Großbritannien ist ein beliebter Standort für M&A-Investitionen aus dem Ausland – auch deshalb, weil die Hürden für Käufer aus dem Ausland dort bislang vergleichsweise niedrig gewesen sind. Das hat sich nun geändert: Zu Jahresbeginn ist ein neues Fusionsgesetz in Kraft getreten, das im Namen der nationalen Sicherheit internationalen Bietern und Investoren beachtliche Steine in den Weg kann. Die Befugnisse der britischen Behörden können über die Grenzen Großbritanniens hinausgehen.
Für 17 Branchen – darunter zum Beispiel Bereiche wie Robotik, Künstliche Intelligenz, Energie, Transportwesen oder Atomenergie –, in denen die britische Regierung nationale Sicherheitsrisiken vor allem durch Investitionen aus China befürchtet, greift nun das hybride Modell aus freiwilligen und verpflichtenden Melderegelungen. Obligatorisch angemeldet werden muss beispielsweise, wenn die Beteiligungsschwellen von 25, 50 und 75 Prozent an einem Unternehmen überschritten werden. Auch in Deutschland gibt es Meldeschwellen.
„Es ist ein scharfes Schwert, das hier geschmiedet wurde.“
Kartellanwalt Justus Herrlinger, DLA Piper
Anzahl betroffener Deals wird explodieren
Die Schärfe der Gesetzesreform zeigt ein Blick auf die Zahlen: Wurden unter dem vorherigen Gesetz seit 2002 insgesamt nur 12 M&A-Vorhaben mit Verweis auf Sicherheitsbedenken näher begutachtet, schätzt das britische Wirtschaftsministerium die Zahl der Transaktionen, die den Behörden nun zumindest gemeldet werden dürften, auf bis zu 1.800 pro Jahr. Wie viele davon letztlich näher begutachtet werden, muss sich erst noch zeigen.
Entscheidend werde sein, mit welcher Härte die britische Regierung die juristischen Blockierungsbefugnisse in der Praxis tatsächlich nutzt, betont Kartellanwalt Justus Herrlinger von der Kanzlei DLA Piper im FINANCE-Gespräch. Experten erwarten um die 100 Fälle pro Jahr, die London einer tieferen Prüfung unterziehen wird. Ein verhältnismäßig kleiner Teil von 1.800 angemeldeten Transaktionen, aber dennoch ein Vielfaches dessen, was für Käufer und Bieter bisher Usus war. „Zweifelsohne wurde hier ein scharfes Schwert geschmiedet“, konstatiert Herrlinger.
In der Praxis müssen sich Dealmaker auf ein generell höheres Ausfallrisiko potentieller M&A-Deals mit UK-Bezug einstellen. Noch mehr werden davon betroffen sein, dass sie im Falle einer Prüfung mit Mehrkosten und Verzögerungen bis zum Closing rechnen müssen. Versuche, die Meldepflichten zu umgehen, erscheinen nicht ratsam: Bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot drohen Geldbußen von 5 Prozent des Jahresumsatzes oder 10 Millionen Pfund, je nachdem was höher ist, bis hin zu fünf Jahren Freiheitsstrafe für die verantwortlichen Personen.
London könnte „Done Deals“ neu aufrollen
Mit dieser Gesetzesnovelle folgt London zwar einem weltweiten Trend zu schärferen Übernahmegesetzen und mehr politischen Kontrollmöglichkeiten für sogenannte „Foreign Direct Investments“ (FDI). Doch das neue britische Gesetz ist in einigen Punkten ungewöhnlich streng, betont Herrlinger. So rücken nicht nur Unternehmenskäufe in den Fokus der britischen Gatekeeper, sondern auch der Erwerb von reinen Assets, Lizenzen oder Patenten, und dies rückwirkend zum 12. November 2020. Es ist also denkbar, dass Transaktionen, die schon vollzogen sind, rückabgewickelt werden müssen.
Zudem will die britische Regierung ihr Argusauge nicht nur auf M&A-Deals mit originär britischen Unternehmen werfen. Es reicht, wenn das M&A-Target Umsätze in Großbritannien erzielt. Theoretisch könnten Übernahmepläne zwischen einem deutschen und einem niederländischen Konzern auf dem Schreibtisch der UK-Regierung landen. Das birgt viel rechtlichen Zündstoff, erklärt Herrlinger.
Am Ende dürfte jedoch viel von dem politischen Umgang der britischen Regierungen mit dem neuen Gesetz abhängen. Entscheide London mit Augenmaß über Wohl und Wehe geplanter M&A-Transaktionen, dürften sich internationale Investoren von dem verschärften Gesetz nicht abschrecken lassen, glaubt der Kartellanwalt. In Deutschland, so Herrlinger, wo die Außenwirtschaftsverordnung zuletzt 2021 reformiert wurde, funktioniere der M&A-Markt trotz einer Gesetzesverschärfung auch weiterhin gut.
Doch ein aktueller Fall in Deutschland zeigt, was passieren kann, wenn die Politik Deals an den errichteten Mauern abprallen lässt: Die geplante 4,4 Milliarden Euro schwere Übernahme des Chipproduzenten Siltronic durch den taiwanischen Bieter TSMC droht zu platzen – weil Berlin die Transaktion noch nicht freigegeben hat. Nach Angaben der beiden Fusionspartner hätten sie erhebliche Zugeständnisse gemacht und alle Fragen beantwortet, dennoch steht die Freigabe Berlins nach wie vor aus. Am 31. Januar könnte die Chipfusion geplatzt sein.
melanie.ehmann[at]finance-magazin.de
Melanie Ehmann ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen am M&A- und Private-Equity-Markt. Sie hat Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt studiert. Vor FINANCE arbeitete Melanie Ehmann sechs Jahre in der Redaktion des Platow Verlags, zunächst als Volontärin, später als Wirtschaftsjournalistin im Platow Brief und den Sonderpublikationen.