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Politiker im Vorstand: Kaum Angst vorm bösen Compliance-Schein

Gerade hat die EU ihren ersten Bericht zur Korruption in den Mitgliedsstaaten vorgelegt. Die Kernaussage für Deutschland liest sich erstaunlich positiv: Gut schneidet Deutschland im Vergleich zu den anderen Ländern ab – mit einer Einschränkung: Es müssten endlich klare Regeln für den Wechsel von Führungspersonen von der Politik in die Wirtschaft geschaffen werden, fordert die EU-Kommission.

Das Statement ist Wasser auf die Mühlen aller Transparenzverfechter, die sich in den vergangenen Wochen über den möglichen Wechsel des früheren Kanzleramtschefs Ronald Pofalla (CDU) zur Deutschen Bahn brüskiert haben. Pofalla befände sich mit dem bis heute ungeklärten Wechsel allerdings in guter Gesellschaft – unter anderem seiner Parteikollegen Eckart von Klaeden und Roland Koch. Während die Kritiker nach Kochs Ernennung zum Bilfinger-CEO mittlerweile verstummt sind, ist die Personalie von Klaeden bei Daimler zu einem Fall für die Staatsanwaltschaft geworden.

Allerdings: Die EU-Kritik an fehlender Transparenz in Deutschland ist nicht neu. Dass die Regierung in absehbarer Zeit neue Gesetze gegen die so genannten „Drehtüreffekte“ schafft, ist daher eher unwahrscheinlich. Solange die Regierung das Thema nicht auf die Agenda nimmt, sind die Unternehmen bei der Frage, welche Personen sie auf Schlüsselpositionen wie dem Vorstand besetzen, auf sich allein gestellt. Auch wenn besonders Großkonzerne heute in Compliance-Fragen keine Kosten und Mühen scheuen und gute Compliance-Arbeit erfolgreich in ihrer PR einsetzen – bei der Frage nach Richtlinien für die Einstellung von Schlüsselpersonen halten sich die Dax-Konzerne und andere Großunternehmen ungewohnt bedeckt.

Anhaltspunkte für Compliance-Richtlinien

Man habe sich mit dieser Fragestellung bislang nicht beschäftigen müssen, heißt es an vielen Stellen auf Nachfrage dieser Redaktion schlicht. Unternehmen wie Adidas, Continental oder der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport wagen sich ein bisschen weiter vor und räumen ein, dass es keine expliziten Regelungen gibt – dafür aber werde natürlich die Vorgeschichte eines Kandidaten geprüft. Am Ende stehe aber immer eine Einzelfallentscheidung.

Dabei gibt es durchaus Orientierungspunkte, die Unternehmen helfen in ihren Compliance-Richtlinien die Voraussetzungen für die Einstellung öffentlich exponierter Personen zu regeln. Das Aktiengesetz schreibt beispielsweise eine Karenzzeit von zwei Jahren für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat innerhalb desselben Unternehmens vor, in der EU sind es 18 Monate für ehemalige Kommissare, die einen Wechsel anstreben.

Beim Wechsel eines Politikers zu einem Unternehmen könnte die Zwangspause durchaus auch etwas kürzer ausfallen, meint Andreas Pohlmann, früherer Compliance-Chef von Siemens und Ferrostaal und heute Namenspartner der Beratung Pohlmann & Company: „Ich halte eine Karenzzeit von zwölf bis 18 Monaten für angemessen. Bei der Entscheidung lassen sich verschiedene Kriterien einbeziehen: Beispielsweise die Art des Mandats und die Länge der Amtszeit sowie die Entscheidungsbefugnisse im Zielunternehmen und dessen Nähe zum Staat.“

Wertvollstes Asset: Beziehungen

Diese Regelungen zu schaffen wäre nicht besonders aufwändig. In den meisten Unternehmen dürfte es am Ende jedoch eine bewusste Entscheidung sein, die sie davon abhält, auch diesen Bereich zu regulieren. „Wir halten feste Karenzzeiten im Falle von beabsichtigten Übertritten für ein unnötiges Erschwernis für die Beteiligten und für eine klare Benachteiligung gegenüber anderen Abgeordneten und Amtsträgern“, sagt eine Sprecherin von Continental. Auch Berater melden Bedenken an: „Richtlinien, die beispielsweise eine Cooling-Off-Periode vorsehen, mögen dann für den spezifischen Fall gerade nicht passen, wenn sich durch die sofortige Einstellung besondere Vorteile für die Gesellschaft ergeben könnten“, warnt Ralf Ek, Partner bei Jones Day.

Ein direkter Wechsel mag sich mit vielen nachvollziehbaren Argumenten rechtfertigen lassen – der größte Vorteil für das Unternehmen ist aber zweifelsohne gerade der noch unmittelbare Zugang des Kandidaten zu seinem Beziehungsnetzwerk. „Aber ein Netzwerk und Sonderwissen sind verderbliche Waren und gehen über eine bestimmte Zeit verloren“, sagt Pohlmann.

Ohne gesetzliche Vorschriften bleibt es eine Einzelfallentscheidung, ob ein Unternehmen unter Compliance-Gesichtspunkten jeglichen bösen Schein vermeiden will – wenn auch um den Preis, dass der Kandidat auf besondere Ressourcen vielleicht nicht mehr zugreifen kann. Wie stark das Unternehmen seine eigene Glaubwürdigkeit bei kritischen Fällen aufs Spiel setzt, steht auf einem anderen Blatt.

sarah.nitsche[at]finance-magazin.de

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