Für viele Aktionäre verlief das Börsenjahr bisher enttäuschend. Der Dax hat seit Jahresbeginn fast 12 Prozent verloren, viele Aktien noch deutlich mehr. Das lag auch an den zahlreichen Umsatz- und Gewinnwarnungen der Unternehmen, die sich vor allem im September und Oktober häuften. Insbesondere im Automobilsektor fielen die Gewinnprognosen reihenweise. Auch fast alle börsennotierten Modeunternehmen mussten in ihren Prognosen dem ungewöhnlich langen und heißen Sommer Tribut zollen.
So bitter Gewinnwarnungen für den Aktienkurs und die Aktionäre sind, so süß sind diese für Leerverkäufer, die auf fallende Kurse spekulieren. Dazu leihen sich die sogenannten Shortseller eine Aktie für einen bestimmten Zeitraum und verkaufen diese direkt weiter. Fällt der Aktienkurs in der Folge, können sie das Papier am Markt günstiger zurückkaufen, bevor sie die geliehene Aktie zurückgeben müssen. Die Differenz streichen Sie als Gewinn ein.
Shortseller antizipieren 16 Gewinnwarnungen
Und die Gewinnwarnungen haben Shortsellern im bisherigen Jahresverlauf zum Teil große Profite beschert, wie eine Auswertung der im Bundesanzeiger veröffentlichten Daten zeigt. Dort müssen alle Leerverkaufspositionen gemeldet werden, die größer als 0,5 Prozent des ausstehenden Aktienvolumens sind. Die Statistik erfasst zwar nicht alle, aber die größten Leerverkaufspositionen.
FINANCE hat 16 Unternehmen gefunden, bei denen laut Bundesanzeiger am Tag der Gewinnwarnung mindestens ein Shortseller eine veröffentlichungspflichtige offene Netto-Leerverkaufsposition gehalten hat (siehe Tabelle).
Shortseller-Positionen am Tag der Gewinnwarnung
Quelle: Eigene Recherche und Analyse auf Basis der Daten vom Bundesanzeiger
Marshall Wace triumphiert bei Gea und ThyssenKrupp
Vier Positionen dürften wegen ihrer Größe für die Leerverkäufer dabei besonders lukrativ gewesen sein. Die gemeldete Leerverkaufsposition von Marshall Wace bei dem Anlagenbauer Gea lag am Tag der Gewinnwarnung bei 1,31 Prozent. Schon zuvor war die Aktie bereits um fast ein Viertel auf rund 27 Euro eingebrochen.
Ako Capital hatte bei dem Maschinen- und Anlagenbauer Dürr im Vorfeld der Gewinnwarnung auf 1 Prozent des ausstehenden Aktienkapitals gewettet. Die Dürr-Aktie gab in dem Zeitraum rund um die Warnung um 17 Prozent nach.
Bei SLM Solutions spekulierte der Asset-Management-Riese Blackrock sogar mit 1,54 Prozent des ausstehenden Aktienvolumens auf eine erneute Gewinnwarnung des 3D-Druckerherstellers. Und diese kam tatsächlich: Das Unternehmen kann das dritte Jahr in Folge seine gesteckten Ziele nicht erreichen. Der Aktienkurs befindet sich seit Jahresbeginn im Sinkflug. Allein im Oktober, dem Monat vor der Gewinnwarnung, verlor die Aktie 26 Prozent, nach der Gewinnwarnung weitere 20 Prozent.
Wegen seiner ungewissen Zukunft bei Shortsellern beliebt war auch ThyssenKrupp. Der angeschlagene Industriekonzern musste dieses Jahr gleich zweimal seine Prognosen kappen. Am Tag der ersten Gewinnwarnung Ende Juli verzeichnete der Bundesanzeiger allerdings noch keine meldungspflichtige Leerverkaufsposition. Bei der zweiten im November tauchte dann jedoch der Shortseller Marshall Wace mit 1,08 Prozent auf – eine Wette, die sich angesichts der schlechten Aktienkursentwicklung von ThyssenKrupp auch zu dem späteren Zeitpunkt rentiert haben dürfte.
Bridgewater lag mit Dax-Wette richtig
Neben diesen Volltreffern gab es auch eine Vielzahl von Shortsellern, die zwar eine meldungspflichtige Position über das Jahr aufgebaut, diese jedoch vor dem Tag der Gewinnwarnung soweit reduziert hatten, dass sie unter die veröffentlichungspflichtige Meldeschwelle fiel (siehe Tabelle 2).
Wie groß diese Leerverkaufspositionen zum Zeitpunkt der Gewinnwarnung waren, lässt sich mit Hilfe des Bundesanzeigers nicht bestimmen. Aber auch die meisten der hier genannten Finanzinvestoren dürften von den Gewinnwarnungen profitiert haben, sofern sie ihre zuvor aufgebauten Positionen nicht komplett geschlossen haben.
Shortseller-Positionen vor der Gewinnwarnung
Quelle: Eigene Recherche und Analyse auf Basis der Daten vom Bundesanzeiger
So waren die Leerverkäufer AQR Capital und Marshall Wace im Juli bei ThyssenKrupp knapp vor der ersten Gewinnwarnung jeweils noch mit rund 0,5 Prozent „short“. Beim Automobilzulieferer Schaeffler hatte Engadine Partners Anfang Oktober Netto-Leerverkaufspositionen von bis zu 1,68 Prozent aufgebaut, diese aber bis Ende des Monats wieder auf rund 0,5 Prozent gesenkt. Schaefflers Gewinnwarnung folgte am 30. Oktober, der Aktienkurs hatte aber bereits im Oktober um fast 20 Prozent nachgegeben.
Sehr aktiv war auch der Shortseller Bridgewater. Dieser hatte kurz vor den jeweiligen Gewinnwarnungen bei Daimler, BMW, Deutsche Post und Fresenius jeweils noch rund 0,5 Prozent über den Bundesanzeiger gemeldet. Fresenius war durch die Gewinnwarnung seines Tochterunternehmens Fresenius Medical Care indirekt betroffen. Bridgewater ist der Fonds von US-Investor Ray Dalio. Dieser hatte im Februar den halben Dax geshortet und lag mit dieser Positionierung richtig.
Henkel, Osram und Conti überraschen Shortseller
Es gab aber auch einige Unternehmen, die die Shortseller laut Bundesanzeiger nicht auf dem Zettel hatten (siehe Tabelle 3). Der Autozulieferer Continental musste seine Prognosen sogar gleich drei Mal anpassen. Doch überraschenderweise vermeldete der Bundesanzeiger in diesem Jahr zu keiner Zeit eine meldungspflichtige Leerverkaufsposition.
Gewinnwarnungen ohne Shortseller-Position
Quelle: Eigene Recherche und Analyse auf Basis der Daten vom Bundesanzeiger
Das gilt auch für den Kabelnetzbetreiber Tele Columbus, der im Lauf des Sommers zwei Gewinnwarnungen kurz hintereinander veröffentlichte, ohne in den Shortsellerlisten des Bundesanzeigers aufzutauchen – die Aktie drittelte sich. Auf dem falschen Fuß erwischt wurden die Shortseller auch bei den Gewinnwarnungen von Henkel und Osram.
Info
Erfahren Sie mehr über das Vorgehen von aggressiven Leerverkäufern auf der FINANCE-Themenseite zu Shortseller-Attacken.