Morgen entscheiden die Briten darüber, wer das Land während der anstehenden Brexit-Verhandlungen führen wird. Schafft Premierministerin Theresa May es, ihre Macht auszubauen, oder hat sie sich verkalkuliert? Obwohl der Wahlausgang seit vergangener Woche unerwartet offen erscheint, hat sich der Corporate-Bond-Markt in Großbritannien bislang nicht aus der Ruhe bringen lassen. Im Gegenteil: Die letzten Wochen verliefen so positiv wie schon das ganze Jahr.
„Wir haben in diesem Jahr bereits 70 Prozent des Emissionsvolumens von 2016 erreicht“, berichtet Matthias Minor, Firmenkundenchef der RBS für Deutschland, Österreich und die Schweiz. 15,1 Milliarden Pfund wurden bis Anfang Juni bereits platziert. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum nur etwa 5,6 Milliarden Pfund, im Gesamtjahr wurden 21,5 Milliarden Pfund platziert.
„Im Gegensatz zum vergangenen Jahr präsentierte sich der Sterling-Bond-Markt 2017 bereits von Anfang an in vollem Schwung, dies beinhaltet auch die Nachfrage nach Hybridkapital“, kommentiert Minor. 2016 sorgten Ängste um China sowie schwankende Rohstoffpreise für einen schwachen Jahresstart.
BASF, Daimler und BMW nutzen Sterling-Bond-Markt
Auch einige deutsche Unternehmen nutzen die Rally am britischen Bond-Markt für sich. Den Auftakt machte Anfang Januar der Chemiekonzern BASF mit einer Emission über 300 Millionen Pfund. Ihm folgten Daimler, die Deutsche Telekom, Volkswagen und im Mai mit BMW noch ein weiterer Autokonzern. Auch der Schweizer Baustoffhersteller Lafarge Holcim zapfte den Markt an.
Laut Matthias Minor lockt der Sterling-Bond-Markt ausländische Unternehmen, um die Investorenbasis zu erweitern oder für ihre Aktivitäten in Großbritannien Pfund als Natural Hedge einzusammeln. „Etwa 60 Prozent der Unternehmen am UK-Bond-Markt kommen in diesem Jahr aus dem Ausland“, sagt Minor. Auch auf Investorenseite sei der Anteil ausländischer Käufer groß, erklärt er. „Durch die hohe Nachfrage nach Sterling-Bonds, die das Angebot deutlich übersteigt, können die Emittenten sehr gute Konditionen erzielen“, so der Experte.
Sterling-Bond-Markt bietet Finanzierungsvorteil
Selbst CFOs, die eigentlich Euro- oder Dollar-Summen einsammeln wollen, können durch eine Pfundemission mittels eines Währungsswaps einen Finanzierungsvorteil erzielen. „In diesem Jahr gab es wieder Zeitfenster, in denen die Marktbedingungen so günstig waren, dass eine Sterling-Emission für bestimmte Laufzeiten günstiger war als eine Euro-Platzierung“, berichtet Minor. Eine ähnliche Dynamik hatte im vergangenen Jahr auch einige Emittenten an den US-Bond-Markt gelockt.
Besonders bemerkenswert: Die Finanzierungskonditionen sind am Sterling-Bond-Markt nach wie vor sehr günstig, obwohl die Bank of England ihr Kaufprogramm für Corporate Bonds mittlerweile beendet hat. Die britische Zentralbank hatte seit September 2016 Unternehmensanleihen gekauft, um dem Markt nach dem Brexit-Referendum neuen Schwung zu geben. Ursprünglich hatte sie 18 Monate für das Programm angesetzt, die Maßnahmen jedoch bereits Ende April bei Erreichen ihres 10-Milliarden-Pfund-Ziels beendet. „Der Markt hat auf das Ende des Kaufprogramms sehr entspannt reagiert, es gab weder geringere Aktivität noch deutlich höhere Preise“, berichtet Minor.
Wahlniederlage Mays könnte Volatilität erhöhen
Firmenkundenchef Matthias Minor sieht einen Grund für die gute Verfassung des Bond-Marktes darin, dass der tatsächliche Austritt aus der EU noch relativ weit entfernt ist. Emittenten nutzen das Zeitfenster bis dahin zur Finanzierung.
Die Verunsicherung vieler Marktteilnehmer über die Implikationen eines zukünftigen Ausstieg aus der EU zeigt sich derzeit zwar kaum am Bondmarkt, ist aber unter anderem am derzeitigen Pfundkurs abzulesen, der mit rund 1,14 Euro weiterhin deutlich unter Kurs vor dem Referendum am 23. Juni 2016 liegt. Die Währung hat sich von ihrem Einbruch nach dem Referendum nicht nachhaltig erholen können. Eine weitere Abwertung der Währung wäre für deutsche Unternehmen ein zusätzlicher Vorteil bei der Rückzahlung der Bonds.
Wohl auch weil die Marktteilnehmer sich bereits an die Idee eines harten Brexits gewöhnt haben und damit rechnen, dass Mays Verhandlungsmandat in der Wahl gestärkt wird, ließ sich selbst in der vergangenen Woche – der letzten vollen Handelswoche vor der Unterhauswahl am Donnerstag – keine Verlangsamung der Emissionsaktivitäten erkennen. Sollte May allerdings die Wahl nicht für sich entscheiden können und die Labour-Opposition im Parlament stärker werden, könnte die Volatilität am Sterling-Bond-Markt steigen. Denn dann werden Investoren und Emittenten ihre Prognosen für den Ausgang der Brexit-Verhandlungen neu überdenken müssen.
Info
Finanzverantwortliche werden sich mit Blick auf den Brexit auf einige Veränderungen einstellen müssen. Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unserer Themenseite Brexit.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.