Nachdem Infineon bei dem US-Halbleiterhersteller Fairchild nicht zum Zug gekommen ist, hat der Chiphersteller offenbar schon wieder ein neues Ziel ins Auge gefasst: Wie das Wall Street Journal unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtet, ist der Konzern an einer Beteiligung beim staatlich gestützten japanischen Konkurrenten Renesas interessiert. Dies zeigt, wie schnell sich derzeit das M&A-Karussel am Halbleitermarkt dreht – und unter welchem Druck Infineon sich sieht, dabei mitzuspielen.
Renesas gehört zu den größten Halbleiterherstellern weltweit und gilt als einer der führenden Anbieter bei der Herstellung von Chips für Autos – eines der wichtigsten Wachstumsfelder der Branche. Der Konzern setzt mit über 21.000 Mitarbeitern rund 790 Milliarden Yen um. Das entspricht fast 6 Milliarden Euro – in etwa genauso viel wie Infineon für das laufende Geschäftsjahr erwartet.
Renesas wird derzeit von einem staatlichen japanischen Investmentfonds kontrolliert: Die Innovation Network Corporation of Japan (INCJ) hält fast 70 Prozent an Renesas. Ebenfalls beteiligt sind mehrere Autohersteller, die zu den größten Kunden des Unternehmens zählen. Dem Bericht des Wall Street Journals zufolge erwägt INCJ jetzt, einen Teil oder sogar sein gesamtes Aktienpaket zu verkaufen. Damit ist Renesas auf dem Markt. Aber die Ausgangslage ist unübersichtlich, die japanische Politik und die Industrie dürften bei einem möglichen Deal ein gewichtiges Wort mitreden wollen.
Japaner nicht begeistert von Verkauf von Renesas an Infineon
Offenbar gibt es auch schon Bedenken, einem ausländischen Konzern Zugang zu japanischer Technologie zu gewähren. Möglich sei daher auch eine strategische Allianz mit einem anderen Hersteller, berichtet das WSJ. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Verkauf Renesas an solchen Erwägungen scheitert: Schon vor drei Jahren hatten die Autohersteller die Regierung dazu gedrängt, ein Übernahmeangebot des US-Investors KKR zu blockieren. Daraufhin sprang der Staatsfonds INCJ ein und erwarb sein großes Aktienpaket.
Analysten wie Veysel Taze von dem Bankhaus Oddo Seydler halten einen Zusammenschluss von Infineon mit Renesas für sinnvoll, weil damit ein Marktführer mit einem Marktanteil von 20 Prozent im Automotive-Geschäft entstehen würde. Auch Infineon hat seinen Geschäftsschwerpunkt in der Herstellung von Chips für die Autoindustrie. Dies birgt jedoch kartellrechtliche Hürden. Außerdem dürfte Renesas, dessen Wert auf bis zu 10 Milliarden US-Dollar taxiert wird, ein großer Brocken für Infineon sein. Infineon kommt derzeit auf eine Marktkapitalisierung von rund 13,3 Milliarden Euro und eine Netto-Cash-Position von 49 Millionen Euro.
Infineon-Zahlen haben sich gut entwickelt
Die Zahlen entwickeln sich bei Infineon derzeit allerdings gut: Im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2015/16 stieg der Umsatz gegenüber dem Vorquartal um 7 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro. Der Konzernüberschuss stieg im dritten Quartal auf 109 Millionen Euro nach 65 Millionen Euro im Vorquartal. Auch die Netto-Cash-Position dreht nach einem Minus von 176 Millionen Euro zum Ende des März-Quartals ins Positive. Seine Zahlen für das vierte Quartal will Infineon nächste Woche vorstellen. Für das Geschäftsjahr 2015/16 erwartet Infineon einen Umsatzanstieg von etwa 34 Prozent.
Dies liegt an dem 3 Milliarden Dollar schweren Zukauf des US-Konkurrenten Rectifier, der im Januar abgeschlossen wurde. Es war die größte Übernahme der Firmengeschichte. Der auch von Infineon umworbene US-Hersteller Fairchild wurde vergangene Woche für 2,4 Milliarden Dollar an On Semiconductor verkauft. Sollte es jetzt zu einem Kauf von Renesas durch Infineon kommen, würde sich die Branchenkonsolidierung nochmals beschleunigen. Den bislang letzten großen M&A-Hype erlebte die Chipbranche unmittelbar vor Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008.
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.