Mit „Whatever it takes“ wird der scheidende EZB-Chef Mario Draghi in Erinnerung bleiben – und tatsächlich hat er einiges unternommen, um den Fortbestand des Euros zu sichern. Im Rückblick finden seine Maßnahmen allerdings nicht nur Lob: „Die EZB hat bei der Krisenbewältigung oft überhastet und ineffizient agiert“, findet Falko Fecht, Professor für Financial Economics an der Frankfurt School of Finance & Management. Die expansive Geldpolitik durch das 2015 aufgesetzte „Qantitative Easing“ war aus seiner Sicht das falsche Instrument.
Auch die Marktbeobachter des Bankhauses Metzler ziehen eine durchwachsene Bilanz der Draghi-Jahre: Einerseits sei die geldpolitische Unterstützung „vielfach notwendig und sinnvoll“ gewesen, jedoch hätten die europäischen Währungshüter Chancen verstreichen lassen, um die Zügel wieder anzuziehen.
Wie verändert Christine Lagarde den EZB-Kurs?
Doch wird die EZB auch unter Christine Lagarde bei ihrer lockeren Geldpolitik bleiben? Fecht geht davon aus: Zwar könne der Wechsel an der EZB-Spitze eine Gelegenheit sein, das geldpolitische Instrumentarium einmal kritisch zu überprüfen und über einen Paradigmenwechsel nachzudenken – dass es dazu kommt, fände Fecht zwar wünschenswert, aber er glaubt nicht daran.
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Wer unter Lagarde auf eine rasche Zinswende hofft, dürfte enttäuscht werden, glaubt auch Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB. Er geht sogar davon aus, dass Lagarde weitere Zinssenkungen des zuletzt auf minus 0,5 Prozent gesenkten Einlagenzinses verkünden wird – bis zu minus 0,75 Prozent sind nach seiner Einschätzung möglich. „Auf eine Zinswende werden wir noch lange warten“, prognostiziert er im Talk bei FINANCE-TV. Nicht zuletzt deshalb, weil derzeit die personelle Mehrheit im EZB-Rat für eine lockere Geldpolitik stehe.
BayernLB-Chefvolkswirt erwartet EZB-Aktienkäufe
Obwohl es im EZB-Rat bei der Entscheidung für erneute Anleihekäufe unlängst zum Konflikt zwischen den geldpolitischen Tauben und Falken kam, kann sich Ökonom Michels sehr gut vorstellen, dass das Kaufprogramm unter Christine Lagarde sogar noch auf weitere Anlageklassen ausgeweitet werden könnte. Dann könnte die EZB sogar Aktien kaufen. „Es gibt für das geplante Kaufprogramm auf Dauer nicht genügend Staatstitel, in die die EZB investieren könnte“, fasst er das Dilemma zusammen. Schon Ende 2020 könnten Aktien auf die Kaufliste kommen.
Als größte Herausforderung für die Amtszeit der Französin sieht Michels es an, die Wirtschaft auf ein Ende des billigen Geldes vorzubereiten. Der Vergleich, den er in diesem Zusammenhang anstellt, ist wenig schmeichelhaft: „Der Ausstieg muss schrittweise erfolgen, wir brauchen eine Art Methadonprogramm.“
„Wir brauchen eine Art Methadonprogramm.“
Lagarde punktet gegenüber Draghi mit Diplomatie
Die Rückkehr zur Normalität ist jedoch für die EZB-Verantwortlichen allein schwer zu stemmen. Adalbert Winkler, Professor für International and Development Finance an der Frankfurt School of Finance & Management, wirft Mario Draghi vor, während seiner Amtszeit zu zaghaft Unterstützung von anderen Politikbereichen eingefordert zu haben, um beispielsweise die Preisstabilität zu sichern. Doch gerade im Dialog mit anderen könnte Lagarde nun punkten, glaubt BayernLB-Chefvolkswirt Michels: „Sie ist eine sehr geschickte Diplomatin.“
Auch bei Metzler Capital Markets sieht man eine Chance darin, dass die neue EZB-Chefin eine erfahrene Politikerin ist. Möglicherweise könne Lagarde sich besser durchsetzen, wenn es darum gehe, politische Entscheidungen zu erwirken, die die Geldpolitik flankieren: „Vielleicht kommen wir mit der neuen EZB-Präsidentin dank einer besser aufeinander abgestimmten Geld- und Fiskalpolitik endlich aus dem Teufelskreis heraus, der immer neue Liquiditätsspritzen erfordert, ohne dass parallel dazu Reformen angestoßen und unterstützende fiskalpolitische Schritte eingeleitet werden“, hofft Metzler-Stratege Sebastian Sachs.
Info
Ein ausführliches Gespräch mit BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels über den Wechsel an der EZB-Spitze sehen Sie hier bei FINANCE-TV.