Rund ein Jahr nach dem Börsengang steht in Erlangen die erste große Übernahme bevor: Siemens Healthineers will das Medizintechnikunternehmen Corindus übernehmen und bietet für den US-Medizintechniker 1,1 Milliarden US-Dollar in bar. Das Gebot entspricht 4,28 Dollar je Corindus-Aktie und somit einer Prämie von 77 Prozent auf den gestrigen Schlusskurs des Papiers von 2,42 Dollar.
Die Bewertung ist stattlich: Corindus setzte mit rund 100 Mitarbeitern zuletzt lediglich 10,8 Millionen Dollar (rund 9,7 Millionen Euro) um und schrieb noch Nettoverluste in Höhe von 35 Millionen Dollar (31 Millionen Euro). Aus Aufsichtsratskreisen heißt es, der Zukauf sei „ein mutiger Schritt“ und der Kaufpreis „ambitioniert“, zitiert das „Handelsblatt“.
Siemens Healthineers setzt große Hoffnungen in Corindus
Dass Siemens Healthineers das erst 2002 gegründete Unternehmen Corindus mit satten 1,1 Milliarden Dollar bewertet, zeigt, welche Hoffnungen der börsennotierte Konzern mit der Übernahme verbindet: Schon bei dem IPO im vergangenen März kündigte der Vorstand an, besonders an angrenzenden Gebieten interessiert zu sein, um bestehende Geschäfte zu erweitern. Mit dem Deal erschließen die Erlangener nun „ein neues Gebiet für das Geschäft mit bildgestützten Therapien“.
Das Zielunternehmen Corindus mit Sitz in der Nähe von Boston, Massachusetts, entwickelt robotergestützte Systeme für minimalinvasive Gefäßoperationen. Mit diesen Technologien können Chirurgen operative Eingriffe über einen Bildschirm überwachen und steuern und müssen nicht direkt am Patienten arbeiten. Operationen laufen dadurch präziser und schneller ab. Marktbeobachter erachten Corindus‘ Systeme als Alleinstellungsmerkmal und attestieren dem jungen Unternehmen daher einen technologischen Vorsprung zu seinen Wettbewerbern – eine weitere Erklärung für die hoch angesetzte Bewertung.
Siemens Healthineers will Advanced Therapies ausbauen
Der Zukauf soll bei Siemens Healthineers den Ausbau des Geschäftsbereichs Advanced Therapies vorantreiben, in den Corindus im kommenden Jahr integriert werden soll. Advanced Therapies ist derzeit das kleinste Geschäftsfeld der Erlangener mit einem Umsatz von zuletzt 1,5 Milliarden Euro (Gesamtumsatz Healthineers: 13,4 Milliarden Euro).
Doch der Geschäftsbereich ist schon jetzt hochprofitabel: Das Segment glänzt mit einer hohen operativen Umsatzrendite von fast 20 Prozent. Zum Vergleich: Die operative Umsatzrendite im Gesamtkonzern lag 2018 bei 17,2 Prozent.
Healthineers finanziert M&A-Deal über Term Loan
Die Finanzierung der Transaktion stemmen die Erlangener über einen befristeten Kredit von Siemens, der Münchener Konzern ist mit 85 Prozent immer noch mit Abstand größter Aktionär von Healthineers. Details zu den Konditionen des Darlehens nannte das Unternehmen nicht, es handele sich um einen „Term Loan zu marktüblichen Konditionen“. Zudem sei die Finanzierung so arrangiert, dass die Erlangener nach eigener Aussage auch nach dem Closing des M&A-Deals ein „solides Investmentgrade-Rating“ behalten.
Mit dem Abschluss der Transaktion rechnet Siemens Healthineers – vorbehaltlich der üblichen Zustimmungen durch Kartellbehörden – noch in diesem Jahr zwischen Oktober und Dezember. Der Corindus-Vorstand hat für den Deal schon seinen „uneingeschränkten“ Segen erteilt.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.