Das historisch niedrige Zinsniveau in den USA zeichnet für 47 Prozent des Gewinnwachstums der S&P-500-Unternehmen seit 2009 verantwortlich. Das geht aus einer Analyse der Brokerfirma Newedge USA hervor. „Die Marktteilnehmer unterschätzen das Ausmaß, in dem insbesondere die Unternehmen des S&P-500-Index von der amerikanischen Geldpolitik profitieren“, sagte Robbert van Batenburg, Direktor bei Newedge USA, gegenüber Reuters. Nach Berechnungen von Batenburg lagen die Quartalsgewinne für den S&P 500 Ende 2009 bei weniger als 20 US-Dollar und der Zinsaufwand bei etwa 4 US-Dollar. Heute würden die Quartalsgewinne bei 26,7 Dollar liegen, der Zinsaufwand dagegen bei lediglich 1,5 US-Dollar.
Wie Batenburg glauben viele Banker und Analysten an der Wall Street, dass vor allem die ultralockere Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed hinter den Gewinnen der Unternehmen und den Rekordständen am Aktienmarkt steckt. Jeden Monat kauft die Federal Reserve Anleihen in Höhe von 85 Milliarden US-Dollar und hält damit die Zinsen niedrig.
Als Notenbankchef Ben Bernanke Ende Mai ankündigte, die Geldpolitik des „Quantitative Easing“ womöglich schon im laufenden Jahr herunterzufahren, reagierte die Börse prompt. Die marktführenden Aktienindizes brachen kräftig ein, und die Renditen am Anleihemarkt zogen deutlich an. Den Befürwortern der These gelten diese Ausschläge als Beweis.
Die tatsächliche Auswirkung der Fed-Politik auf die Unternehmensgewinne ist jedoch schwierig zu beurteilen. Schließlich bleibt offen, wie sich die Zinsen ohne die lockere Geldpolitik entwickelt hätten. Andere Effekte wie beispielsweise Steuervergünstigungen werden gar nicht berücksichtigt.
CFOs refinanzieren am Kapitalmarkt
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hält den Leitzins extrem niedrig. Die Auswirkungen auf die Unternehmen sind daher vergleichbar mit denen in den USA. Derzeit liegt der Leitzins der EZB bei nur 0,5 Prozent. Im Juli 2008 waren es noch 4,25 Prozent. Das verringert auch die Kosten für die Unternehmensfinanzierung.
Ein deutliches Zeichen dafür: Mehr CFOs als je zuvor bedienen sich in Europa am Bondmarkt. Eine diese Woche von der Ratingagentur Fitch veröffentlichte Studie zeigt, dass mittlerweile mehr als 80 Prozent der Finanzstruktur von europäischen Unternehmen auf das Konto von Anleihen geht. Viele CFOs nutzen die niedrigen Kupons, um Fälligkeitenprofile zu verlängern und vorzeitig zu refinanzieren. Ein Beispiel ist die Hochzinsanleihe des Automobilzulieferers Schaeffler.
Bislang bietet das Jahr 2013 eine gute Gelegenheit für Finanzvorstände die Schulden ihrer Unternehmen umzustrukturieren, auch wenn sie im Subinvestmentgrade bewertet sind. So zahlt Schaeffler für seine 1,5 Milliarden Euro schwere Hochzinsanleihen in Euro und US-Dollar mit einer Laufzeit von fünf Jahren jeweils 6,875 Prozent. Im Januar brach Fresenius alle Rekorde. CFO Stephan Sturm gelang es eine 500 Millionen Euro schwere Hochzinsanleihe mit einer Laufzeit von sieben Jahren und einem Kupon von nur 2,875 Prozent zu platzieren.
Die Liste von profitierenden Unternehmen ist lang. Laut einer Untersuchung des Centrums für Bilanzierung und Prüfung an der Universität des Saarlandes gehören VW-CFO Hans-Dieter Pötsch, Bodo Uebber von Daimler, Friedrich Eichinger von BMW und Hans-Ulrich Engel von BASF zu den größten Gewinnern. Mit Abstand folgen Werner Brandt von SAP und Lorenz Näger von HeidelbergCement. Insgesamt würden die sieben DAX-Konzerne jährlich Zinsen in Höhe von insgesamt 580 Millionen Euro einsparen.
Zinsaufwand für Kredite sinkt
Doch nicht nur die Kupons von Anleihen, auch die Kreditzinsen sind kräftig gesunken. Der 3-Monats-Euribor, der als Referenzzinssatz bei Kreditverträgen herangezogen wird, lag vor fünf Jahren noch bei 5 Prozent; jetzt nur noch bei 0,22 Prozent. Bei der BASF, die heute ihre Zahlen für das 2. Halbjahr vorgelegt hat, konnte CFO Engel einen insgesamt um mehr als 50 Millionen Euro niedrigeren Zinsaufwand als im gleichen Zeitraum des Vorjahres vorweisen.
Ein Ende der niedrigen Zinsen ist auch in Europa nicht in Sicht. Am 4. Juli kündigte EZB-Chef Mario Draghi an, dass die Zinsen sogar noch weiter fallen könnten. Auch in den USA ist man offenbar wieder von einem definitiven Aus für die lockere Geldpolitik abgerückt. Ökonomen, die von Bloomberg dazu befragt wurden, rechnen lediglich damit, dass Bernanke den monatlichen Anleihenaufkauf von derzeit 85 Milliarden US-Dollar auf 65 Milliarden Dollar reduzieren könnte. Für einen kurz- bis mittelfristigen Anstieg der Zinsen ist die Wirtschaft sowohl in den USA als auch in Europa derzeit noch zu fragil. Mit anderen Worten: Auf mittelfristige Sicht können CFOs weiter mit einem starken Finanzergebnis rechnen.