Wirtschaftliche Stärke, ein stabiles regulatorisches und rechtliches Umfeld, gute Infrastruktur und technologisches Know-how sind klassische Bewertungskriterien für die Attraktivität eines Landes als M&A-Markt. Deutschland rangiert in vielen dieser Kategorien im internationalen Vergleich weit oben. Die Euro-Krise hat Deutschland in den Augen vieler Investoren innerhalb Europas sogar zum letzten sicheren Hafen für M&A-Deals gemacht. Das zeigt sich einmal mehr auch empirisch: Laut einer aktuellen Studie der Kanzlei Clifford Chance gaben 62 Prozent von gut 400 im Frühjahr befragten Führungskräften aus aller Welt und aus verschiedenen Branchen an, Deutschland sei der attraktivste M&A-Markt in Westeuropa. Parallel dazu scheint die Selbsteinschätzung hiesiger Führungskräfte über die deutsche Führungsrolle in Europa zu wachsen. Sollte Angela Merkel die Bundestagswahl im September erneut gewinnen, erwarten sich 47 Prozent der deutschen Befragten eine weitere Belebung am europäischen Markt für M&A-Deals.
Dabei steht Europa laut der in Zusammenarbeit mit der Economist Intelligence Unit erstellten Studie bereits gegenwärtig erstaunlich gut da. Lediglich 5 Prozent der weltweit befragten Führungskräfte halten Europa gegenwärtig für keinen attraktiven M&A-Markt. Im globalen Vergleich erwarten die 400 CEOs, CFOs und weiteren Führungskräfte nur in Asien größere M&A-Chancen. Europa liegt in der Attraktivität bezüglich M&A-Deals dabei deutlich vor den Märkten in Nord- und Lateinamerika, Afrika und im Nahen Osten. Dies alles spricht für die strukturelle Attraktivität Europas und für die Hoffnung, dass sich die extreme Unsicherheit der Märkte bezüglich der wirtschaftlichen Zukunft Europas zusehends reduziert.
Ende der Eurozone als Treiber für M&A-Deals?
Allerdings werfen die Ergebnisse auch einige Fragen auf. So gaben laut Clifford Chance 43 Prozent aller Befragten an, die anhaltenden sozio-ökonomischen Unsicherheiten in Europa erhöhten ihr Interesse an M&A-Deals in Europa sogar. Die Hälfte der Befragten gab an, ein Auseinanderbrechen der Eurozone würde ihre Neigung, in Europa zu investieren, sogar erhöhen. Dies lässt sich zum einen mit einer fast schon zynischen Hoffnung auf massiv fallende Preise für Übernahmeziele in einem von Distressed-M&A-Targets überfluteten Markt erklären. Vereinzelt haben Unternehmen bereits die schlechte Lage spanischer und italienischer Targets für M&A-Deals genutzt. Zum anderen aber, so die Studienautoren, sei vor allem Unsicherheit Gift für M&A-Deals. Daher könne selbst ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone positive Auswirkungen auf den M&A-Markt haben, da sie die Unsicherheit über den Fortbestand der Währungsunion beende. Die massiven makroökonomischen Konsequenzen eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone – mit den damit verbundenen neuen Unsicherheiten – scheinen in derartigen Aussagen allerdings kaum reflektiert.
Bei der Finanzierung möglicher M&A-Deals scheinen Unternehmen dagegen die Lehren aus der Finanzkrise gezogen zu haben. 44 Prozent würden Übernahmen mit eigenen liquiden Mitteln bestreiten wollen (deutsche Unternehmen: 49 Prozent). Nur ein Viertel würde Bankkredite in Anspruch nehmen. Sechs von zehn Unternehmensvertretern würden auf Joint Ventures und Minderheitsbeteiligungen, also auf risikoreduzierende Strukturen setzen. In Deutschland ist die Risikoaversion mit 68 Prozent sogar noch höher.
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