Gefühlt war eine Krise selten so vielfältig wie diese. Die jetzige Situation gleicht einem Flächenbrand – viele kleine Feuer, die sich zu einer großen Herausforderung auftürmen. Bereits Anfang dieses Jahres befand sich der Markt in einem Lieferengpass, der vor allem durch die nur sukzessiv mögliche Neuaufnahme von Produktionskapazitäten und eine in vielen Ländern weiterhin angespannte Covid-Lage verursacht wurde. Im Februar hat Russland einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet.
Wirtschaftlich gesehen wirkt sich der Krieg größtenteils auf den wegfallenden Absatzmarkt Russland aus. Zudem können aus der Ukraine, der sogenannten Kornkammer Europas, Rohstoffe nur in reduzierter Form exportiert werden.
Bereits im Jahr 2020 diskutierten Volkswirtschaftler der Bundeszentrale für politische Bildung, ob das Ende der Globalisierung erreicht sei. Das Ergebnis: Es käme darauf an, resilientere Lieferketten zu schaffen, Liefernetzwerke zu regionalisieren und Zulieferer stärker zu diversifizieren. Der Protektionismus der vergangenen Jahre, unter anderem offen dargestellt durch Donald Trumps Wahlslogan „Make America great again“ in Anspielung auf die patriotische Einstellung „America First“, rückt die Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer in ein ganz neues Licht.
Abnehmer-Lieferanten-Beziehung verändert sich
In der Abnehmer-Lieferanten-Beziehung hat sich das Blatt gewendet. Nur noch wenige große Händler können massive Preissteigerungen abwehren. Vielfach würden gestiegene Einkaufspreise gepaart mit hohen Energiekosten eine Preisanpassung von 10 Prozent und mehr rechtfertigen – doch nicht überall lassen sich diese weiterreichen. Fazit: Ein sogenannter Verkäufermarkt ist eingetreten.
„Ein sogenannter Verkäufermarkt ist eingetreten”
Nun liegt es am Abnehmer, die Lieferantenbeziehung dauerhaft zu stabilisieren und Lieferantenkredite zu festigen, um künftig Überraschungen zu vermeiden. Umso mehr verwundert es, dass Unternehmen im Lagebericht ihrer Jahresabschlüsse nur selten auf die Stabilität von Lieferantenkrediten eingehen, obwohl sie von diesen mitunter signifikant abhängig sind.
Um die Lieferantenbeziehung zu stärken, können Unternehmen gleichzeitig eine Reihe von Maßnahmen ergreifen. Ist das geschafft und eine verbesserte, belastbare Beziehungsebene etabliert, sollten Unternehmen weiterhin den Fokus auf das Thema Liquidität legen.
Lieferantenbeziehungen optimieren
Beziehungen zwischen Abnehmer und Lieferanten sind immer dann fruchtvoll, wenn sie die Kernelemente Vertrauen, Transparenz und Sicherheit beinhalten. Die Parteien fühlen sich wohl, wenn Risiken abschätzbar und berechenbar sind.
Dennoch besteht immer ein Risiko zwischen Abnehmer und Lieferanten, gerade in der aktuellen Zeit. Eine Möglichkeit, um das Risiko in Einkaufsverhandlungen zu reduzieren, besteht darin, Lieferanten eine Abnehmer-gebündelte Warenkreditversicherung anzubieten. Dabei hat der Abnehmer Kontrolle über ein effizientes Gesamtlimit zur Absicherung der Forderungen der Lieferanten gegen ihn selbst und allokiert dieses auf einzelne Lieferanten. Das Delkredere-, also Forderungsausfallrisiko fällt für den Lieferanten dadurch weg. Dies vereinfacht die Verkaufsverhandlung für den Einkäufer generell sowie die Vereinbarung von Zahlungszielen im Speziellen.
Zu beachten ist dabei, dass Kreditversicherer ihre Warenkredit-Limite nicht automatisch an die Inflation und somit steigende Preise anpassen. Vormals noch ausreichende Absicherungen werden oftmals bei steigenden Marktrisiken nicht entsprechend erhöht, weshalb der effiziente Einsatz des Gesamtlimits noch wichtiger wird.
Unternehmen können Forderungen vorfinanzieren
Um Lieferanten langfristig für sich zu gewinnen und dadurch stabilere Zahlungsziele und vor allem eine sichere Belieferung zu gewährleisten, können Unternehmen Lieferanten die Vorfinanzierung der Forderungen anbieten. Dabei können Abnehmer das Supply-Chain-Finance-Instrument Reverse Factoring einsetzen, das auf die Bonität des Abnehmers abstellt. Dadurch ermöglichen Unternehmen Lieferanten eine günstige Vorfinanzierung zu marktüblichen Zahlungszielen.
Wenn die Belieferung gesichert ist, sollte die Finanzabteilung das Thema Liquidität frühzeitig angehen, um für alle Fälle vorbereitet zu sein. Hierbei kann mit Blick auf begrenzte Verschuldungskapazitäten und für Hausbanken wichtige Ratingklassifizierungen eine Finanzierung über Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung eine Lösung sein. Bei dieser Finanzierung begleicht der Finanzierungspartner des Abnehmers Rechnungen zu einem mit dem Lieferanten vereinbarten Zahlungsziel, der Abnehmer zahlt aber erst nach weiteren 60 Tagen an den Finanzierungspartner zurück. Weiterer Vorteil: Solch eine Finanzierung belastet die wichtige Bankenkennzahl „zinstragende Verbindlichkeiten“ (Interest Bearing Debt, IBD) nicht und ermöglicht dadurch größere finanzielle Freiheit und Finanzierungssicherheit.
Wichtig ist, dass Unternehmen in volatilen Zeiten für Stabilität sorgen und das Risiko in Lieferantenbeziehungen minimieren. Gerade jetzt, wo Rohstoffe aus verschiedenen Gründen knapp sind und teurer werden, eignen sich solche Tools für CFOs und Krisenmanager, um langfristig und nachhaltig Ziele zu erreichen – ohne böse Überraschungen.
Dr. Tim Scheuerer leitet die Bereiche Marketing und Sales bei dem BaFin-regulierten Supply Chain Finance & Insurance-Fintech Delfactis. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit innovativen Finanzierungs- und Absicherungskonzepten für den deutschen Mittelstand.