Auch wenn die Krise derzeit alles überstrahlt: Die Finanzwelt unterliegt jenseits aller aktuellen Verwerfungen ein paar grundlegenden Trends. Einer davon ist der „Krypto-Trend“: die Privatisierung von Währungen und die Tokenisierung von Finanzierungen. Diese Welt ist komplex: Sie reicht von Kryptowährungen in ungedeckter (z.B. Bitcoin) und gedeckter Form (Stable Coins wie Tether) bis zu von Unternehmen emittierten Token, die als Utility Token klassischen Gutscheinen und als Security Token klassischen Finanzierungsinstrumenten ähneln.
Welche Rolle spielen Kryptowährungen und Token künftig für deutsche Unternehmen? Diese Frage hat der FINANCE Think Tank Corporate Banking & Finance gemeinsam mit King & Wood Mallesons und einer Reihe exzellenter Vordenker in einem Whitepaper (Download hier) analysiert.
Kryptowährungen bleiben eine Nische
Bislang wird die Nachfrage nach Kryptowährungen von Spekulanten aus den reichen Ländern getrieben. Den größeren Vorteil hätten sie aber eigentlich für Menschen aus Ländern ohne Zugang zu stabilen Währungen. Für diese sind Kryptowährungen ein Ersatz für Dollar oder Euro – darum sind gedeckte Stable Coins für sie viel attraktiver als Bitcoin.
Durchsetzen können sich private Kryptowährungen nur, solange das etablierte Geldsystem eklatante Mängel aufweist und sie vom Regulator zumindest geduldet werden. Da auch staatliche Zentralbanken derzeit an digitalem Geld arbeiten, könnte das Momentum rasch verloren gehen.
Corporates sind keine Treiber
Im Zahlungsverkehr spielen Kryptowährungen bislang keine Rolle. Die Banken halten sich in der Abwicklung noch zurück, und die Unternehmen treiben das Thema nicht, weil die Nachfrage der Kunden fehlt und ihre Sicherheitsbedenken nicht ausgeräumt sind.
Auch Finanzierungen sind nicht attraktiv. Die Finanzierungsmärkte in den klassischen Währungen sind erprobt, ausgereift, vielfältig und tief. Für die meisten Unternehmen besteht derzeit keinerlei Notwendigkeit, sich anderen Quellen zuzuwenden und die damit einhergehenden Aufwände und Risiken in Kauf zu nehmen – es gelten die gleichen Prinzipien wie bei einer Fremdwährungsfinanzierung.
Utility Token sind Venture Capital
Utility Token haben im Unterschied zu nicht gedeckten Kryptowährungen grundsätzlich einen intrinsischen Wert, weil sie ein Leistungsversprechen beinhalten. Das Leistungsversprechen wird allerdings in der Regel zu einem so frühen Zeitpunkt der Unternehmens- und Produktentwicklung gegeben, dass der Wert nur sehr schwer einzuschätzen ist. Utility Tokens entsprechen damit in Bezug auf Investitionsrisiko und Investorenstruktur der klassischen Seed-Finanzierung.
Die Beschränkung auf Start-ups und Blockchain-nahe Branchen ist nicht zwingend. Grundsätzlich sind auch für etablierte Unternehmen Vorfinanzierungen riskanter Projekte denkbar, die dem Investor einen billigeren Zugriff auf das zu entwickelnde Produkt einräumen. Solche Vorfinanzierungsmodelle durch Kunden sind allerdings auch ohne Token möglich, werden aber kaum genutzt. Stand heute ist auch nicht erkennbar, warum die Verquickung von Entwicklungsrisiken mit Finanzierungen für Unternehmen auf breiter Front attraktiv sein sollte, zumal die Bilanzierung komplex ist.
Security Token könnten sich durchsetzen
Unternehmen finanzieren sich heute mit unterschiedlichen, mehr oder weniger gut aufeinander angestimmten Finanzierungsinstrumenten. Perspektivisch ist denkbar, dass Unternehmen diese Instrumente bedarfsgerecht zusammenstellen und daraus einen einzigen Security Token generieren, der von Investoren gekauft wird.
Dieser Ansatz kann sowohl aus Emittenten- als auch aus Investorensicht attraktiv sein. Die Unternehmen reduzieren die Zahl ihrer Investoren (diese Entwicklung lässt sich im klassischen Bereich derzeit bereits in der Nische Leveraged Buy-outs mit dem Aufkommen von Debt Funds beobachten, die alle Finanzierungstranchen jenseits des reinen Eigenkapitals übernehmen). Die Investoren wiederum bekommen die Gelegenheit, sich in der bislang stark nach Finanzierungsinstrumenten zersplitterten Investorenwelt stärker auf individuelle Unternehmensrisiken als auf Anlageklassen zu konzentrieren.
Nichts geht ohne Banken – und Vertrauen
Wer sind künftig die Player im Krypto-Markt? Der Durchbruch kann nur mit institutionellen Investoren gelingen. Aber diese brauchen ein klares regulatorisches Umfeld. Das entsteht gerade – und wenn Regulatorik auch Dynamik aus Märkten nimmt, so bringt sie auch das notwendige Vertrauen, das jede Innovation benötigt. Tatsächlich verhilft die Regulierung den Banken zu einem beachtlichen Wettbewerbsvorteil.
Bei den Emittenten muss das Thema in den Finanz- und Treasury-Abteilungen vorangetrieben werden. Ganz oben steht dort Sicherheit in allen Varianten. Danach kommen rationale Argumente zur Abwägung: Innovationen müssen entweder billiger, sicherer oder schneller sein. Kryptowährungen bieten diese Vorteile nicht. Eine Finanzierung über Security Token kann theoretisch alle drei Merkmale erfüllen, das Vertrauen wird in der Breite aber erst durch erfolgreiche Emissionen bekannter und geschätzter Unternehmen entstehen.
Unter diesen Unternehmen wird es auch Vorreiter geben. Allerdings zeigt sich im Fintech-Segment, dass nur wenige eine größere Zahl von Unternehmen als Kunden gewinnen konnten. Und die bislang erfolgreichen Anbieter (seien es Devisen-, Schuldschein– oder breitere Finanzierungsplattformen) verfolgen immer Modelle, in denen sie mit den etablierten Spielern – vor allem den Banken – zusammenarbeiten. Wenn diese Erfahrung als Blaupause gelten darf, tut auch die Krypto-Szene gut daran, die Finanzinstitute mit den engsten Kundenbeziehungen nicht zu marginalisieren, sondern als Partner zu gewinnen.
Info
Der Autor
Bastian Frien ist Gründer und Geschäftsführer des FINANCE Think Tank Corporate Banking & Finance. Er steht auch hinter dem Whitepaper „Kryptowährungen und Token in der Unternehmensfinanzierung – Einsichten und Aussichten“, das diesem Artikel zu Grunde liegt.
Basis des Whitepapers ist – neben langjähriger Marktbeobachtung – eine mehrstündige Brainstorming-Session mit einer sorgfältig ausgewählten Gruppe exzellenter Vordenker, die das Thema aus allen relevanten Perspektiven beleuchtet haben.
Info
Die Vordenker*
Tim Austrup, Leiter Unternehmensfinanzierung, Helaba Landesbank Hessen-Thüringen
Dr. Philipp Baecker, Partner, Bain & Company
Jan Brzezek, CEO, Crypto Finance AG
Prof. Dr. Christian Debus, Partner, Leiter Bereich „Finanz- und Treasury Management“, KPMG
Dr. Martin Diehl, Leiter der Analyse Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme, Deutsche Bundesbank
Bastian Frien, Geschäftsführer, FINANCE Think Tank Corporate Banking & Finance
Oliver Gaberle, Partner, Financial Services M&A, Transaction Advisory Services, Ernst & Young
Rudolf Haas, Partner, King & Wood Mallesons
Jens Hachmeister, Managing Director, DLT, Crypto Assets and New Market Structures, Deutsche Börse
Dr. Udo Milkau, Chief Digital Officer, Transaction Banking, DZ Bank
Hans-Jörg Naumer, Director Global Capital Markets & Thematic Researc, Allianz Global Investors
Wanja S. Oberhof, Mitglied des Aufsichtsrats, Uptech AG
Andreas Sowa, Head of Treasury (und Vorstand VDT), McKesson Europa AG
Michael Spitz, Geschäftsführer, Main Incubator GmbH
Dr. Siegfried Utzig, Direktor, Bundesverband deutscher Banken
* Die genannten Positionen hatten die Vordenker zum Zeitpunkt der Teilnahme an der Diskussionsrunde inne.