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Ahnungslos durch die Nacht

sduben/iStock/Thinkstock/Getty Images

Ein gutes neues Jahr wünsche ich Ihnen, liebe Leser. Wie bereits im vergangenen Blog angesprochen, möchte ich zum Beginn eines neuen Geschäftsjahres das Prinzip der Rolling Forecasts diskutieren – als produktive Alternative zu starrer Planung und Budgetierung. Aber fangen wir  am Anfang an. Wissen Sie eigentlich, ob die in der Vorweihnachtszeit verhandelte Budgetierung 2014 Anfang Januar 2015 überhaupt noch verwendet wird?

Intuitiv gehen viele von uns davon aus, dass es sich beim Budget um ein Werkzeug handelt, das uns bei der Konkretisierung unserer Zielvorstellungen hilfreich ist. Meistens ist es gar nicht so – abgesehen vielleicht von der Budgetierung von Absatz und Vertrieb, wo konkrete Vorstellungen zu Absatz, Stückzahl und Produktmix definiert werden.

Was aber ist mit der restlichen Organisation? Was geben hier die „verhandelten“ Budgets vor?  Meist gar nichts. Oft haben sie weniger als einen Monat nach ihrer Aufbereitung ausgedient. Praktisch gesehen werden sie ja oft auch nur erstellt, um die Finanzbudgetierung zu ermöglichen. Mit Planung hat das wenig zu tun, und schon bald widmet sich die Organisation wieder ihren liebgewonnenen Gewohnheiten. Eigentlich bewegt sich der Betrieb Jahr für Jahr mehr oder weniger „ahnungslos durch die Nacht“. Das führt zu der Frage: Wo in der Organisation und wofür muss überhaupt budgetiert werden?

Rolling Forecasts in wenigen Bereichen sind genug

Es ist gut möglich, dass nicht alle Kostenstellen einer Organisation budgetieren müssen, sondern nur jene, die sich in einem dynamischen Marktumfeld bewegen  oder von hoher Komplexität geprägt sind. Dort muss geplant werden, und dies geht nun eben besser mit „Rolling Forecasts“ statt mit jährlichen Budgets. Worauf sollte man sich dabei fokussieren?

Im Prinzip könnte man rollierende Planung einführen, indem man die Mitarbeiter einfach beauftragt, quartalsweise die Geschäftsentwicklung für fünf Quartale im Voraus zu beschreiben und planen. Wichtig dabei ist es aber, dass nach einem einheitlichen Template gearbeitet wird, so dass jeder in der fortlaufenden Planung die Entwicklung von Cash, Kosten und Kunden berücksichtigt. Hier geht es darum, wie die Mitarbeiter dazu beitragen: a) Liquidität herbeizuführen beziehungsweise freizusetzen, b) Kosten zu senken und c) Mehrwert für interne oder externe Kunden zu schaffen.

Excel-Tabellen sind nicht das richtige Werkzeug, um Mitarbeiter dazu zu bewegen, sich gedanklich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Was sie brauchen, ist Orientierung, und die kann nur ein  Wirtschaftsplan liefern, der  klar beantwortet, womit sich die Organisation nicht auseinandersetzen muss. Es ist also Aufgabe der Geschäftsführung, im Vorfeld mögliche Ergebnisse zu prognostizieren und zu kommunizieren, um daraus Trade-offs festzulegen – ganz konkret, wie weniger von A zu mehr von B führen soll, im Sinne von Strategie, Struktur und Prozessen. Rollierende Forecasts können nur dann erfolgreich werden, wenn Mitarbeiter laufend die Unternehmensführung mit- und fortschreiben können.

Organisation mit ahnungslosen Chefs ist schwierig

In der Vergangenheit hat die sogenannte „Beyond Budgeting“-Bewegung diesen Ansatz mit dem Schlagwort der radikalen Dezentralisierung geprägt.  Meistens funktioniert das nicht – insbesondere dann nicht, wenn eine Geschäftsführung, die sich strategisch ins Neverland bewegt hat, plötzlich auf die Idee kommt, mehr Kooperation und Engagement von der Organisation zu fordern.

Rolling Forecasts setzen voraus, dass eine Geschäftsführung eng mit der mittleren Führungsebene zusammenarbeitet und die Ziele und Rahmenbedingungen klar kommuniziert. Organisation mit einer ahnungslosen Geschäftsführung ist zwar durchaus möglich. Nach der Einführung von Rolling Forecasts wird es damit aber schwer. Denn diese Technik soll ja mit sich bringen, dass (planende) Mitarbeiter sich regelmäßig intensiv mit Unternehmensstrategie, -Struktur und -Prozessen auseinandersetzen, als Frage der Pflicht, Verantwortung und Rolle des einzelnen Mitarbeiters – und dazu gehört natürlich auch die Geschäftsführung.

