Bereits seit Jahren basteln die Gaseproduzenten Linde und der US-Wettbewerber Praxair an ihrer Megafusion. Bisher wähnten sich beide Konzerne auch auf Kurs, doch nun sind sie kurz vor der Finalisierung überraschend auf erheblichen Widerstand der US-Behörden gestoßen: Die für Übernahmen und Fusionen zuständige Federal Trade Commission (FTC) will den Deal erst freigeben, wenn beide Konzerne gewisse Zusatzforderungen erfüllen. Das teilte Linde in der Nacht auf den Sonntag mit. Demnach müssten sich beide Unternehmen von weiteren Geschäftsteilen trennen, um grünes Licht für den 60-Milliarden-Dollar-Deal zu erhalten.
Auflagen treffen Linde offenbar unvorbereitet
Die Mitteilung von Linde lässt erahnen, dass die zusätzlichen Auflagen der FTC den Konzern unvorbereitet treffen. Die Zusatzforderungen könnten „mit höheren Anforderungen verbunden sein, als bisher erwartet“, heißt es nur vage in dem Schreiben. Doch der Dax-Konzern und Praxair wollen offenbar weiter an der geplanten Fusion festhalten: „Linde und Praxair setzen ihre konstruktiven Gespräche mit den Wettbewerbsbehörden und miteinander über die erforderlichen Veräußerungen fort“, versichert Linde.
Der Münchener Konzern und Praxair hatten bereits im Vorfeld damit gerechnet, dass sie sich von großen Teilen ihres Geschäfts trennen müssen, um die Freigabe der Kartellbehörden zu erhalten. So will Linde den Großteil seines US-Geschäfts sowie weitere Standorte in Südamerika an den deutschen Konkurrenten Messer und ein Konsortium um den Private-Equity-Investor CVC für 2,8 Milliarden Euro verkaufen. Mit der Veräußerung der US-Sparte würde sich Linde von 1,4 Milliarden Euro Umsatz trennen. Ein Großteil des Europageschäfts von Praxair soll wiederum für 5 Milliarden Euro an den japanischen Industriegasehersteller Taiyo Nippon Sanso gehen. Der Geschäftsbereich erwirtschaftete 2017 einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro. Das reicht der FTC aber offenbar nicht.
Zeitplan für Fusion droht zu kippen
Doch die beiden Konzerne haben sich in den Verhandlungen eine Schmerzensgrenze gesetzt: Wenn sich Linde und Praxair von mehr als 3,7 Milliarden Dollar Umsatz oder 1,1 Milliarden Dollar operativen Gewinn trennen müssten, stünde der Sinn der geplanten Fusion in Zweifel, so die Unternehmen. Mittlerweile gehen beide Konzerne davon aus, dass „eine höhere Wahrscheinlichkeit“ besteht, dass sie diese selbst gesetzte Obergrenze überschreiten müssten, wenn sie die neuen Auflagen der FTC erfüllen wollten. Inwieweit die Konzerne dazu bereit sind, um den Deal zu retten, ist unklar. Linde war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Erschwerend könnte zudem hinzukommen, dass nun auch die EU-Kommission, die den Deal ebenfalls freigeben muss, ihre Auflagen nochmals überdenken könnte, nachdem ihre Kollegen in Washington Zweifel angemeldet haben.
Neben den neuen Anforderungen der FTC nimmt auch der Zeitdruck weiter zu, denn spätestens bis zum 24. Oktober müssen alle Genehmigungen für die Fusion vorliegen. Ist dies nicht der Fall, scheitert der Deal. Grund für den Zeitpunkt ist das deutsche Recht, das vorsieht, dass Aktionäre innerhalb von zwölf Monaten Klarheit über das Gelingen oder Scheitern einer Transaktion haben müssen.
250 Millionen Euro Break-up-Fee
Sollte der Deal platzen, wäre es für beide Parteien auch aus finanziellen Gesichtspunkten bitter, denn die seit Jahren diskutierte Fusion dürfte bereits viel Geld für Berater verschlungen haben. Die Break-up-Fee von 250 Millionen Euro, die die Partei zahlen muss, die sich aus dem Vertrag zurückzieht, ist – gemessen an dem Milliardendeal – zwar noch moderat, aber dennoch eine zusätzliche Belastung. Sollten sich aber beide Parteien gegen den Deal aussprechen, fiele diese Gebühr weg.
Dass der Deal unter den Zusatzforderungen und in dem engen Zeitfenster noch zustande kommt, sehen viele Experten als unrealistisch an. Die Risiken für einen Erfolg des Zusammenschlusses nähmen angesichts der überraschenden Entscheidung der USA zu, schreibt beispielsweise Analyst Martin Rödiger in einer Studie des Analysehauses Kepler Cheuvreux. Zudem sei der Zeitplan gefährdet. Der Experte setzt bei der Bewertung der Aktien nur noch eine Deal-Wahrscheinlichkeit von einem Drittel an.
Die Aktionäre beobachten diese Entwicklung mit großer Sorge: Lindes Aktienkurs brach zeitweise um 10 Prozent und notierte am Montagmorgen bei 190,55 Euro. Damit erreicht die Aktie den niedrigsten Stand seit Mai.