In diesem Jahr könnte ein neuer Rekord aufgestellt werden: Im ersten Halbjahr 2019 wurden bereits 16 Fintechs in Deutschland übernommen, zeigt ein Report von PwC. Zum Vergleich: Im gesamten Rekordjahr 2017 wurden gerade einmal 20 Fintechs gekauft. Gut möglich, dass 2019 die Rekordmarke geknackt wird, denn die Übernahmen reißen nicht ab.
So übernahm das Fintech Raisin jüngst seinen Wettbewerber Fairr. Und auch bei der Frankfurter Fintech Group steht eine Übernahme an, mehrere Banken, darunter die US-Investmentbank Goldman Sachs, sollen Interesse gezeigt haben. Alles scheint auf eine Fintech-Übernahmewelle hinzudeuten – oder nicht?
Fintechs übernehmen sich gegenseitig
Vorschnell von einer Übernahmewelle zu sprechen, davon rät Sascha Demgensky, Leiter Fintech bei PwC, ab: „Wir beobachten zwar einen Anstieg der Aktivität am Fintech-M&A-Markt, doch dieser resultiert vor allem daraus, dass nun schlicht mehr geeignete Targets existieren.“ Der Anstieg werde in der nächsten Zeit vermutlich nicht signifikant ausufern: „Ich gehe nicht davon aus, dass die große Revolution kommen wird“, so Demgensky.
Es hat sich aber ein anderer interessanter Trend herauskristallisiert: Häufig sind es Fintechs selbst, die andere Finanz-Start-ups übernehmen, wie die PwC-Analyse zeigt. Das hat Demgensky zufolge einen simplen Grund: „Manchen Fintechs fehlt es trotz spannender Innovationen an einem klaren Profil. Ein Zukauf eines Fintech-Wettbewerbers kann genau die notwendige Ergänzung sein, die noch gefehlt hat.“
„Die steigende Aktivität am Fintech-M&A-Markt resultiert schlichtweg daraus, dass mehr geeignete Targets existieren.“
Banken brauchen Fintechs nicht zum Digitalisieren
Banken macht PwC als zweithäufigste Käufer aus. Immer wieder heißt es, die Geldinstitute seien deshalb an Fintechs interessiert, weil sie sich digitalisieren müssen und hoffen, sich so die entsprechenden Kapazitäten ins Haus holen zu können.
Sascha Demgensky zufolge stimmt diese Annahme allerdings nur bedingt: „Banken sind schon lange digitalisiert. Wenn sie heute Fintechs kaufen, wollen sie ihre bestehenden Produkte optimieren, zum Beispiel indem sie die Nutzerfreundlichkeit einer App verbessern. In diesem Bereich haben Fintechs große Veränderungen bewirkt.“ Dabei sind vor allem Fintechs mit B2B-Fokus gefragt – zwei Drittel aller übernommenen Fintechs bieten Produkte für Geschäftskunden an, zeigt die Analyse.
Bei Fintech-Übernahme ist Kulturschock Programm
Auch beim Alter der übernommen Fintechs lässt sich ein Trend herauslesen: „Fintechs sind bei der Übernahme im Schnitt knapp fünfeinhalb Jahre alt“, sagt Demgensky. „Das Alter ist essentiell für den künftigen Erfolg des Unternehmens: Wenn das Unternehmen aus seinem Garagencharakter herauswächst und profitabel wird, nehmen mögliche Venture-Capital-Investoren einen Exit ins Visier.“
Auf der Käuferseite beginnt damit die Herausforderung ‚Fintech-Übernahme‘, weiß auch der Start-up- und Fintech-Experte Peter Barkow von Barkow Consulting: „Wenn der Käufer kein Fintech ist, dann ist der Kulturschock auf beiden Seiten oft vorprogrammiert“. Denn bei einer Fintech-Übernahme können echte Gegensätze aufeinander prallen, wie etwa Mitarbeiter mit einer lockeren Mentalität und einer unkonventionellen Arbeitsweise auf künftige Kollegen, die etablierte Strukturen auf allen Ebenen gewohnt sind.
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Doch das ist nicht alles: „Naturgemäß liegt der Fokus gerade von sehr jungen Start-ups eben nicht primär auf Buchführung und Bilanzierung“, sagt der Fintech-Experte. Das mache eine Übernahme risikoreicher, in allererster Linie aber zunächst einmal die Bewertung des Targets schwieriger. Fintechs stellen dabei keine Ausnahme dar.
Wie können Käufer Targets bewerten?
„Wenn Bewertungen an die Eigenkapitalquote oder den Cash Flow geknüpft werden, gerät ein Fintech ohne attraktive Kennzahlen schnell in den Nachteil,“ erläutert Peter Barkow seine Beobachtung. Laut PwC-Spezialist Demgensky ist ein Anstieg der Fintech-Übernahmen an deren Professionalisierung geknüpft: „Je professionalisierter die Fintechs werden, desto einfacher werden die Übernahmen. Sollte sich die Professionalisierung fortsetzen, könnten wir künftig möglicherweise noch mehr Fintech-Übernahmen beobachten.“
„Wenn Bewertungen an den Cash Flow geknüpft werden, geraten Fintechs in den Nachteil.“
Bislang müssen sich die Käufer aber mit dem zufriedengeben, was die Fintechs ihnen als Informationen zur Verfügung stellen können. Laut Peter Barkow sollten sich Interessenten bei der Bewertung an drei Aspekten orientieren: Glaubt man an das Team? An die innovative Schlagkraft des Produkts? Und sieht man einen potenziell umsatzstarken Markt? „Beantwortet man diese Fragen mit ‚ja‘, lohnt sich eine Übernahme – auch zu einer höheren Unternehmensbewertung.“
Info
Fintechs wollen das Banking revolutionieren. Die Banken versuchen, darauf mit Annäherung zu reagieren. Was ihre Pläne sind, erfahren Sie auf der FINANCE-Themenseite Fintech-Strategien.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.