Newsletter

Abonnements

Darmstadt 98: Zahltag oder großer Ausverkauf?

Lilien-Stürmer Sandro Wagner steht angeblich vor dem Absprung. Clubs aus England sollen Darmstadt 98 angeblich mehr als 10 Millionen Euro bieten.
Arne Dedert/dpa/picture alliance

Seit wenigen Tagen ist die Fußballsaison 2015/2016 in den meisten europäischen Profi-Ligen vorbei. Während in der englischen Premier League der Sensationsmeister aus Leicester gefeiert wird, hat die Bundesliga in der abgelaufenen Saison ihr eigenes kleines Fußballmärchen zu erzählen.

Der SV Darmstadt 98 hat entgegen aller Erwartungen die Klasse gesichert. Nicht nur sportlich ist das ein großer Erfolg für den Verein: „Der Klassenerhalt wäre für uns finanziell ein Segen“, hatte Finanzchefin Anne Baumann noch Ende März in einem Interview mit FINANCE gesagt, als noch nicht sicher war, in welcher Liga die „Lilien“ in der nächsten Saison spielen würden.

Tatsächlich kann sich die Schatzmeisterin auf einen Geldregen freuen. Allein aus den Fernsehgeldern plant Darmstadt 98 mit etwa 23 Millionen Euro. In der Zweiten Liga wären es nur 7 bis 8 Millionen Euro gewesen. Das gesamte Budget für den Kader in der abgelaufenen Saison belief sich auf 15 Millionen Euro. Zum Vergleich: Beim Rekordmeister aus München soll allein Franck Ribery laut unbestätigten Medienberichten 12 Millionen Euro jährlich verdienen.

Darmstadt 98 winken Millionen durch Spielerverkäufe

Aber nicht nur die Fernsehgelder spülen ordentlich Geld in die Kasse: Darmstadt 98 winken in diesem Sommer erstmals nennenswerte Transfererlöse, und diese Millioneneinnahmen fallen auf einen sehr ausgedörrten Boden, denn die Lilien haben in den vergangenen zehn Jahren laut transfermarkt.de nur etwas mehr als 1 Million Euro durch Spielerverkäufe eingenommen.

Der teuerste Abgang war der Kroate Ivo Ilicevic, der im Sommer 2007 für 600.000 Euro zum VfL Bochum wechselte. Ilicevic wird in diesem Sommer in der Rangliste deutlich nach unten rutschen. Sandro Wagner, mit 14 Saisontoren Top-Stürmer der Lilien in der abgelaufenen Spielzeit, kam vor der Saison ablösefrei nach Darmstadt. Jetzt will er wechseln, vermutlich nach England. Im Raum steht eine Ablösesumme von über 10 Millionen Euro – eine neue Finanz-Dimension für die kleinen Darmstädter.

Auch andere Leistungsträger werden den Verein verlassen: Der Wechsel von Torwart Christian Mathenia zum Hamburger SV für kolportierte 800.000 Euro ist bereits offiziell. Auch Außenstürmer Marcel Heller (Marktwert: 1,75 Millionen Euro) sowie der torgefährliche Innenverteidiger Aytac Sulu (Marktwert: 1,5 Millionen Euro) haben Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz geweckt. Die Lilien möchten beide Stammspieler halten – fraglich ist, ob sie das können, wenn finanzstärkere Vereine ihr Portemonnaie aufmachen.

Die Lilien sind nahezu schuldenfrei

Diese Situation  war vor wenigen Jahren kaum abzusehen. 2008 musste der Traditionsverein Insolvenz anmelden. In den darauffolgenden Saisons dümpelte Darmstadt 98 in der Dritten und Vierten Liga herum. Doch dann gelang der Durchmarsch in die Bundesliga. In den Club-Finanzen hat sich der rasante Aufstieg niedergeschlagen. Seit 2008 ist der Etat von 3 auf 40 Millionen Euro angeschwollen. Heute ist der frühere Pleite-Verein saniert und nahezu schuldenfrei.

Trotzdem können die Lilien die absehbaren Transfererlöse und Fernsehgelder nicht eins zu eins in den Kader reinvestieren. Zum einen wird die aktuelle Mannschaft teurer – wie immer bei sportlichem Erfolg. Zum zweiten müssen die Abgänge ersetzt werden, und Trainer Dirk Schuster hat schon angekündigt, dass er sich diesen Sommer nicht nur auf der Resterampe des Transfermarkts umsehen wird.

Erste Wunschkandidaten sollen die derzeit vertragslosen und damit ablösefreien langjährigen HSV-Profis Artjoms Rudnevs und Gojko Kacar sein. Beide sind gestandene Bundesligaspieler. Profis von diesem Schlage dürften aber nicht günstig sein: Rudnevs soll zuletzt 1,5 Millionen Euro verdient haben, Kacar sogar 1,9 Millionen Euro.

Riesiger Investitionsstau bei Darmstadt 98

Vor allem aber türmt sich über den Lilien ein gewaltiger Investitionsstau bei der Infrastruktur auf. Stadion, Geschäftsstelle, Trainingsgelände, Nachwuchszentrum – so gut wie alles, was im Umfeld der Lilien auf Steinen und nicht auf Beinen ruht, ist veraltet. Die Modernisierung des Stadions – mit 33 Millionen Euro budgetiert – wird zum größten Teil die öffentliche Hand finanzieren. Doch anschließend wird den Lilien mit Sicherheit eine saftige Mieterhöhung ins Haus stehen.

Und die Infrastruktur drum herum liegt bei praktisch allen Bundesligisten in der Hand der jeweiligen Vereine. Für Investitionen gibt es im besten Fall mickrige Zuschüsse von Stadt und Land. Wenn die Lilien ihre Arbeitsbedingungen auf Bundesliganiveau heben möchten, würde dies wahrscheinlich sogar mehr Geld verschlingen, als die Rekordtransfers in diesem Sommer einbringen werden. Das Management muss jetzt wegweisende Entscheidungen treffen.

jakob.eich[at]finance-magazin.de

Info

Das Porträt zu Darmstadt-Finanzchefin Anne Baumann sowie die ausführliche Geschichte der Lilien finden Sie im aktuellen FINANCE-Magazin, das Sie hier als E-Paper downloaden können.

Info

Mehr Analysen zu den Finanzen der Bundesligavereine finden Sie im FINANCE-Blog 3. Halbzeit.

Jakob Eich ist Redakteur der Fachzeitungen FINANCE und DerTreasurer des Fachverlags F.A.Z Business Media, bei dem er auch sein Volontariat absolviert hat. Eich ist spezialisiert auf die Themen Digitalisierung im Finanzbereich und Treasury. Durch seine Zwischenstation bei der Schwesterpublikation „Der Neue Kämmerer“ ist der 1988 geborene Journalist auch versiert beim Thema Kommunalfinanzen. Erste journalistische Erfahrungen hat der gebürtige Schleswig-Holsteiner in den Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr sowie in der Sportredaktion der Hamburger Morgenpost gesammelt.