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So nutzt Evonik Continuous Accounting

Evonik digitalisiert seine Finanzabteilung. Ein wichtiger Teil dabei: Das Continuous Accounting.
Evonik Industries AG

Jeder Buchhalter kennt es: Zum Ende des Geschäftsjahres wird der Job noch einmal so richtig stressig. Wenn die Daten aller Unternehmensbereiche konsolidiert und der Geschäftsbericht finalisiert werden muss, stehen Stress und Überstunden an der Tagesordnung, Urlaub nehmen ist tabu. Bei Unternehmen, die Halbjahres- oder Quartalsberichte veröffentlichen, stehen solche Spitzen noch öfter an der Tagesordnung.

Doch das muss kein Dauerzustand bleiben. „Mit neuen Technologien sind wir inzwischen in der Lage, die Spitzen abzuflachen“, meint Rainer Wollmann, Managing Partner bei dem Beratungshaus SIR Consulting, das sich auf Controlling-, Reporting- und Accounting-Themen spezialisiert hat. Der Begriff dafür heißt Continuous Accounting.

Die Idee: „Anstatt den Großteil der Arbeit – oftmals manuell – zum Ende einer Berichtsperiode zu machen, sorgen Automatisierungsprozesse dafür, dass viele Abschlussaufgaben kontinuierlich erledigt werden“, erklärt Wollmann. In einer perfekten Welt ergibt das dann zu jeder beliebigen Zeit relevante Konzernabschlusszahlen auf Knopfdruck – das freut nicht nur die Buchhalter, sondern auch den CFO, Vorstandsmitglieder und externe Adressaten.

Evonik-CFO Wolf treibt Digitalisierung voran

Aus diesem Grund hat sich auch Evonik des Themas angenommen. Doch das Continuous Accounting ist nur Teil eines größeren übergreifenden Digitalisierungsprozesses in der Finanzabteilung des Spezialchemiekonzerns. Bereits 2013 haben die Essener in einem ersten Schritt mit rein prozessualen Abschlussoptimierungen begonnen, später dann stärker unterstützt von Automatisierungslösungen, berichtet Wolfgang Patommel, Head of Processes & Transformation Evonik. „Im Sinne eines Fast-Close-Ansatzes war es zunächst unser Ziel, Prozesse im Accounting schneller und effizienter zu machen. Damit sind wir ein gutes Stück vorangekommen – der nächste Schritt ist nun das Continuous Accounting.“

Das Ziel des MDax-Konzerns: „Die Arbeitsspitzen, die jetzt zum Ende des Monats anfallen, abzuflachen und so auch Abweichungen von der Planung oder Fehler in der Rechnungslegung bereits untermonatlich zu sehen.“ Unterstützt wird diese Entwicklung auch von Finanzchefin Ute Wolf.

„Es hängt stark vom Geschäftsmodell ab, welcher Zeitraum sinnvoll ist. Operativ können Echtzeitzahlen wichtig sein, strategisch aber nicht unbedingt“, meint Rainer Wollmann von SIR Consulting. „Wichtig ist es zu definieren, was der genaue Scope eines solchen Projektes ist, welche Zahlen wem in Echtzeit verfügbar sein sollten und welche Erkenntnisse hieraus ableitbar sind.“

Continuous Accounting geht nicht ohne Automatisierung

Bei Evonik ist die Entwicklung hin zum Continuous Accounting aber noch keineswegs abgeschlossen. Gerade bei Großkonzernen ist es ein langwieriger Prozess, der einige Jahre in Anspruch nehmen kann. Die wichtigsten Schritte dahin liegen in der Automatisierung vieler Prozesse, die zuvor manuell waren.

„Gerade erst haben wir zum Beispiel den Prozess der Cash Application automatisiert“, berichtet Mattias Malki, Strategic Accounting Specialist for Digital Transformation & Change bei Evonik. So werden jetzt etwa 80 Prozent der Zahlungseingänge automatisch verarbeitet – oft betrifft das gleich mehrere Rechnungen, somit entfallen auch Abstimmungsarbeiten.

„Wir haben schon bis zu 75 Prozent der Rechnungsprüfung automatisiert. Dabei werden die Rechnungen von zum Beispiel einem Lieferanten automatisch eingelesen und die Zahlung maschinell freigegeben“, berichtet Malki. Neben einer Effizienzsteigerung im P2P-Prozess (Purchase to Pay) sind darüber hinaus für den Cash Flow relevante Informationen somit deutlich schneller verfügbar.

Mit SAP S/4 Hana zum Continuous Accounting

Die wichtigste Voraussetzung dafür ist allerdings eine einheitliche Datenplattform für alle Konzerngesellschaften – nur dann kann effizient auf alle Daten zugegriffen und ein konsolidierter Finanzbericht erstellt werden. „Für viele Unternehmen ist das noch eine große Herausforderung, die sie erst noch stemmen müssen“, weiß Rainer Wollmann von SIR Consulting.

Evonik selbst ist gerade auf dem Weg dahin: „Unsere ERP-Plattform deckt mehr als 90 Prozent des Konzerns ab, nur wenige neu zugekaufte Gesellschaften sind noch nicht drauf“, berichtet Evonik-Manager Patommel. Der nächste Schritt wird die Einführung von SAP S/4 Hana sein, die um Pfingsten herum stattfinden soll.

Das Continuous Accounting selbst sieht Evonik aber auch nur als einen Meilenstein auf dem Weg zur Digitalisierung der Finanzabteilung – als nächstes wollen die Essener mithilfe von Predictive Accounting bessere untermonatliche Vorhersagen machen. „Continuous Accounting sehen wir als Enabler für Predictive Accounting. Unser Ziel ist es, untermonatlich so gut wie möglich vorherzusagen, wie die Lage am Ende des Monats sein wird“, sagt Wolfgang Patommel.

Mit Echtzeitdaten durch Krisen

Auch wenn der Aufwand groß ist, Evonik ist von dem Ansatz überzeugt – die Coronavirus-Krise hat die Finanzabteilung des Konzerns sogar noch darin bestärkt. „Gerade zu Beginn der Krise war es extrem wichtig, den Cashflow permanent im Auge zu behalten. Da haben wir sehr von den Bemühungen der Vorjahre profitiert, aber auch gesehen, was wir noch besser machen müssen“, so Patommel.

Solche konkreten Anwendungsfälle helfen auch dabei, die anderen Mitarbeiter von den Änderungen zu überzeugen. Gerade wenn es um die Digitalisierung von Arbeitsprozessen geht, schwingt bei vielen Mitarbeitern auch die Angst vor dem Job-Verlust mit. „Wir versuchen sehr transparent zu kommunizieren, wie neue Technologien das Job-Profil einzelner verändern können“, berichtet Mattias Malki von Evonik. Nicht jeden könne man mitnehmen, aber alle Mitarbeiter bekämen die Möglichkeit einer Weiterbildung. „Klar ist, dass mehr Zeit für Analyse bleibt. Und das schätzen viele.“

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Info

In vielen Finanzabteilungen ist die Digitalisierung auf dem Vormarsch – doch noch gibt es erhebliche Unterschiede in der Entwicklung. Mehr dazu finden Sie auf unseren Themenseiten zu SAP S/4 Hana sowie Robotics und Künstliche Intelligenz.

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.