Rolling Forecasts sind kein Technologieprojekt

Manager, die selbständig planen, arbeiten oft mit sehr unterschiedlichen Zeitfenstern.  Das ist grundsätzlich weder verkehrt noch ein Problem – es sei denn, die Gesamtkoordination bleibt aus.  Darüber hinaus muss sich die Geschäftsführung gelegentlich damit beschäftigen, ineffizient und nutzlos gewordene Arbeitsprozesse auszumisten. Auch nach der Einführung von Rolling Forecasts bleibt es also wichtig, sich die Frage zu stellen: Wer braucht die Forecasts für welche Zwecke und mit welchem Zeithorizont?

Die Menge der ausgearbeiteten Forecasts sollte dazu führen, dass drei Grundsatzfragen mit neuer Klarheit bearbeitet werden können. Dazu zählt auch der Umgang der Mitarbeiter, und zwar  a) mit ihrer strategischen Pflicht, Liquidität freizusetzen; b) mit ihrer strukturellen Verantwortung, Kosten zu senken beziehungsweise zu stabilisieren, und c) mit ihrer prozessbezogenen Rolle in der Schaffung von Mehrwert für interne und/oder externe Kunden.

Um die Komplexität zu reduzieren, können hier neue Techniken eingesetzt werden, beispielsweise die „Bandbreiten-Budgetierung“, die auf Monte Carlo-Simulationen basiert. Die Einführung von Rolling Forecasts ist aber nicht vorrangig ein Technologieprojekt. Es müssen Synergien gefunden werden zwischen den verschiedenen Initiativen innerhalb des Unternehmens, damit man gemeinsam auf ein Ziel zusteuert.   Dafür ist die Geschäftsführung zuständig.

Typische Fehler bei der Einführung neuer Planungsansätze

Zum Abschluss eine Aufforderung an Sie: Glauben Sie mir, es gibt keine Industrie-„Best Practices“ zum Thema Rolling Forecasts. Wer behauptet, Best Practice zu kennen, kann dies meist nicht mit Daten belegen, die mit Ihrem Unternehmen vergleichbar sind. Daher auch meine Bitte an Sie: Nur weil eventuell gerade ihre gegenwärtige Budgetierung stockt, verstehen Sie Planung bitte nicht als hoffnungslos und als etwas, was von einem Fremdbild angetrieben werden muss.

Zweitens: Versuchen Sie bitte nicht, die Einführung von Rolling Forecasts durch die Zusage von zusätzlicher variabler Vergütung vorantreiben zu wollen. Alle Forschung zeigt, dass Vergütung gemäß Budget-Performance einen äußerst relativierenden Effekt auf das in der Planung ausgewiesene Ambitionsniveau von Managern und Mitarbeitern hat. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, variable Zusatzvergütung hätte überhaupt keinen positiven Zweck. Variable Zusatzvergütung sollte aber immer an faktische Verbesserungen geknüpft sein und nicht an deren Pläne. Denn sonst werden diese Pläne nur dafür geschrieben, die Auszahlung der variablen Vergütung zu sichern.

Drittens: Stellen Sie sicher, dass Sie mit einem realistischen Planungshorizont loslegen! Dieser sollte eher kurz- als langfristig sein, denn eine zu langfristige Perspektive zerstört leicht die Wahrnehmung von Pflicht, Verantwortung und Rolle im Hinblick auf Cash, Kosten und Kunden im Rahmen der gegenwärtigen Strategie, Struktur und Prozesse.

Die wichtigste und erste Herausforderung besteht jedoch darin, die Einführung von Rolling Forecasts als eine vorausschauende und fortlaufende Integrationsaufgabe des Unternehms zu verstehen – bottom-up sowie top-down. Koordinieren Sie atemlos und vernichten Sie bitte ahnungslos – so bleiben Sie schwindelfrei!

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Niels Dechow, PhD, ist Professor für Unternehmensrechnungslegung und Controlling an der European Business School (ebs). Für FINANCE bloggt er regelmäßig zu den neuesten Trends im Controlling. Alle Beiträge seines Blogs „Controlling 2020“ finden Sie hier.