Ob Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla tatsächlich bald im Vorstand der Deutschen Bahn sitzt, ist weiter unklar. Trotzdem hat die Nachricht über Pofallas möglichen Wechsel in die Wirtschaft einen fulminanten Shitstorm in den Medien ausgelöst, um es neu„deutsch“ beim Namen zu nennen. In unzähligen Kommentaren brüskieren sich die Autoren über so viel offen zur Schau gestellten Lobbyismus. Dabei ist das Thema ein alter Hut: In Sachen Lobbyismusbekämpfung gibt es im ansonsten liebevoll regulierten Deutschland immer noch keine klaren gesetzlichen Vorgaben. Daran dürfte sich wohl auch in der gerade begonnenen Legislaturperiode nichts ändern – das Thema bleibt im Koalitionsvertrag praktisch unerwähnt.
Für Unternehmen darf das allerdings kein Freifahrschein sein, sich bei der Personalwahl munter bei Politfunktionären zu bedienen. Denn fast jedes Unternehmen demonstriert heute regelmäßig und medienwirksam, wie hoch es den Compliance-Gedanken hängt. Ganz vorne mit dabei: Die Deutsche Bahn, die vor wenigen Monaten von der Redaktion des FINANCE-Schwestermagazins „Compliance“ für ein umfassendes Projekt zum Schutz vor Kartellabsprachen ausgezeichnet worden ist. Darüber hinaus hat der Konzern 2012 eine groß angelegte Compliance-Kommunikationskampagne gestartet, um „eine Brücke zwischen den Wertestandards des Unternehmens und dem persönlichen Wertekanon von Management und Mitarbeitern“ zu bauen, wie es offiziell heißt.
Klare Compliance-Vorgaben gegen „Drehtüreffekte“
Dann muss die Bahn diese Wertestandards aber auch richtig definieren. Und nicht nur die Bahn, auch die übrigen Unternehmen müssen eben selbst beweisen, dass sie den Compliance-Gedanken konsequent leben, selbst wenn der gesetzgeberische Druck fehlt: Die Compliance-Abteilungen müssen klare Vorgaben für die Einstellung von Personen in Schlüsselfunktionen schaffen, mit denen die berüchtigten „Drehtüreffekte“ vermieden werden können. Und die HR-Abteilung muss diese Kriterien bei Auswahl von wichtigen Managern streng berücksichtigen.
Doch bei aller Kritik: Bei so plakativer Lobbyarbeit kann man der Bahn wenigstens keine fehlende Transparenz vorwerfen – immerhin soll Pofalla ja offenbar explizit als Vorstand für die Pflege von politischen Kontakten angeheuert werden. Ansonsten wäre auch wenig Unternehmerisches zu erkennen, das Pofalla zum Vorstand qualifizieren würde. Die Opposition ätzt, dass einzig die Tatsache Pofalla für einen Vorstandsposten bei der Bahn qualifiziere, dass er schon mal mit dem Zug gereist sei.
Und außer den „guten Kontakten“ scheint die Industrie den Politikern tatsächlich wenig Brauchbares zuzuschreiben. Zumindest ist dieser Redaktion kein ehemaliger Finanzpolitiker bekannt, der im Anschluss an seine Politkarriere den Posten des Finanzchefs bei einem Unternehmen angenommen hat. Es scheint immer noch Ressorts zu geben, in denen echtes Fachwissen die politischen Verbindungen schlägt.