Mit massiver Kritik begegneten viele Praktiker den Plänen für ein Unternehmensstrafrecht, die Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty vor rund einem Jahr veröffentlicht hat. Der Vorstoß sah unter anderem die Einführung eines „Verbandsstrafgesetzbuchs“ vor. Nun haben die Kritiker ihren Worten erstmals Taten folgen lassen: Der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) hat in Zusammenarbeit mit dem Passauer Strafrechtsprofessor Werner Beulke einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet – als Gegenentwurf zu Kutschatys Vorschlag will man diesen aber nicht verstanden wissen.
„Der Vorschlag aus NRW hat sehr viel Gutes, er ist in sich systematisch geschlossen“, wiegelt Klaus Moosmayer, Chief Compliance Officer von Siemens und Leiter der zuständigen BUJ-Fachgruppe Compliance, ab. „Aber ein eigenes Unternehmensstrafrecht wäre ein Fremdkörper im deutschen Recht, das ist die offene Flanke des Entwurfs von Herrn Kutschaty.“ Der BUJ fordert deshalb statt eines eigenen Gesetzes eine Anpassung des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OwiG), in dem bereits jetzt eine Verbandsgeldbuße für Unternehmen vorgesehen ist.
Unkalkulierbare Selbstanzeigen
Die zentralen Punkte: Der neue Entwurf nach den Vorstellungen des BUJ soll Unternehmen dazu anhalten, effektive Compliance Management Systeme (CMS) zu schaffen, um Ordnungswidrigkeiten und Wirtschaftsstraftaten vorzubeugen. Kommt es trotz guter Compliance-Arbeit zu Vorfällen, soll die Verbandsgeldbuße durch den Verweis auf die Compliance-Systeme reduziert werden können – oder könnte sogar ganz wegfallen.
Außerdem sehen die Pläne eine Kronzeugenregelung vor: Meldet ein Unternehmen einen Verstoß freiwillig und kann außerdem beweisen, dass es über ein ordnungsgemäßes CMS verfügt, kann es einem Bußgeld ganz entgehen. „Kronzeugenregelungen haben durch das Steuerstrafrecht in der vergangenen Zeit natürlich ziemlich an Popularität eingebüßt“, gibt Moosmayer zu. „Trotzdem: Was bei Selbstanzeigen im Bereich der Korruption passiert, ist für Unternehmen im Moment absolut unberechenbar. Der Compliance Officer muss den Vorstand zu solchen Schritten beraten können und ihm Sicherheit geben.“
Was sieht ein gutes Compliance Management System aus?
Der Vorschlag begnügt sich aber nicht nur mit dem Blick auf die Rechtsfolgen, sondern versucht auch, Unternehmen Anhaltspunkte dafür zu geben, wodurch sich ein effizientes CMS auszeichnet – beispielsweise durch regelmäßige Risikoanalysen und ein Hinweisgebersystem. Dieser Schritt sei auch im Gremium umstritten gewesen, räumt Moosmayer ein: „Wir haben uns dann aber doch dafür entschieden, diese Orientierungspunkte aufzunehmen. Uns war es wichtig, da einen Stein ins Wasser zu werfen und Grundpfeiler für eine spätere Diskussion einzuschlagen.“
Die Vorlage haben Compliance-Experten bereits aufgegriffen: „Ich halte es für richtig, die Elemente eines CMS im Gesetz beispielhaft zu nennen. Der jetzt genannte Kanon setzt die Standards meines Erachtens aber zu niedrig, mir fehlen als Vorgabe besonders geeignete Kontrollen in den Geschäftsprozessen“, meint Konstantin von Busekist, verantwortlicher Partner für Compliance & Investigations bei der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft.
Insgesamt bescheinigt er dem Vorschlag aber gute Erfolgsaussichten: „Einige technische Fragen müssen im Detail nochmals durchdacht werden, aber das schmälert den erheblichen Wert des Entwurfs nicht. Das ist genau die richtige Initiative zum richtigen Zeitpunkt, und ich halte sie für deutlich erfolgsversprechender als den Gesetzesentwurf aus NRW.“