„Wie machen es denn die anderen?“ Diese Frage bekommen M&A-Berater nach eigenem Bekunden derzeit häufiger zu hören. Käufer und Verkäufer aus allen Lagern schauen auf einmal nach links und rechts. Die ernüchternde Antwort: Alle suchen nach Orientierung.
Die Coronakrise hat dem M&A-Markt die gewohnten Leitplanken genommen. „Ein Unternehmen etwa mit dem 5- bis 9-fachen Ebit zu bewerten, weil das die einschlägigen Multiples für die Branche sind – das funktioniert nicht mehr so einfach“, sagt Michael Schuster, Managing Director der M&A-Beratung SBCF. Zwar seien Branchenmultiples auch in der derzeitigen Situation eine wichtige Orientierung, doch müsse das Geschäftsmodell des Unternehmens viel stärker als vor der Coronakrise durchleuchtet werden, speziell auf mögliche Spätfolgen durch die Pandemie.
Schuster geht davon aus, dass die Multiples aufgrund des eingetrübten wirtschaftlichen Umfelds über alle Branchen hinweg sinken werden – selbst in Bereichen, die von der Coronakrise weitgehend verschont bleiben oder sogar von ihr profitieren. „Je nach Einfluss der Krise dürften die Multiplikatoren in allen Branchen um 5 bis 20 Prozent gegenüber der Vorperiode zurückgehen“, schätzt er.
Gerade Mittelständler verschieben Verkäufe
Auch wenn sich die Börsenbewertungen vieler Unternehmen bereits wieder erholt haben, schlagen sinkende Umsätze und Erträge auf die Unternehmensbewertung durch. „Hinzu kommt, dass viele Käufer grundsätzlich höhere Risikoabschläge einpreisen“, beobachtet Schuster.
Gerade mittelständische Verkäufer halten sich am M&A-Markt derzeit zurück. „Wer jetzt einen Verkaufsprozess anstößt, erzielt womöglich 20 Prozent weniger, als er vor der Krise bekommen hätte. Das sind gerade für mittelständische Unternehmer, die nur dieses eine Asset zu verkaufen haben, keine attraktiven Aussichten“, sagt Xaver Zimmerer von der M&A-Beratung Interfinanz. Während es für Konzerne zu verkraften sei, bei Teilverkäufen strategisch nicht mehr interessanter Bereiche etwas weniger zu erlösen, warten Mittelständler seiner Beobachtung nach eher ab und verschieben Verkäufe.
„Viele Käufer preisen grundsätzlich höhere Risikoabschläge ein.“
Und auch die Käufer spielen auf Zeit: „Sie wollen in der Due Diligence und bei der Unternehmensbewertung stärker auf aktuelle Entwicklungen abzielen. Historische Zahlen sind angesichts der Coronakrise weniger aussagekräftig“, beobachtet Michael Schuster von SBCF. Je später der M&A-Prozess in ein konkretes Stadium übergehe, umso besser sei die Visibilität, so die Hoffnung.
Zögern am M&A-Markt
Einige Unternehmen dürften die aktuelle Ruhephase am M&A-Markt dafür nutzen, sich einmal grundsätzlicher über strategische Opportunitäten Gedanken zu machen, glaubt Christian Baur, CEO von Swisslog Logistics Automation, einem Anbieter von daten- und robotergesteuerten Automatisierungslösungen in der Logistik. Baur, der vor seinem Wechsel zur Kuka-Tochter Swisslog die Bereiche Corporate Development und M&A bei Kuka in Augsburg leitete, sieht derzeit Zögern am M&A-Markt. „Begonnene Deals werden abgeschlossen, neue strategische Transaktionen dagegen eher verschoben.“
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Er geht jedoch nur von einer vorübergehenden Delle im M&A-Geschehen aus. „Geschäftsmodelle wandeln sich permanent, dies führt automatisch zu Akquisitionen und Verkäufen.“ Zudem dürften viele Unternehmen ihre Aufstellung genauer überprüfen: „Die Coronakrise hat gezeigt, wie riskant es ist, wenn man beispielsweise von den Wertschöpfungsbeiträgen einzelner Zulieferer abhängig ist.“
Gibt es ein Ebitda nach Corona?
Doch wie kann es weitergehen, wenn das M&A-Geschehen wieder anläuft? Interfinanz-Berater Zimmerer rechnet damit, dass von Herbst an wieder vermehrt Transaktionen außerhalb des Distressed-Bereichs anlaufen werden. Bis dahin, so seine Erwartung, könne man den Corona-Effekt auf das Geschäft bereits ganz gut kalkulieren.
Ein Neustart erfordert jedoch Vorbereitung: „Potentielle Verkäufer sollten genau ermitteln, wie stark sie Corona bei Umsatz und Erträgen getroffen hat“, rät Zimmerer. Dann müsse man mit möglichen Investoren besprechen, in welchem Umfang man die Coronavirus-Effekte als außerordentliche Positionen aus der Unternehmensbewertung herausrechnen kann – als eine Art Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Corona. „Ein solches Ebitda-C ist möglich, aber der Investor muss grundsätzlich von der Zukunftsperspektive des Targets überzeugt sein, um diese Bewertungslösung mittragen zu können“, meint der M&A-Berater.
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Dominik Heiß geht davon aus, dass künftig auch ganz grundsätzliche Fragestellungen bei Transaktionen intensiver diskutiert werden. Heiß ist seit 2018 Leiter des Bereichs Energy Storage Solutions bei MAN Energy Solutions und arbeitete zuvor fünf Jahre im M&A-Bereich von MAN Energy Solutions. „Früher hat man manche Fundamentaldaten einfach als gegeben angesehen – nun wurde sichtbar, wie massive Disruptionen alles durcheinanderwirbeln können“, sagt er.
