FINANCE-Studie

Nachhaltigkeit und Green Finance

Zwischen Ambition und Transformation

Trotz zahlreicher Krisen verschwinden Nachhaltigkeit und Green Finance nicht aus dem Blickfeld der Unternehmen. Dies belegt die vierte Auflage der Studie von FINANCE und LBBW. Inzwischen wirkt jedoch der regulatorische Handlungsdruck stärker denn je. Wird die Nachfrage nach Green-Finance-Produkten dadurch beeinflusst? Welche Rolle spielen eigene Kennzahlen und M&A-Vorhaben für die Nachhaltigkeit von Unternehmen? Die aktuelle FINANCE-Studie 2023 gibt Antworten auf diese und weitere Fragen. Eine ausführliche Fassung finden Sie hier als Download.

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Quelle: ©Melinda Nagy – stock.adobe.com

Unternehmen im Krisenmodus

Bis zu Beginn des Jahres 2022 hatte sich die Konjunktur in vielen Branchen stabilisiert, die Zeichen standen auf Aufschwung. Doch der russische Überfall auf die Ukraine warf die Wirtschaft erneut zurück. Die Herausforderungen sind größer geworden, allen voran steigende Energiepreise und unterbrochene Lieferketten. Gleichzeitig verschärfen der demographische und der technologische Wandel den Arbeitskräftemangel. Die Relevanz einer nachhaltigen Unternehmensführung wird dennoch weiterhin als hoch eingestuft: Neun von zehn befragten Unternehmensentscheidern halten sie für wichtig.

48%

der befragten Unternehmensentscheider rechnen damit, dass die Energiekrise den Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft zurückwirft.

„Was sind für Sie derzeit wichtige Themenfelder?“1; in Prozent der befragten Unternehmensentscheider;
n = 175 
1 Mehrfachnennungen möglich; ohne „weiß nicht/keine Angabe“

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

In diesem Geschäftsumfeld Gewinne zu erwirtschaften ist eine Herausforderung, insbesondere mit Blick auf steigende Einkaufspreise. Fast die Hälfte der Unternehmen setzt sich mit der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und Kostenoptimierungen auseinander.

Die Organisationen erkennen spätestens jetzt, welches Risiko mit der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verbunden ist und wie nachhaltiges Wirtschaften die unternehmerische Resilienz stärkt. Jeweils 43 Prozent der befragten Unternehmensentscheider bezeichnen Klimaneutralität und Energiesicherheit als wichtige Themenfelder. Ein verringerter Energieverbrauch und CO2-Ausstoß sind zudem in diesem Jahr die wichtigsten ökologischen Nachhaltigkeitsmaßnahmen.

Das Krisenmanagement überlagert wichtige Zukunftsthemen: Die Steigerung der Innovationsfähigkeit und die Transformation des Geschäftsmodells stehen vielerorts hintenan. Ein weiteres Zukunftsrisiko ist der Arbeitskräftemangel. Arbeitnehmer können künftig noch stärker aus zahlreichen Angeboten auswählen. Die Arbeitgeberattraktivität ist daher in diesem Jahr das entscheidende Themenfeld für die Unternehmensentscheider.

Im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit fördert die Mehrheit der Unternehmen auch (Weiter-)Bildungsangebote sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Krisenlage verdrängt das Thema Nachhaltigkeit also nicht von der Agenda, beeinflusst jedoch die Priorisierung der Maßnahmen. Der Wille zur nachhaltigen Transformation ist weiterhin vorhanden. Dafür spricht auch, dass viele Unternehmen sich verstärkt mit der organisatorischen Verankerung von Nachhaltigkeit auseinandersetzen.

Top 3 Maßnahmen für die befragten Unternehmensentscheider
pro Nachhaltigkeitsdimension ¹

Ökologie:

Energieverbrauch senken
CO2-Emissionen verringern
erneuerbare Energien einsetzen

Soziales:

Bildung ermöglichen
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Gesundheitsschutz der Mitarbeiter

Governance:

Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie
Ermittlung von Nachhaltigkeitskennzahlen
organisatorische Verankerung von Nachhaltigkeit

¹n = 171/168/163; Mehrfachnennungen möglich

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

Transformationsdruck aus allen Richtungen

Lange wurde die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft eher durch ambitionierte Unternehmen vorangetrieben, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollten. Inzwischen wirken der gesellschaftliche und der regulatorische Handlungsdruck stärker denn je. Um einen Imageverlust zu vermeiden, müssen Unternehmen ihren Nachhaltigkeitsanspruch offen kommunizieren und transparent belegen. Was für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gilt, erstreckt sich jetzt auch auf nachhaltige Finanzierungen: Für die Mehrheit der Befragten machen grüne Kredite oder Anleihen die nachhaltigen Anstrengungen für Stakeholder und die Öffentlichkeit nachvollziehbar und steigern damit die Unternehmensreputation.

