Das Rennen um das Biotech-Unternehmen Qiagen ist offiziell eröffnet: Gleich mehrere M&A-Interessenten werben derzeit um die deutsch-niederländische Gesellschaft, deren Wurzeln im nordrhein-westfälischen Hilden liegen, wo sich auch der operative Hauptsitz befindet. Qiagen liegen nach eigenen Angaben „mehrere nicht verbindliche und unter Bedingungen stehende Interessensbekundungen“ vor. Das Unternehmen will nun in Gespräche „über mögliche strategische Alternativen“ eintreten. Die Interessenten hätten die Absicht, sämtliche ausgegebene Qiagen-Aktien zu kaufen.
M&A-Fantasie treibt Qiagen-Aktie
Die offizielle Bestätigung der Übernahmeavancen ist der vorläufige Höhepunkt einer M&A-Spekulation, die zuletzt immer heißer geworden ist: Die Übernahmefantasien um Qiagen hatten sich in der vergangenen Woche immer weiter verstärkt und dem Aktienkurs Flügel verliehen.
Ausgangspunkt war eine Meldung, wonach der US-Technologiekonzern Thermo Fisher M&A-Ambitionen bei Qiagen habe. In Meldungen der Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg war zunächst vermutet worden, Thermo Fisher könne sich eine Übernahme bis zu 8 Milliarden Dollar (rund 7,2 Milliarden Euro) kosten lassen. Damit dürften die Amerikaner nun jedoch nicht mehr zum Zuge kommen, entspräche diese Bewertung doch einem Preis von nur 32 Euro je Aktie – was inzwischen deutlich unter der aktuellen Bewertung Qiagens liegt.
Die Berg- und Talfahrt der Qiagen-Aktie
Die Bestätigung durch Qiagen, dass dem Unternehmen gleich mehrere Anfragen vorliegen, treibt den Aktienkurs im heutigen Handel in historische Höhen: Die Aktie des Laborzulieferers schoss auf mehr als 38 Euro – in dieser Größenordnung bewegte sich der Kurs zuletzt im Jahr 2001. Zum Vergleich: Noch vor einer Woche war eine Aktie für rund 29 Euro zu haben. Damit hat das Papier auf Wochensicht um rund ein Drittel zugelegt.
Die Rallye könnte sogar noch weitergehen: Ein Analyst der Berenberg Bank kommt in seinen Berechnungen auf einen möglichen Übernahmepreis von 47 bis 50 US-Dollar, nach aktuellem Umrechnungskurs wären das etwa bis 42,50 bis 45 Euro.
Tiefe Einschnitte bei Qiagen
Dass Qiagen überhaupt ins Visier der Wettbewerber geraten ist, hat auch hausgemachte Gründe. Qiagen hatte zuletzt nicht nur seine Wachstumsziele verfehlt, sondern musste auch einen tiefen Einschnitt vornehmen: Anfang Oktober brach das Papier von knapp 30 auf 23 Euro ein.
Grund dafür war, dass Qiagen eine selbst entwickelte Technologie zur Gen-Sequenzierung einstellte, die zuvor mit viel Aufwand entwickelt worden war, sich gegen die Konkurrenzprodukte aber nicht durchsetzen konnte. Qiagen schloss in diesem Produktbereich nun eine Kooperation mit dem US-Marktführer Illumina – ein Schritt, der Kritikern zufolge bereits deutlich früher hätte kommen müssen, wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Branchenbeobachter schrieb. Der Schritt brockte Qiagen Wertberichtigungen und Sonderkosten in Höhe von über 260 Millionen Dollar ein, darüber hinaus nahm Konzernchef Peer Schatz seinen Hut.
Auch dies war ein tiefer Einschnitt, ist Schatz doch über viele Jahre das Gesicht von Qiagen gewesen: Er arbeitete 26 Jahre lang für die Firma, die vergangenen fünfzehn Jahre als Vorstandschef. Davor war er CFO. Seit seinem Aufstieg zum CEO 2004 hat Roland Sackers den CFO-Posten inne. Bis ein neuer CEO gefunden ist, führt Thierry Bernard interimistisch die Geschäfte. Der Interims-CEO ist als Senior Vice President für das Geschäftsfeld Molekulardiagnostik zuständig.
Dass Qiagen jetzt so schnell zum Übernahmeziel wird, irritiert die Analysten der Commerzbank: „Schatz war für eine Übernahme wohl ein größeres Hindernis als gedacht“, heißt es in einer Einschätzung von heute.
FINANCE-Köpfe
Thermo Fisher, Merck, Roche: Wer will Qiagen?
Es ist naheliegend, dass die internen Querelen und der abgesackte Aktienkurs die Begehrlichkeiten der Wettbewerber geweckt haben. Schon kurz nach dem Kurseinbruch wurde Thermo Fisher als logischer Käufer genannt. Der US-Konzern war ursprünglich mit Angeboten für die DNA-Aufbereitung gestartet und ist über zahlreiche Zukäufe inzwischen zu einem wichtigen Anbieter von medizinischer Diagnostik geworden. Das Qiagen-Portfolio wäre für Thermo Fisher eine gute Ergänzung.
Übernahmekonstellationen mit anderen Kandidaten werden hingegen durchweg größere Schwächen attestiert. Aber offenbar schauen sich einige von ihnen trotzdem Qiagen jetzt genau an. Dies könnte beispielsweise für den Pharmakonzern Roche gelten. Die Schweizer sind sehr rege bei Diagnostik-Übernahmen, als einer der Weltmarktführer im Bereich Diagnostik aber mit potentiellen Kartellproblemen konfrontiert. 2012 war Roche mit einem Übernahmeversuch beim neuen Qiagen-Kooperationspartner Illumina gescheitert.
Andere Diagnostikanbieter wie Abbott und Siemens Healthineers hätten nach Einschätzung des „Handelsblatts“ weniger Überlappungen als Roche. Sie dürften allerdings wenig Interesse an jenen Qiagen-Aktivitäten haben, mit denen sich das Unternehmen als Zulieferer für Forschungseinrichtungen positioniert. Ein Deal-Breaker wäre dies gleichwohl nicht.
Qiagen könnte über 10 Milliarden Euro kosten
Ein anderer möglicher Käufer, der US-Konzern Danaher, dürfte derweil noch mit der Post Merger Integration der Biopharma-Aktivitäten von GE beschäftigt sein, die das Unternehmen für 21 Milliarden Dollar kaufen will. Und auch der deutsche Pharmakonzern Merck hat gerade erst mit der Übernahme von Versum einen Mega-Deal getätigt und will sich nun nach Aussage von Finanzchef Marcus Kuhnert erst einmal wieder entschulden.
Für alle Interessenten wäre Qiagen nicht gerade ein kleiner Zukauf. Inklusive der Nettofinanzschulden von 963 Millionen Dollar (871 Millionen Euro) kommt Qiagen auf Basis des aktuellen Aktienkurses bereits auf einen Unternehmenswert von fast 9,5 Milliarden Euro – eine Übernahmeprämie nicht eingerechnet.
Qiagen warnt, es sei derzeit „nicht vorhersehbar“, ob die Gespräche tatsächlich zu einem Übernahmeangebot führten, das der Vorstand seinen Aktionären zur Annahme empfehlen würde. Die Qiagen-Aktien liegen fast ausschließlich im Streubesitz. Größter Aktionär mit 9,5 Prozent ist die Fondsgesellschaft Blackrock.