Die richtigen Fragen für die Due Diligence
Die Möglichkeit solcher Verwerfungen – seien es nun Pandemien, ein galoppierender Klimawandel oder ein anderes Szenario – müsse man künftig stärker mit bedenken, findet Heiß: „In der Due Diligence wird ein Kaufinteressent die grundsätzliche Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen auch bei grundlegend veränderten Rahmenbedingungen hinterfragen müssen. Das ist entscheidender, als darüber zu diskutieren, ob das Ebitda im folgenden Jahr eher um 2 oder um 3 Prozentpunkte steigen wird.“ Die Krise habe gezeigt, wo Unternehmen verwundbar seien: „Zukäufe bieten auch die Möglichkeit zu diversifizieren. Damit kann die Erfahrung aus dieser Krise auf lange Sicht auch zum Treiber für neue Transaktionen werden.“
McKesson Europe
Thomas Dorschner, Head of M&A bei dem Pharmagroßhändler und -einzelhändler McKesson Europe, spricht über das Transaktionsgeschehen während der akuten Phase der Corona-Pandemie als einen Markt in Warteposition. „Bei laufenden Deals haben sich die Prozesse, wie etwa die Deadlines zur Abgabe indikativer Angebote, verschoben.“
Mit indikativen Angeboten prüfen Investmentbanken und M&A-Berater das Interesse potentieller Käufer ab – doch viele Unternehmen haben derzeit andere Probleme und konzentrieren sich auf das operative Krisenmanagement.
„Potentielle Käufer sind derzeit noch schwerer erreichbar als sonst.“
„Potentielle Käufer sind derzeit noch schwerer erreichbar als sonst“, beobachtet M&A-Berater Schuster. Er sieht es als Aufgabe seiner Zunft, die verunsicherten Käufer auch über die Ausgestaltung des M&A-Prozesses aus der Warteposition herauszuholen.
Earn-outs gewinnen an Bedeutung
Eine Idee wäre es, das indikative Angebot an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen – etwa dass das Zielunternehmen den Planumsatz für das laufende Jahr nicht um mehr als 20 Prozent unterschreitet. Würden die Voraussetzungen nicht erfüllt, könnte der Interessent das Angebot nachjustieren oder zurückziehen, ohne Gesichtsverlust. „Solche Rahmenbedingungen können Orientierung schaffen und so dazu beitragen, Angebote zu ermöglichen“, sagt Frank Borowicz von SBCF.
Auch die Vertragsgestaltung kann das Risiko für Käufer reduzieren: Material-Adverse-Change-Klauseln (MAC-Klauseln), wie sie bei größeren Transaktionen vielfach üblich sind, dürften auch im Mittelstand mehr Verbreitung finden, erwarten M&A-Berater
Und auch Earn-outs, durch die Teile des Kaufpreises erst beim Erreichen bestimmter Meilensteine fällig werden, dürften künftig eine größere Rolle spielen. „Die Käufer werden die Zeiträume für die Meilensteinzahlungen verlängern, um die Marksituation länger beobachten zu können“, glaubt Borowicz. Die Earn-out-Zahlungen, die meist an das Erreichen bestimmter finanzieller Erfolgsgrößen geknüpft werden, erlauben so eine Risikoverlagerung auf den Verkäufer: Bleiben die Erfolge nach der Transaktion unter den Erwartungen, reduziert sich der Kaufpreis.
„Die Käufer werden die Zeiträume für die Meilensteinzahlungen verlängern.“
Mehr Risiko beim Verkäufer
Thomas Dorschner ist mit seinem Team bei McKesson derzeit noch mit der vertraglichen Erfüllung eines Deals befasst, der noch vor Corona unterzeichnet wurde und auf den die Krise bisher wenig negative Auswirkungen hatte. Bei künftigen Deals rechnet er jedoch mit Veränderungen: „Potentielle Käufer werden die Stabilität von Geschäftsplänen wahrscheinlich stärker hinterfragen und entsprechende Planungsszenarien einfordern“, ist seine Erwartung.
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Er könnte sich auch vorstellen, dass Käufer versuchen werden, die Verkäufer von Unternehmen verstärkt am erhöhten Geschäftsrisiko zu beteiligen. „Vorstellbar wären etwa erfolgsabhängige Earn-out-Zahlungen des vereinbarten Kaufpreises über mehrere Jahre, wodurch die Unternehmensverkäufer ein erhöhtes Unternehmensrisiko mittragen würden.“
Harte Zeiten für M&A-Berater
Allen Perspektiven und neuen Orientierungshilfen zum Trotz: In diesem Jahr dürfte am M&A-Markt in einigen Bereichen noch Flaute herrschen. Wer seinen Verkaufspreis maximieren will, wird den M&A-Prozess eher zwölf bis 18 Monate hinauszögern, vermutet M&A-Berater Zimmerer.
Die Honorare und Transaktionsabschlüsse, die in näherer Zukunft kommen, werden sich die Berater voraussichtlich härter verdienen müssen: „Wir stellen uns darauf ein, dass Verhandlungen über Kaufpreise langwieriger und komplizierter werden. Man wird zudem für jedes Unternehmen mehrere sehr individuelle Szenarien rechnen müssen“, erwartet Schuster von SBCF. Auf die Beraterbranche, die für ihren sonst so optimistischen Blick auf die nahezu jederzeit „vollen Pipelines“ berühmt-berüchtigt ist, kommen schwierige Monate zu.