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FIFA: „Wie im chinesischen Volkskongress“

Herr Pieth, Sie haben Ende 2013 Ihr Amt als Korruptionswächter bei der FIFA niedergelegt. Damals haben Sie das Fazit gezogen, dass bei der FIFA die notwendigen Compliance-Strukturen nun angelegt wären, denen der Fußballweltverband nun selbst Leben einhauchen müsste. Die aktuellen Korruptionsvorwürfe – besonders mit Blick auf mögliche Schmiergelder bei der WM-Vergabe nach Katar – lassen allerdings ganz und gar keine positiven Zukunftsprognosen zu. Hat sich bei der FIFA wirklich etwas verändert?

In einigen Bereichen ja. Mittlerweile gibt es zum Beispiel eine unabhängige Verbandsjustiz, die vergangene Fälle aufarbeitet. Aber an entscheidenden Stellen kommen die Reformen nicht voran. Auch wenn die FIFA rechtlich „nur“ ein Verein ist, hat sie mittlerweile das Format eines multinationalen Unternehmens angenommen und damit auch alle Probleme, wie sie internationale Konzerne wie Siemens in Deutschland oder Nestlé in der Schweiz haben – deshalb braucht der Verband auch vergleichbare Compliance-Strukturen. Das heißt: Unabhängige Direktoren, die vor ihrer Berufung Due-Diligence-Tests unterzogen werden und typische Elemente eines Compliance-Management-Systems wie eine Hotline für Whistleblower.

Was davon ist umgesetzt worden?
Eine Hotline existiert mittlerweile, und sie funktioniert meines Wissens nach auch. Aber gerade in Personalfragen passiert nichts. Die FIFA hat zwar mit Domenico Scala, dem Vorsitzenden der Audit- und Compliance-Kommission, nun einen unabhängigen Kontrolleur, der auch die Finanzen überwacht, aber das Exekutivkomitee sperrt sich weiter gegen Kontrollen. Sie sind nicht bereit, ihre Verdienste offenzulegen, wollen keine Integritätstests und keine Alters- oder Amtszeitbeschränkungen. Gerade letzteres hätte auch für Sepp Blatter klare Verhältnisse geschaffen und würde allgemein dafür sorgen, dass sich keine Seilschaften zementieren.

In einem Unternehmen wäre eine solche Haltung des Managements undenkbar – abgesehen davon, dass ein Geschäftsführer, der dermaßen in der Kritik steht wie Blatter, seinen Posten längst auf Druck der Stakeholder hätte räumen müssen. Ist das ein strukturelles Problem der FIFA, dass es genau diesen Druck von außen nicht gibt?
Ja, in der Tat. Es gibt zwar immer wieder Druck durch die Medien, aber das ist sehr selektiv. Intern existiert keine Handhabe, um Reformen wirklich umzusetzen. Die Vereinsversammlung als oberstes Organ ist extrem schwerfällig, da ist keine eigene Willensbildung möglich, das ganze Gremium ist leicht manipulierbar. Wenn der Chef etwas vorschlägt, stimmen alle zu. Das ist wie im chinesischen Volkskongress. Eigentlich müsste die FIFA weiterhin von einer unabhängigen Kommission betreut werden.

Wieso passiert das nicht?
Weil der FIFA anders als einem Unternehmen keine Governance-Reformen oder Compliance-Monitore aufgezwungen werden können. All diejenigen, die sich für so etwas einsetzen könnten, sind in erster Linie an der eigenen Bereicherung und nicht an einer Strukturverbesserung interessiert. Die taugen als Aufseher nicht.

Mal abgesehen von den massiven negativen Konsequenzen wie Schadensersatzklagen aus Katar, die eine Neuvergabe der Katar-WM zur Folge hätte, sollten sich die Bestechungsvorwürfe bewahrheiten: Wäre das für die FIFA aus Compliance-Sicht ein heilsamer Schock?
Davon bin ich überzeugt. Anders als viele Vorwürfe aus der Vergangenheit gerät die Katar-Geschichte nicht einfach in Vergessenheit, sondern schädigt den Ruf der FIFA kontinuierlich. Aktuell sind keine Zahlungen aus Katar an FIFA-Funktionäre definitiv nachgewiesen, aber jetzt werden erst einmal die Beweismittel gesammelt. Sollte sich herausstellen, dass die Entscheidung für Katar tatsächlich durch Schmiergelder zustande gekommen ist, müsste es wohl zu einer Neuvergabe kommen. Das würde dann endlich dokumentieren, dass die FIFA einen Umbruch braucht. Aber am Ende geht es nicht hauptsächlich um Änderungen in einzelnen Compliance-Vorschriften, sondern um einen kulturellen Wandel. Das ist nicht anders als in einem Unternehmen. Aber das ist genau das, was die Fußballer bisher noch nicht verstanden haben.

sarah.nitsche[at]finance-magazin.de

Info

Der Strafrechtsprofessor Mark Pieth gilt als einer der renommiertesten Compliance-Experten in Europa. Pieth ist Professor in Basel und war von Dezember 2011 bis September 2013 Anti-Korruptions-Beauftragter der FIFA.

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