Die EZB bewegt sich schon lange abseits des geldtheoretischen Mainstreams. Dass sie jetzt auch den Corporate-Bond-Markt aufmischt und dabei bis zu 70 Prozent von einzelnen Bonds aufkaufen kann, passt in dieses Bild. Denn auch damit gelingt es ihr, die Kapitalmarktzinsen zu drücken. Mit dem englisch-holländischen Nahrungsmittelriesen Unilever hat vor kurzem ein weiterer Emittent die vierjährige Teiltranche einer neuen Anleihe zu einem Kupon von 0 Prozent platzieren können.
Während sie beim Drücken der Zinsen ihre Ziele erreicht, wirken die Maßnahmen bei der Kreditvergabe nicht, wie die EZB in ihrem aktuellen „Lending Survey“ selbst zugeben muss: Banken melden eine wieder rückläufige Kreditnachfrage ihrer Kunden. Kein Wunder – Analysten der Citibank zufolge haben die im Euro-Stoxx-600 gelisteten Firmen seit 2012 ihre Investitionsausgaben auf gleichem Niveau eingefroren, während die Mitglieder des amerikanischen S&P 500 ihre Investitionen im gleichen Zeitraum insgesamt um 10 Prozent gesteigert haben, seit 2015 aber auch auf die Bremse getreten sind.
Sitzen die CFOs faul auf dem billigen Geld?
Warum aber investieren europäische Unternehmen trotz der Niedrigzinsen nur so wenig, und wo fließen die Emissionserlöse aus den Anleihen stattdessen hin? Die EZB selbst könnte die Ursache der Investitionsschwäche sein. Kritiker meinen, niedrige Zinsen konservierten die Strukturen und Überkapazitäten, die im Vorfeld der Finanzkrise aufgebaut wurden.
Die Allokationsfunktion des Zinses sei inzwischen außer Kraft gesetzt, sodass nicht mehr zwischen Investitionen mit hoher und niedriger Grenzleistungsfähigkeit getrennt werde, glauben Bankvolkswirte wie Thorsten Polleit und Professoren wie Hans-Werner Sinn und Gunther Schnabl, die EZB-Chef Draghi die Bazooka entreißen wollen. Nur wenn die EZB die Zinsen erhöhe, erhielten Unternehmen das Signal, „dass sie wieder höhere Renditen erwirtschaften müssen, statt auf billige Kredite zu warten.“
Im Ergebnis wären also faule Managementteams in den Unternehmen, die sich an den niedrigen Zinsen wärmen, zusammen mit der EZB schuld daran, dass zu wenig investiert wird. Klingt wirr, oder? Sind aber bekannte libertäre Behauptungen, die immer wieder ihr Podium finden.
Darum bauen Manager die Kapazitäten nicht aus
Es gibt aber auch andere, überzeugendere Argumente, aktuell zum Beispiel zu finden in dem aktuell viel gelobten Buch von Mervyn King, ehemaliger Gouverneur der Bank von England.
Demnach ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise schlagartig klar geworden, dass viele Wirtschaftssubjekte völlig unrealistische Erwartungen über den dauerhaften Pfad ihres zukünftigen Einkommens hatten. Wenn die Marktteilnehmer dann aus vernünftigen Gründen mehr sparen, führt das in einer komplexen Welt zu einem Koordinationsproblem zukünftiger Ausgabepläne. Es gibt keine unsichtbare Stimme, die Produzenten von langlebigen Wirtschaftsgütern beispielsweise wissen lässt, ob Konsumverzicht und Vorsichtsparen von heute in der Zukunft wirklich zu zusätzlichen Konsumausgaben führt. Auch bleibt für Unternehmen unklar, welche Produkte dann nachgefragt werden, wenn die Konsumenten später entsparen, also ihre Taschen wieder lockern.
Die weltweite Stagnation samt der unterausgelasteten Produktionskapazitäten ist das Ergebnis dieser Probleme. Zumal niedrigste Zinsen ja auch Anreize geben, zukünftigen Konsum in die Gegenwart zu schieben, was in einer stagnierenden Wirtschaft nichts anderes bedeutet als weniger Konsum in der Zukunft. Wäre es nicht fahrlässig, in so einem Umfeld massiv in zusätzliche Fertigungskapazitäten für die Zukunft zu investieren?
Kein Capex: So sind CFOs auf der sicheren Seite
Insofern ist es konsequent von CEOs und CFOs, sich die niedrigen Zinsen mit Anleihen zwar zu sichern, angesichts der Stagnation und des Risikos eines neuen Einbruchs aber nicht in Capex zu investieren. Wir werden mehr davon bekommen: Europäische Unternehmer, die mit dem billigen Geld nicht auf der grünen Wiese eine neue Fabrik bauen, sondern mit einem Nullprozent-Kupon in M&A und damit in bestehende Produktionskapazitäten investieren. CFOs, die in diesem Umfeld Nullkupons für M&A und Veränderungen der Kapitalstruktur nutzen, können also gar nicht falsch liegen.
Wachstum entsteht so nicht, und ebenso wenig, wenn mit geliehenem Geld Aktien zurückgekauft oder die Dividenden erhöht werden. Aber so ist es eben in einer Gesellschaft, in der man nicht mehr verdienen kann als gleichzeitig ausgeben wird.
Info
Was Olaf Schlotmann von Mini-Bonds, Gold und Bitcoins hält und warum die EZB nicht für alles Übel in der Finanzwelt verantwortlich gemacht werden kann, lesen Sie in weiteren Beiträgen von Schlotmanns FINANCE-Blog „Für eine Handvoll Euro“