Die Niedrigzinsen sind nicht das größte Risiko bei der Bewertung von Pensionsrückstellungen. Zu diesem Ergebnis kommt die Ratingagentur Fitch in einer heute veröffentlichten Untersuchung unter 19 britischen und 14 deutschen Großunternehmen. Die viel größere finanzielle Gefahr ginge von der steigenden Lebenserwartung der Pensionsnehmer aus, die von den meisten deutschen und britischen Unternehmen laut Fitch in ihren Pensionsplänen bisher unterschätzt oder überhaupt nicht berücksichtigt würde.
Nach Berechnungen der Ratingagentur sind die Pensionslücken der deutschen Unternehmen im Jahr 2014 erneut gestiegen: Von rund 27,3 Milliarden Euro ging es um 44 Prozent auf rund 39,3 Milliarden Euro nach oben. Auch die Lücke bei den Defined-Benefits wuchs ausgehend von rund 63 Milliarden Euro um 44 Prozent auf rund 91 Milliarden Euro. Fitch legte bei der Analyse einen Wechselkurs von 0,7768 Pfund je Euro zugrunde. Mögliche Hedging-Strategien wurden laut Fitch in den Berechnungen nicht berücksichtigt.
Höhere Lebenserwartung, höhere Rückstellungen
Damit liegt der Anstieg bei der Pensionslücke in Deutschland leicht über dem britischen Niveau von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert von rund 18,3 Milliarden Euro, was Fitch vor allem damit begründet, dass die Pensionen in Deutschland jährlich gezahlt werden und damit keine externen Assets für unterjährige Cashabflüsse halten müssen. Optisch entsteht dadurch ein höheres bilanzielles Defizit.
Den Unternehmen drohen künftig jedoch noch größere Defizite, sofern man die bisher in den Berechnungen vernachlässigte wachsende Lebenserwartung einbezieht. Erhöht sich die Lebenserwartung um zwei Jahre, prognostiziert Fitch für die UK-Unternehmen dadurch einen zusätzlichen Anstieg der durchschnittlichen Pensionslücken um rund 1,7 Milliarden Euro, vorausgesetzt, die anderen Rahmenbedingungen bleiben unverändert. Im Gegensatz zum Zinsniveau erwartet Fitch beim Anstieg der erwarteten Lebensdauer mittelfristig keine Trendumkehr, weshalb der Einfluss der höheren Lebensdauer auf die Pensionslücken zunehmen werde.
Niedrigzinsen setzen Unternehmen zu
Aktuell begründen Unternehmen die Pensionslücke in ihren Finanzberichten vor allem mit dem niedrigen Zinsniveau und dem daran gekoppelten niedrigeren Diskontierungszins, was die Pensionsrückstellungen massiv aufwertet. Vor allem nach HBG bilanzierende deutsche Mittelständler sind dadurch stark betroffen, da sie für die Diskontierung einen Durchschnittszins der letzten Jahre verwenden müssen.
Die größten Pensionslücken im Jahr 2014 weisen in Deutschland laut der Studie Bayer mit rund 12,2 Milliarden Euro und Daimler mit rund 11,6 Milliarden Euro aus. Und das obwohl die beiden DAX-Konzerne in den vergangenen Jahren außerordentliche Pensionszuführungen in Milliardenhöhe leisteten: Während Bayer seinen Pensionsfonds mit 1 Milliarde Euro aufbesserte, schoss Daimler Ende 2014 sogar 2,5 Milliarden Euro nach. Damit liegen die Pensionslöcher dieser beiden Konzerne deutlich über dem Durchschnitt der 14 untersuchten deutschen Unternehmen von 6,4 Milliarden Euro.
Pensionslücken übersteigen Eigenkapital
Laut Fitch würden unter den aktuellen Rahmenbedingungen die Deutsche Bahn (4,4 Milliarden Euro), RWE (7,9 Milliarden Euro), Bosch (9,9 Milliarden Euro) und Bertelsmann (2,6 Milliarden Euro) rund drei bis fünf Jahre benötigen, um ihre milliardenschweren Defizite auszugleichen.
Bei EnBW und Schaeffler übersteigen die Pensionslücken sogar das ausgewiesene Eigenkapital zum Jahresende 2014. Beim Energieriesen EnBW steht einem Pensionsdefizit von rund 5,8 Milliarden Euro Eigenkapital in Höhe von rund 4,5 Milliarden Euro gegenüber. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Schaeffler, die Differenz zwischen dem Defizit und dem ausgewiesenen Eigenkapital beträgt rund 1,7 Milliarden Euro.