten bar erstatten muss, sie in Gutscheine umwandeln kann oder ein staatlich finanzierter Hilfsfonds dafür aufkommt. Allerdings vermeldete der Konzern zuletzt auch wieder leicht steigende Buchungszahlen, was zumindest an dieser Stelle die Situation etwas entspannt.
Tui hat Deal zu „vereinbarten Konditionen“ abgeschlossen
Dennoch kann Tui das frische Geld aus dem Verkauf der Kreuzfahrttochter dringend gebrauchen – zusätzlich zu den KfW-Hilfen, die der Reisekonzern bereits erhalten hat. Wie CEO Fritz Joussen vor rund zwei Wochen außerdem zugab, könnten auch diese finanziellen Mittel nicht ausreichen.
Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb Tui erleichtert sein dürfte. Denn die Coronakrise hatte nicht nur Auswirkungen auf die Geschäfte, sondern auch auf M&A-Deals, die reihenweise abgesagt oder verschoben worden sind. Käufer, die keine Möglichkeit hatten, die Transaktionen zu verschieben oder abzusagen, drängten auf Nachverhandlungen, etwa beim Kaufpreis – vor allem dann, wenn sich die Geschäftssituation beim Target verschlechtert hat. Umso überraschender – und sehr positiv für Tui – ist es, dass „die Transaktion zu den vereinbarten Konditionen“, abgeschlossen wurde, wie Tui in einer Kapitalmarktmitteilung bekräftigt.
Wie geht es weiter mit Tui?
Über den Berg ist Tui mit diesem Deal aber noch nicht, denn es stehen noch viele Fragezeichen über dem Unternehmen. Tui hatte bereits angekündigt, das eigene Portfolio auf den Prüfstand zu stellen, um durch eine Trennung von Geschäftsbereichen möglicherweise weiteres frisches Geld in die Kassen zu holen.
Ein kleiner Schritt in diese Richtung: Anfang Juni erzielte der Reisekonzern eine Einigung mit Boeing zum Ausgleich der Folgen des Flugverbots für die 737 MAX. Über die finanziellen Details der Einigung schweigt Tui. CEO Joussen ließ aber immerhin wissen: „Wir haben eine faire Einigung erreicht. Mit der Vereinbarung erhält Tui einen Ausgleich für den Großteil der durch das Flugverbot der 737 MAX entstandenen Kosten.“ Außerdem wurden Verpflichtungen zur Abnahme bereits bestellter Boeing-Jets weit in die Zukunft verschoben. Alles, was kurzfristig die Kassen füllt oder schont, hilft Tui weiter.
Info
Wie der Reisekonzern die Coronakrise meistert, lesen Sie auf unserer Themenseite zu Tui. Mehr über die Finanzchefin am Ruder erfahren Sie auf dem FINANCE-Köpfe-Profil von Birgit Conix.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.