Der Chemiekonzern Evonik baut sein Spezialitätengeschäft in den Vereinigten Staaten weiter aus und kauft für 210 Millionen US-Dollar (rund 180 Millionen Euro) den Katalysatorspezialisten Porocel aus Texas. Verkäufer sind laut Unternehmensangaben drei ältere, nicht näher genannte Privateigentümer. Laut einer Evonik-Sprecherin hat kein Bieterverfahren stattgefunden.
Die Transaktion soll bis Jahresende abgeschlossen werden und steht noch unter dem üblichen Vorbehalt der Zustimmung der zuständigen Behörden. Rechtlich beraten wurde Evonik von der Kanzlei Baker McKenzie, ein Bankberater war nicht involviert. Den M&A-Deal will Finanzchefin Ute Wolf aus der vorhandenen Liquidität finanzieren, die sich aktuell auf 1,7 Milliarden Euro beläuft.
Der Kaufpreis (Enterprise Value) entspricht dem 9,1-fachen des bereinigten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) des Jahres 2019. Das ist für die Chemiebranche ein hohes Multiple, doch Evonik bezeichnet den Kaufpreis als „attraktiv“, da es sich bei Porocel um „ein qualitativ hochwertiges Katalysatorgeschäft“ handele. Ähnlich formuliert es auch der Deutsche-Bank-Analyst Tim Jones, der den Übernahmepreis angesichts der Qualitäten von Porocel als vergleichsweise günstig erachtet.
Das bringt die Porocel-Übernahme Evonik
Tatsächlich zahlt der Porocel-Deal gleich in mehrere strategische Ziele der Essener ein. Zum einen verfügt Porocel laut Evonik über Technologien zur effizienten Regenerierung von Entschwefelungskatalysatoren. Dies ist gleich in zweierlei Hinsicht ein Wachstumsmarkt: Nicht nur, dass Katalysatoren generell in immer mehr Feldern Anwendung finden – das Recycling ist laut Unternehmensangaben auch um die Hälfte ressourcenschonender als die Neuproduktion.
In Summe traut Evonik den Absatzmärkten von Porocel ein stabiles, weitgehend konjunkturunabhängiges jährliches Wachstumspotential von 4 Prozent zu. Und genau solche robusten Geschäfte stehen seit Jahren weit oben auf der Einkaufsliste des einstmals ausgesprochen zyklischen Chemiekonzerns.
Zum anderen ist Porocel sehr ertragsstark. Im Geschäftsjahr 2019 erzielten die Texaner einen Umsatz von rund 100 Millionen Dollar sowie ein Ebitda von 23 Millionen US-Dollar. Die Ebitda-Marge von 23 Prozent liegt nicht nur über Evoniks Margenziel von 18 bis 20 Prozent, sondern auch weit über der aktuellen Marge von 16,5 Prozent.
FINANCE-Köpfe
Last but not least erspart der M&A-Deal Evonik offenbar auch anstehende Investitionen. Porocel verfügt über freie Produktionskapazitäten, die Evonik nicht nur für das Wachstum von Porocel nutzen will, sondern auch, um dort in Zukunft das bereits bestehende Geschäft mit Festbettkatalysatoren weiter auszubauen. Die Betonung dieses Aspekts in der ausführlichen Begründung des Deals legt nahe, dass Evonik in diesem Bereich sonst selbst Geld für Fabrikerweiterungen hätte in die Hand nehmen müssen.
Nun glaubt Evonik, im Jahr 2025 im Geschäft mit Katalysatoren deutlich über 500 Millionen Euro umsetzen zu können. Wie groß Porocels Anteil daran sein soll, ist offiziell nicht bekannt. Informierten Kreisen zufolge könnte sich dieser aber auf fast die Hälfte belaufen, was ein deutlich höheres Wachstum implizieren würde als die dem Markt zugeschriebenen 4 Prozent.
Evonik verkauft auch zu hohen Multiples
Mit dem Porocel-Deal setzt Evonik seine Einkaufstour in den Vereinigten Staaten fort. 2018 verkündete der MDax-Konzern den Kauf des US-Chemieproduzenten Peroxychem, einen Spezialisten für Reinigungsprodukte auf der Basis von Wasserstoff-Peroxid. Das Ebitda-Multiple lag bei diesem Deal nach langem Hin und her mit den Kartellbehörden sogar bei 9,9x, war am Ende aber niedriger als zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung gedacht.
Zwei Jahre zuvor hatte Evonik für zusammen 4,4 Milliarden Dollar bereits eine große Sparte des US-Konzerns Air Products sowie die Silicasparte des Mischkonzerns JM Huber übernommen. All diese Deals eint das Ziel, dem Konzernportfolio stabil wachsende, margenstarke Spezialchemieprodukte hinzuzufügen.
Evonik entfernt vor allem margenschwache und stark zyklische Töchter aus dem Portfolio.
Gleichzeitig mistet der Konzern sein Portfolio aus und entfernt vor allem margenschwache und stark zyklische Töchter – auch, weil die regelmäßigen Zukäufe von Spezialanbietern sonst kaum möglich wären. CFO Ute Wolf muss eine vergleichsweise hohe Netto-Verschuldung managen, die sich momentan auch aufgrund enormer Pensionsverbindlichkeiten auf das 3,3-fache des bereinigten Ebitda beläuft.
Der bislang wichtigste Verkauf war vor rund anderthalb Jahren die Trennung von dem Methacrylat-Geschäft. Der Finanzinvestor Advent sicherte sich die Sparte für 3 Milliarden Euro. In dem Deal enthalten waren auch Pensionsverpflichtungen in Höhe von 500 Millionen Euro. Trotz der strukturellen Schwächen dieses Geschäftsfelds und obwohl die Gewinne nah an ihrem zyklischen Hoch lagen, konnte Evonik ein Ebitda-Multiple durchsetzen, das mit 8,5x Ebitda fast so hoch lag wie jene Multiples, die der Konzern für den Ausbau seiner Spezialitätengeschäfte zahlt.
Info
Sie ist eine der einflussreichsten deutschen Managerinnen: Erfahren sie mehr über die Evonik-CFO auf dem FINANCE-Köpfe-Profil von Ute Wolf.
Jakob Eich ist Redakteur der Fachzeitungen FINANCE und DerTreasurer des Fachverlags F.A.Z Business Media, bei dem er auch sein Volontariat absolviert hat. Eich ist spezialisiert auf die Themen Digitalisierung im Finanzbereich und Treasury. Durch seine Zwischenstation bei der Schwesterpublikation „Der Neue Kämmerer“ ist der 1988 geborene Journalist auch versiert beim Thema Kommunalfinanzen. Erste journalistische Erfahrungen hat der gebürtige Schleswig-Holsteiner in den Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr sowie in der Sportredaktion der Hamburger Morgenpost gesammelt.