Der Bundesgerichtshof (BGH) hat vor gut einem Jahr die Hürden für den Börsenrückzug gesenkt: Seitdem müssen Unternehmen den Rückzug nicht mehr von der Hauptversammlung absegnen lassen und den Aktionären auch keine Abfindung mehr anbieten. Haben Sie seitdem eine Welle an Delistings beobachtet?
Viele CFOs haben erst einmal die Entwicklung beobachtet und abgewartet, wie die vereinfachten Delistings bei anderen Unternehmen ablaufen. Die ersten haben den Schritt Anfang des Jahres gewagt, wie zum Beispiel der Pressenhersteller Schuler und der Automatisierungstechnikhersteller Jetter. Seitdem sehen wir definitiv häufiger Delistings als vor der Entscheidung des BGH, die im Übrigen ja durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorbereitet worden ist. Aber man muss auch dazu sagen, dass nicht jede Börse den vereinfachten Rückzug zulässt.
Müssen die Börsen da nicht einheitliche Regeln schaffen?
Nein, das BGH-Urteil betrifft nur das Verhältnis zwischen Emittent und Aktionär, nicht das zwischen Emittent und Börse. Die Börsen dürfen selbst festlegen, welche Voraussetzungen der Emittent für das Delisting erfüllen muss. Die Börse Düsseldorf hat sich zum Beispiel bewusst dafür entschieden, an den alten Vorgaben festzuhalten. Andere, wie die Frankfurter Wertpapierbörse als wichtigster Handelsplatz, lassen eine Beendigung der Börsennotierung in der Regel nach einem Übergangszeitraum von sechs Monaten zu.
Delisting: Richtige Reihenfolge beachten
Was raten Sie einem CFO, dessen Unternehmen auch eine Notiz in Düsseldorf hat?
Wenn die Aktien seines Unternehmens an mehreren Plätzen gehandelt werden, kommt es auf die richtige Reihenfolge an. Denn in Düsseldorf ist es so, dass die alten Vorschriften – also die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses und eines Abfindungsangebots – nur beachtet werden müssen, wenn das Unternehmen nicht auch noch an anderen Börsen gelistet ist. Dagegen kann bei Mehrfachlistings der Widerruf der Börsenzulassung dort sofort erfolgen, wenn der Emittent erklärt, mindestens ein Jahr an der zweiten Börse kein Delisting zu beantragen. Dann kann ein Unternehmen also zunächst in Düsseldorf ein vereinfachtes Delisting vornehmen und ein Jahr später auch an den übrigen Handelsplätzen das Parkett verlassen.
Wenn Unternehmen ihre Entscheidung für das Delisting veröffentlichen, werden immer Kostengründe angegeben – egal, ob es um einen Rückzug an einem deutschen oder internationalen Handelsplatz, wo man eine Zweitnotiz hat, geht. Ab wann rechnet sich ein Rückzug denn?
Das ist natürlich extrem unterschiedlich. Aber gerade, wenn Unternehmen nur noch einen geringen Free Float haben und sich nicht mehr über die Börse finanzieren werden, stehen die Transparenzkosten oft in keinem Verhältnis mehr zu den Vorteilen der Börsennotiz. Durch den Rückzug entfallen ja nicht nur Börsengebühren, Kosten für Analystenkonferenzen und Finanzberichte, sondern Unternehmen können ihre Rechnungslegung auch wieder auf HGB umstellen und dadurch ihre internen Kosten deutlich senken.
Da könnte der CFO einen großen Kostenblock streichen. Aber welche potentiellen Nachteile muss er für seine Entscheidung mit in die Waagschale werfen?
In erster Linie geht es darum, dass die Börsennotierung Voraussetzung für die Platzierung neuer Aktien am Kapitalmarkt ist. Diese Möglichkeit zur bankenunabhängigen Finanzierung entfällt bei einem Rückzug von der Börse, ist je nach Aktionärsstruktur aber häufig auch nicht mehr gewünscht. Zudem ist mit dem Listing natürlich auch ein gewisser Grad an Bekanntheit verbunden, über börsennotierte Unternehmen wird mehr berichtet. Das ist bei der Rekrutierung von Fachkräften ein nicht zu unterschätzendes Asset – nicht zuletzt, weil Aktienoptionen als Gehaltsbestandteil bei Führungskräften ausgesprochen beliebt sind.
Info
Dr. Guido Quass ist Partner im Bereich Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht bei der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart.