Die letzten Wochen kannte der Bund-Future nur eine Richtung: rauf auf neue Rekordhöhen. An einigen Tagen kam es allerdings innerhalb des Handelstages zu Einbrüchen von gut 100 Punkten, auch am Montag dieser Woche ging es wieder gut 100 Punkte runter. Die Volatilität wächst, aber die Marktzinsen scheinen einen Boden gefunden zu haben.
Grund dafür sind Gerüchte über die Aufgabe der schwarzen Null zum Zwecke von Investitionen in Infrastruktur, Innovationen und Klimaschutz. Noch einen obendrauf setzte Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit der Aussage, dass er sich im Falle einer Rezession ein ähnliches Konjunkturpaket wie in der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise in Höhe von 50 Milliarden Euro vorstellen kann.
Neben der nur politisch vereinbarten schwarzen Null gibt es aber auch noch die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse, die als erfüllt gilt, wenn das konjunkturbereinigte Defizit des Bundes 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht übersteigt. Dieser Spielraum beträgt auf etwa 11,5 Milliarden Euro. Der Geist hinter der Schuldenbremse lautet, dass die Verteilungskonflikte unter den heutigen Interessengruppen gelöst werden und nicht mehr zu Lasten zukünftiger Generationen gehen sollen.
Wie viele Schulden sind noch okay?
Aber ist das überhaupt sinnvoll? Ökonomen haben jedenfalls auf die Frage, ob es für Volkswirtschaften eine angemessene Staatsschuldenquote gibt, keine klare Antwort. Treasury-Abteilungen von Unternehmen kennen Financial Covenants in Kreditverträgen. Ein Covenant wie zum Beispiel Total Debt/Ebitda misst platt gesagt, wieviel Jahresergebnisse das Unternehmen braucht, um schuldenfrei zu sein. Je mehr, desto schlechter ist das Rating. Bei Staaten interpretiert man die Schuldenquote etwa so: Wie lange muss die Volkswirtschaft arbeiten, wenn sie alle erstellten Güter und Dienstleistungen theoretisch zu Marktpreisen ins Ausland verkauft, ihr BIP also nicht selber konsumiert?
Zwei Quoten werden in der Wissenschaft gerne als relevant herumgereicht: Die erste ist die dauerhafte Einhaltung einer Schuldenquote von höchstens 60 Prozent des nominalen BIP – eine politische Maßgabe, die recht freihändig als Eintrittshürde zum Euro festgelegt wurde, in etwa als Mittelwert der damaligen Staatschuldenquoten der Mitgliedstaaten. Die zweite Marke – eine Staatschuldenquote von über 90 Prozent – ist schon fundierter. Schulden darüber hinaus würden das Wachstum vernichten, war das Ergebnis einer berühmten Studie von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Inzwischen zweifeln Ökonomen aber an ihren Ergebnissen. Fazit daher: Keiner kennt die optimale Schuldenquote.
Fakt ist: Keiner kennt die optimale Staatschuldenquote.
Die Zinsen laden zum Investieren ein
Tatsächlich haben G7-Länder außer Deutschlands regelmäßig Staatschuldenquoten von deutlich über 90 Prozent. Gerade konservative Regierungen sind die eifrigsten Schuldenmacher: Japan mit aus deutscher Sicht unglaublichen 238 Prozent, die USA unter dem konservativen Präsidenten Trump, der prozyklisch die Schulden auf inzwischen 107 Prozent hochschnellen ließ, und ganz aktuell die konservativen Brexiteers, die trotz einer Staatschuldenquote von bereits 89 Prozent mit neuen Schulden den angepeilten Brexit abzufedern gedenken.
Vor diesem Hintergrund sprechen außenstehende Betrachter mit Blick auf die schwarze Null von einer rein deutschen Obsession. Sie können nicht verstehen, warum wir vorhaben, über dauerhaft ausgeglichene Haushalte die langfristige Staatsschuldenquote Richtung Null zu bringen. Das „cleanest dirty shirt“ unter den Schuldnern würde doch allemal reichen.
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Allerdings ist es Berlin in den vergangenen Jahren tatsächlich gelungen, den Kreislauf aus immer weiter steigenden Schulden zu durchbrechen. Von zeitweise über 80 Prozent ist die deutsche Staatschuldenquote auf 60 Prozent gefallen – auch wegen riesiger Einsparungen bei den Zinskosten. Ein toller Erfolg, oder? Doch es gibt auch kritische Stimmen wie die des Ökonomen Michael Hüther, der dem Bund rät, jetzt zu Negativzinsen mit langfristigen Anleihen einen deutschen Staatsfonds in dreistelliger Milliardenhöhe zu befüllen, der Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz tätigen soll.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, von der schwarzen Null abzurücken, und diesen beginnt gerade der Bondmarkt zu spielen: Die Abkehr von der Abkehr von der schwarzen Null in Deutschland würde signalisieren, dass das „cleanest dirty shirt“ nicht noch weißer wird. Deutschland würde so ein wenig Last von der Geldpolitik nehmen.
Die Abkehr von der schwarzen Null würde Last von der Geldpolitik nehmen.
Die schwarze Null und die EZB
Geschickt lanciert, hielte uns die Abkehr von der schwarzen Null vielleicht sogar die nächste Runde der geldpolitischen Lockerung durch die EZB vom Halse. Und diese würde keine einzige strukturelle Schwäche der deutschen Wirtschaft beheben: zu viel Export, zu viele Autos, zu wenig Tech und zu teure Energie.
Eher noch könnte die EZB Trumps Aufmerksamkeit im Handelskrieg wieder stärker nach Europa lenken – spätestens dann, wenn der jetzt schon unterbewertete Euro in Richtung Parität fallen würde. Dann wird Trump – das deuten seine Tweets bereits an – nicht lockerlassen. Dass er den Handelskrieg mit China nicht gewinnen kann, ist ihm inzwischen klar. Er braucht also andere Erfolge. Die deutsche Autoindustrie wird es dann ausbaden.
Wenn also der Bondmarkt jetzt Hinweise sendet, eine Abkehr von der schwarzen Null mit höheren Zinsen zu belohnen, muss jeder Politiker, der im deutschen Interesse über Draghi, Niedrigzinsen und die Performance der Commerzbank-Beteiligung schimpft, die schwarze Null aufgeben. Einen Free Lunch gibt es nicht.
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Was Olaf Schlotmann von Bitcoin und Gold hält und vieles mehr lesen Sie in weiteren Beiträgen von Schlotmanns FINANCE-Blog „Für eine Handvoll Euro„.