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In was für ein Auto würden Sie lieber einsteigen? In eines mit klemmendem Gaspedal oder in eines mit zu hohem CO2 Ausstoß?
VW

VW erlebt gerade das größte Desaster seiner Unternehmensgeschichte. Dieselgate kostet die Wolfsburger zig Milliarden. Schlüsselpersonal verlässt das Unternehmen. Die langfristigen Auswirkungen auf die Absatzmärkte sind aktuell unklar. Die Reputation ist im Keller.

So schnell kann es gehen. Jahrzehntelang pflegte VW den Ruf eines verlässlichen Partners, der  Qualität liefert. Und in nur wenigen Wochen ist das Image vollständig ruiniert. Da werden schnell Parallelen zum Fall Toyota gezogen. Die Japaner hatten 2009 mit klemmenden Gaspedalen zu kämpfen und verloren in der Folge spürbare Marktanteile in den wichtigsten internationalen Märkten. Nur mit einem beispiellosen Kraftakt konnte sich Toyota über die Jahre wieder erholen.

Reputation ist nicht gleich Reputation

Auch der ADAC stand Anfang 2014 ziemlich gelackmeiert da. Es kam zum Vorschein, dass der jährlich vergebene Autopreis „Gelber Engel“ manipuliert wurde. Siemens schließlich flog im Jahr 2006 ein beispielloser Korruptionsskandal um die Ohren. Es hagelte Rekord-Geldstrafen und Verhaftungen. Auch in diesen beiden Fällen überschlugen sich Presse und „Fachleute“ mit schnellen und harten Urteilen. Von immensen Rufschäden und unwiederbringlichem Vertrauensverlust war die Rede.

Doch in der Folge passierte… nicht viel! Der ADAC hielt seine Mitgliederzahl konstant und die nachhaltigen Siemens-Umsätze zeigten sich völlig unbeeindruckt. Nicht einmal der Aktienmarkt interessierte sich groß für die Korruptionsaffäre des Münchner Elektronikriesen. Nachteile bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter sind bei Siemens bis heute auch nicht zu konstatieren. Doch warum wird Toyota von den Kunden abgestraft, aber der ADAC nicht? Warum ist Reputation nicht gleich Reputation?

Was wirklich zählt

Was bei Toyota passiert ist, trifft den Kern des Geschäftsmodells. Kein Kunde will sich in ein Auto setzen und Angst haben, dass er an der nächsten Kreuzung die Kontrolle über den Wagen verliert. Aber wofür lieben die Mitglieder ihren ADAC? Für den hervorragenden Pannenservice. Die Auszeichnung „Gelber Engel“ ist den meisten egal. Und glauben die Siemens-Kunden nicht mehr an das Preis-Wert-Versprechen des Konzerns, weil dieser sich unlauter Aufträge ergattert hat? Nein.

Um nicht missverstanden zu werden: die Verfehlungen sind in keiner Weise Kavaliersdelikte, dürfen nicht passieren und sind klar zu missbilligen. Auch gibt es andere Stakeholder als die Kunden, die auf die Vorkommnisse sicher differenzierter reagieren. Aber die Erkenntnis, dass Reputation nicht gleich Reputation ist, ist wichtig für ein modernes präventives Wertemanagement. Und das bedeutet konkret: Unternehmen haben knappe Ressourcen. Sie müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Dort, wo es zählt, muss das Reputationsrisiko auf ein Minimum gesenkt werden und das Reputationskapital ausgebaut werden. In anderen Bereichen muss man aber zwangsläufig mit etwas offeneren Flanken leben. Dies ist ein knallharter analytischer Prozess. Bewertungsfragen und Budgetierungen müssen geklärt werden. Schwerpunkte müssen gesetzt werden. Es geht heute nicht mehr um ein holistisches Reputationsmanagement à la Gießkanne, sondern um ein finanzorientiertes, zielgerichtetes Reputationsmanagement.

Better the Devil you Know

Das mögen manche zynisch finden. Aber ist ein finanzorientiertes Werte-Management wirklich moralisch falsch? Wohl kaum. Der Markt zwingt Unternehmen sowieso mit der Zeit, sich auf Finanzwirkungen zu konzentrieren. Und man kann in unserer Welt nicht Diener aller Herren sein. In einigen Jahren wird daher vermutlich genau diese Ökonomisierung der Unternehmensreputation aus unserem Wirtschaftsleben kaum mehr wegzudenken sein.

Es ist nicht sinnvoll, zu warten, bis Marktwirkungen die Unternehmen zu einem finanzorientierten Management der Reputation zwingen. Heute ist der beste Zeitpunkt, um selber präventiv tätig zu werden. Reputationsmanagement sollte intensiv in das finanzorientierte Management des Unternehmens eingebettet werden. Alle Chancen und Risiken gehören auf den Tisch. Die Verantwortung hierfür muss angesichts der enormen Wertwirkungen und der Bewertungslastigkeit des Themas beim obersten quantitativen Finanzmanager im Unternehmen angesiedelt werden: dem CFO. Die bisherige Praxis, das Kommunikations-Department (deckt nur einen kleinen Teil des Reputationsmanagements ab, häufig nur ex-post tätig) oder das Risikomanagement (zu einseitig auf Downside fokussiert) zu betrauen, ist dagegen überholt.

Und was wird aus Volkswagen?

Klar ist: VW muss mit vielen Stakeholder-Problemen kämpfen. Die genauen Konsequenzen der Verstimmung von Aufsichtsbehörden und Mitarbeitern sind schwer abzuschätzen. Eine kleine Entwarnung wollen wir aber für die wichtige Kundenfront geben: Vergleichen wir VW doch mal mit Toyota. In was für ein Auto würden Sie lieber einsteigen? In eines mit klemmendem Gaspedal oder in eines mit zu hohem CO2 Ausstoß? Sehen Sie!  Das ist – zugegebenermaßen zynisch gesprochen – ein wichtiger Aspekt des finanzorientierten Reputationsmanagements.

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Dr. Matthias Meitner ist Professor für Finance und Accounting an der International School of Management (ISM) und Leiter des Experten-Netzwerks „Equity Valuation and Analysis“ der CFA Society Germany.

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