Manager angeschlagener Unternehmen nutzen häufig Teilverkäufe, um die Eigenkapitalquote zu steigern oder um eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Deloitte rechnet damit, dass es in diesem Jahr vor allem in den Branchen Handel, Textil und Automotive vermehrt zu solchen Deals kommen wird. Dies zeigt eine Studie, die FINANCE vorliegt und für die Deloitte Vertreter von Private-Equity-Häusern, Insolvenzverwaltern und Kreditinstituten befragt hat.
Digitalisierung bringt Handelsketten in Bedrängnis
Insgesamt wurden über 2.600 Distressed-Spezialisten befragt, 57 Prozent von ihnen gehen davon aus, dass insbesondere die Handelsbranche von einem Anstieg von M&A-Deals in Sondersituationen (Distressed M&A) betroffen sein wird. Als einen der Hauptgründe dafür betrachtet Deloitte die Digitalisierung, die zunehmend Druck auf die Branche und den stationären Vertrieb ausübt. „Unternehmen, die dieser Entwicklung nicht folgen, können schnell in Sondersituationen geraten und zu einer steigenden Transaktionsanzahl beitragen“, glaubt Deloitte-Partner Oliver Räuscher.
„Insbesondere Geschäftsmodelle von Automobilzulieferern, die sich nicht umgehend an Branchenentwicklungen anpassen, können zum Problem werden."
Für die Textilindustrie sagen mit 56 Prozent fast genauso viele Distressed-Spezialisten mehr M&A-Deals in Krisensituationen voraus. Damit würde sich der Negativtrend der Branche fortsetzen. Bereits in den vergangenen Jahren haben zahlreichen Unternehmen aus der Textilindustrie mit Schieflagen und Pleiten auf sich aufmerksam gemacht, so zum Beispiel der Bekleidungshersteller René Lezard, der im März 2017 Insolvenz anmelden musste und erst im September einen neuen Investor fand. Auch weitere kleinere Labels wie Strenesse, Rena Lange und viele mehr gingen in die Insolvenz.
Mehr und mehr rückt aber auch der Automobilsektor in den Fokus der Turnaround-Spezialisten. Hier erwarten 53 Prozent der Befragten einen Anstieg der M&A-Deals in Sondersituationen. Sich wandelnde Geschäftsmodelle und Anpassungen der Wertschöpfungskette sind die zentralen Dealtreiber in diesem Bereich. „Insbesondere Geschäftsmodelle von Automobilzulieferern, die sich nicht umgehend an Branchenentwicklungen anpassen, können zum Problem werden“, sagt Hendrik Engelhardt, Restrukturierungsexperte von Deloitte.
Kein Rückgang bei Distressed M&A
Bemerkenswert: Obwohl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland weiterhin sehr positiv sind, legen die neuen Studienergebnisse keinen bevorstehenden Rückgang der Anzahl von M&A-Deals in Sondersituationen nahe. 34 Prozent der Befragten prognostizieren sogar einen Anstieg der Transaktionszahlen für die kommenden zwölf Monate, 59 Prozent der Experten gehen zumindest von einer Stagnation der Dealzahl aus.
Das ist umso erstaunlicher, als dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland nun schon seit neun Jahren rückläufig und auf den tiefsten Stand seit 23 Jahren gesunken ist. 2017 meldeten 20.200 Unternehmen Zahlungsunfähigkeit an – mehr als 40 Prozent weniger als im Krisenjahr 2009. Bei den größeren Firmenpleiten zeichnet sich aber bereits eine Trendwende ab: Mit 100 Pleiten von Unternehmen mit mehr als 20 Millionen Euro Umsatz liegt dieses viel beachtete Marktsegment schon wieder auf dem Niveau von 2014, Tendenz steigend.
Insolvenzen in Deutschland auf dem tiefsten Stand seit 23 Jahren gesunken.
Info
Wie viele Insolvenzanträge gab es im vergangenen Quartal, wie viele Unternehmen landeten in der Liquidation, und welche Insolvenzverwalter sind gut im Geschäft? Die Antworten gibt der FINANCE-Insolvenz-Report.