Es war eine Entscheidung mit beachtlicher Tragweite: Das Delaware Chancery Court urteilte Anfang Oktober, dass Fresenius die bereits beschlossene rund fünf Milliarden Dollar schwere Übernahme des US-Wettbewerbers Akorn nicht vollziehen muss. Grundlage der Entscheidung war die sogenannte Material-Adverse-Change-Klausel (MAC).
Das Besondere: Sie wurde zum ersten Mal von einem Gericht anerkannt. Welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssen und was das Urteil für zukünftige M&A-Deals bedeutet, erklärt Matthias Kiesewetter, Partner bei der Wirtschaftskanzlei White & Case, im Interview mit FINANCE.
Herr Kiesewetter, Fresenius muss den US-Wettbewerber Akorn doch nicht übernehmen. Der Dax-Konzern wollte den Deal wegen vermeintlicher Rechtsverstöße bei Akorn abblasen, doch Akorn hatte auf den Vollzug bestanden. Welche Rolle spielte die sogenannte MAC-Klausel im Rechtsstreit zwischen Fresenius und Akorn?
Eine sehr entscheidende, denn ohne erfolgreiches Berufen auf die MAC-Klausel hätte Fresenius die Verträge sehr wahrscheinlich gar nicht kündigen können und die Transaktion vollziehen müssen. Die Material-Adverse-Change-Klausel soll der Tatsache Rechnung tragen, dass zwischen dem Signing und dem Closing eines Deals eine größere Zeit liegen kann, in der sich die Vermögensverhältnisse des Zielunternehmens wesentlich verschlechtern können.
Fresenius schafft mit Akorn einen Präzedenzfall
Was führte letztlich dazu, dass Fresenius die MAC-Klausel anwendete?
Hintergrund dürfte gewesen sein, dass sich Akorns Geschäft nur wenige Monate nach Signing wesentlich verschlechterte – mit den Worten des Gerichts: „fell of a cliff“. Zudem scheinen Mitarbeiter von Akorn mittels des bei Fresenius etablierten Hinweisgebersystems offengelegt zu haben, dass es bei Akorn schwerwiegende Verstöße im Hinblick auf die Datenintegrität und die Regularien der US-Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde (FDA) gibt. Unter anderem Letzteres veranlasste Fresenius, die Vorgänge zu untersuchen.
Die MAC-Klausel wurde im Fall Fresenius zum ersten Mal angewendet. Wieso wurde sie zuvor noch nicht anerkannt?
Richtig ist, dass der Delaware Chancery Court in diesem Fall die Bedingungen für eine Erfüllung der MAC-Klausel als gegeben angesehen hat. Die Hürden dafür sind meist hoch. Nicht ohne Grund: Der Käufer soll nicht aufgrund jeglicher, wie auch immer gearteter Verschlechterungen des Zielunternehmens von einer Transaktion Abstand nehmen können.
Präzise MAC-Klauseln können entscheidend sein
Welche Kriterien genau müssen denn erfüllt werden, damit die Klausel angewendet werden kann?
In einer früheren Entscheidung hatte das Gericht einmal festgestellt, dass ein Material Adverse Change nur dann vorliegt, wenn „das Gesamteinnahmepotential des Zielunternehmens wesentlich beeinträchtigt“ wird und „eine solche Beeinträchtigung über einen signifikanten Zeitraum andauert“. Im Falle von Akorn stellte das zuständige Gericht nun fest, dass die Beeinträchtigung bereits seit einem Jahr andauert und keine Zeichen einer Stabilisierung erkennbar sind. Zudem handelte es sich bei Akorn nicht um allgemeine Marktveränderungen, sondern um originäre nachteilige Veränderungen im Unternehmen selbst.
Was bedeutet das Gerichtsurteil im Hinblick auf die künftige Anwendung von MAC-Klauseln in M&A-Verträgen?
Das Gerichtsurteil macht wieder einmal deutlich, wie wichtig es ist, bei der Vereinbarung von MAC-Klauseln auf Details zu achten. Das Gericht hat sich intensiv mit der genauen Formulierung der Klausel auseinandergesetzt. Dabei kam der Richter zu dem Schluss, dass Erkenntnisse aus der Due Diligence oder der Vergangenheit bei der Anwendung der MAC-Klausel nicht berücksichtigt werden dürfen. Einzig und allein die Faktoren, die zur negativen Entwicklungen des Zielunternehmens geführt haben, dürften berücksichtigt werden. Im Ernstfall kann also die präzise Formulierung der Anwendungsfälle in der Klausel entscheidend dafür sein, in welche Richtung das Pendel ausschlägt.
andreas.mehring[at]finance-magazin.de