Glückliche Wendung für die Deutsche Börse? Vor fast genau einem Jahr scheiterte die Börse an der Übernahme der Refinitiv-Sparte FXall. Die Londoner Börse (LSE) war ihrem deutschen Pendant mit der Übernahme der gesamte Refinitiv-Gruppe zuvorgekommen. Nun zeichnet sich ab, dass sich die Briten möglicherweise von einem Teil des Portfolios wieder trennen müssen, damit die EU die Refinitiv-Übernahme genehmigt.
Wie die Londoner heute mitteilten, erwägen sie, das Italien-Geschäft um die Mailänder Börse zu veräußern, um die Freigabe für die 27 Milliarden US-Dollar schwere Übernahme des Datenanbieters Refinitiv zu erhalten. Entsprechende Sondierungsgespräche mit potentiellen Käufern würden bereits geführt, so die LSE. Ob es tatsächlich zu einem Deal komme, sei derzeit aber noch vollkommen offen.
Deutsche Börse liebäugelt mit Übernahme der Mailänder
Von einem Verkauf des Italien-Geschäfts könnte die Deutsche Börse profitieren, denn die Eschborner sind schon länger an einer Übernahme der Mailänder Börse interessiert: „Sollte die LSE nach der Übernahme durch Refinitiv die Mailänder Börse losschlagen, würden wir uns das definitiv ansehen“, sagte Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer im Februar dem „Handelsblatt“ zufolge bei der Bilanzpressekonferenz.
An dieser Aussage habe sich trotz der Coronavirus-Pandemie nichts geändert, bestätigte ein Unternehmenssprecher auf FINANCE-Nachfrage. „Wir schauen uns grundsätzlich alle passenden Assets an, die einen vernünftigen Preis haben“, so der Sprecher weiter.
Derzeit ist die Deutsche Börse die fünftgrößte Börse weltweit, mit einer Bewertung von 32 Milliarden Euro. Für M&A-Deals stünden etwa 2 Milliarden Euro „Firepower“ bereit, so CEO Weimer im Februar. Besonders im Blick haben die Eschborner dabei Targets aus den Bereichen Datengeschäft, Handel mit Währungen und Rohstoffen, Fondsservicegeschäft sowie den Anleihehandel.
LSE rechnet mit Refinitiv-Closing Ende 2020
Die Mailänder Börse passt zumindest teilweise in diese Kategorien: Die Italiener sind unter anderem auf die Produktsegmente Aktien, verbriefte Derivate, börsengehandelte Fonds, Anleihen sowie Aktienderivate spezialisiert. Bereits im Jahr 2006 führten die beiden Parteien Übernahmegespräche, unterzeichneten sogar eine Absichtserklärung. Doch die Verhandlungen scheiterten, die Italienische Börse ging nur ein Jahr später für 1,5 Milliarden Euro an die LSE.
Sollte die LSE sich nun tatsächlich von der Mailänder Börse oder gar dem kompletten Italien-Geschäft trennen, ist die Deutsche Börse allerdings nicht der einzige Interessent: Auch der paneuropäische Börsenbetreiber Euronext hatte in der Vergangenheit Interesse am Italien-Geschäft der LSE signalisiert.
Bis eine Entscheidung gefällt ist, könnte aber noch etwas Zeit vergehen, denn die Gespräche mit der EU-Kommission ziehen sich unter anderem wegen der Coronavirus-Pandemie in die Länge. Die LSE rechnet nun mit dem Closing bis zum Jahresende, spätestens aber bis Anfang 2021. Vor Ausbruch der Coronakrise wollte LSE-Chef David Schwimmer die Transaktion noch im zweiten Halbjahr 2020 besiegeln.
FINANCE-Köpfe
Deutsche Börse schielte auf FXall
Refinitiv gehört bislang zu 55 Prozent dem Finanzinvestor Blackstone und zu 45 Prozent Thomson Reuters, dem Eigentümer der Nachrichtenagentur Reuters. Mit dem Zukauf will die LSE das lukrative Datengeschäft ausbauen und ihre Abhängigkeit vom klassischen Aktienhandel reduzieren, dessen Gewinne seit Jahren unter Druck sind.
Ähnliches hatte im vergangenen Jahr auch die Deutsche Börse im Sinn: Sie wollte ihre Devisenhandelsplattform 360T, die sie 2015 für 725 Millionen Euro übernommen hatte, mit der Refinitiv-Sparte FXall fusionieren. FXall zählt international zu den größten elektronischen Handelsplattformen für Devisen. In Deutschland hat allerdings 360T die Nase vorn und ist unter anderem bei deutschen Treasury-Abteilungen beliebt.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.