Drei Monate nach der geplatzten Megafusion zwischen Linde und dem US-Konkurrenten Praxair ist ein Zusammenschluss wieder in greifbare Nähe gerückt: Der US-Industriegasehersteller hat überraschend einen neuen Übernahmevorschlag für Linde vorgelegt. Das haben jetzt beide Unternehmen erklärt, ohne weitere Details zu nennen.
Die Verhandlungen um die Fusion waren im September spektakulär geplatzt, weil sich die beiden Unternehmen nicht über zentrale Aspekte wie den Standort einigen konnten. Vor allem die Arbeiternehmervertreter im Aufsichtsrat von Linde hatten sich gegen die Fusion gewehrt, weil sie einen Verlust von Arbeitsplätzen fürchteten.
Gescheiterte Fusion war ein herber Rückschlag für Linde
Die gescheiterte Fusion war für Linde aus mehreren Gründen ein Rückschlag. Zum einen führte sie dazu, dass Linde auf einen Schlag sein Vorstandsduo aus CFO Georg Denoke und CEO Wolfgang Büchele verlor. Denoke musste direkt nach Bekanntwerden der gescheiterten Fusion gehen – er war ein ausgesprochener Gegner des Deals. Zwischen ihm und Büchele soll es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen sein, der Finanzchef galt intern zunehmend als illoyal. Überraschenderweise hatte daraufhin auch Büchele angekündigt, den Konzern im Frühjahr 2017 zu verlassen. Er sah den Deal offenbar als letzte Chance, um seiner Amtszeit einen erfolgreichen Anstrich zu verpassen.
Der geplatzte Deal war auch deswegen ein Rückschlag für Linde, weil der Konzern nur durch einen Merger die an ihn gestellten Wachstumserwartungen erfüllen kann – der einst erfolgsverwöhnte Gasehersteller musste in den vergangenen Jahren mehrere Gewinnwarnungen herausgeben, die den Aktienkurs stark gedrückt haben. Eine Übernahme des Konkurrenten Airgas war Ende 2015 gescheitert. Nachdem bekannt wurde, dass Linde und Praxair die Verhandlungen wieder aufnehmen, ist der Aktienkurs um gut 8 Prozent in die Höhe geschossen.
Linde ist operativ geschwächt
Linde und Praxair hatten bereits vor einigen Monaten verkündet, dass sie die Gespräche nochmal aufnehmen würden. Analysten hatten allerdings erwartet, dass das nicht geschehen wird, bevor Linde ein neues Management haben wird. Das neue Angebot von Praxair kommt für Linde daher zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, denn der Konzern ist operativ geschwächt.
Ob Büchele gemeinsam mit dem Interims-CFO Sven Schneider noch bis zum Auslaufen seiner Amtszeit den Deal über die Bühne bringen kann, ist fraglich. Die geschwächte Verhandlungsposition von Linde könnte für Praxair eine Chance sein, den Zusammenschluss nach den eigenen Wünschen zu gestalten.
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.