Daneben sorgt die zunehmende Zahl von Regulierungsmaßnahmen für einen klar definierten Rahmen für Nachhaltigkeitsaktivitäten und -pflichten. Die EU-Kommission weitet mit der sogenannten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) die Berichtspflichten für Unternehmen stark aus. Die CSRD ersetzt die Non-Financial Reporting Directive (NFRD), der aktuell ein Fünftel der befragten Unternehmen unterliegt. 48 Prozent der Finanzentscheider bereiten sich zudem auf die Anforderungen der CSRD vor.

„Unterliegen Sie bereits den Berichtspflichten durch die
Non-Financial Reporting Directive (NFRD)?“;
in Prozent der befragten Finanzentscheider; n = 114

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

74%

der befragten Finanzentscheider sagen, dass das Bedürfnis der Banken nach Nachhaltigkeitsinformationen (stark) gestiegen ist.

45%

der befragten Unternehmensentscheider sind der Ansicht, dass die Offenlegungspflichten zu weit gehen und zu großen Belastungen führen.

Zudem fordern zahlreiche Stakeholder Nachhaltigkeit aktiv ein und verstärken damit den Transformationsdruck. Nach Einschätzung der Finanzentscheider nahm das Bedürfnis der Kapitalgeber nach Nachhaltigkeitsinformationen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu. Der Informationsbedarf der Banken steigt seit Jahren am stärksten. Die Nachfrage bezieht sich dabei zuvorderst auf Daten zu CO2-Informationen – das berichten 48 Prozent der Finanzentscheider.

Viele der befragten Unternehmensentscheider sind der Ansicht, dass die Offenlegungspflichten grundsätzlich zu weit gehen und zu Belastungen führen. Die Umsetzung des Anfang 2023 in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) wird den ohnehin hohen administrativen Aufwand für alle direkt und indirekt betroffenen Unternehmen nochmals vergrößern. Ambitionierten Unternehmen bietet sich jedoch erneut die Chance, sich durch vorausschauende Transformationsprozesse als Vorreiter zu positionieren.

73%

der befragten Finanzentscheider erwarten, dass ohne glaubhafte Nachhaltigkeitsstrategie die Finanzierungskosten steigen werden.

63%

der befragten Finanzentscheider nehmen an, dass nachhaltige Finanzierungen in Zukunft zum Standard werden.

Nachhaltige Finanzierungen auf Wachstumskurs

Durch die ESG-Varianten verschiedener Finanzierungsinstrumente, sprich eine Verknüpfung der Konditionen an definierte Nachhaltigkeitskriterien auf Unternehmensebene, hat sich der Markt für nachhaltige Finanzierungen einer breiteren Masse geöffnet.

Für die Mehrheit der befragten Finanzexperten spielen die Kostenvorteile – in der Regel bis zu 2,5 Basispunkte – eines solchen Finanzierungsprodukts allerdings nur eine geringe Rolle. Zwei Drittel der Finanzexperten sind der Ansicht, dass die finanziellen Auswirkungen ESG-verknüpfter Transaktionen zu gering sind, um einen Anreiz für Veränderungen zu setzen.

Dennoch haben nachhaltige Finanzierungsmodelle im vergangenen Jahr weiter an Zuspruch gewonnen. Dabei stehen besonders Förderkredite im Blickpunkt, die bereits mehr als vier von zehn der befragten Unternehmen genutzt haben. Aber auch die Nutzung von Green Loans, Sustainability-linked Bonds oder Positive-Incentive- oder ESG-linked Schuldscheindarlehen hat sich im Vergleich zum Vorjahr zum Teil mehr als verdoppelt. Gesellschaftlicher Druck und eine zunehmende Regulierung haben viele Unternehmen dazu bewegt, sich schon heute mit nachhaltigen Finanzierungsmodellen zu befassen.

„Welche nachhaltigen Finanzierungsinstrumente hat Ihr Unternehmen schon genutzt?“1; in Prozent der befragten Finanzentscheider; n = 121
1 Mehrfachnennungen möglich; Darstellung ohne Antwortoptionen „Sonstige“ und „weiß nicht/keine Angabe“

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

Die Taxonomie scheint noch recht breit zu sein, über 200 KPIs machen das Erfassen komplex. Es ist unklar, ob sich daraus ein Kondensat ableiten lässt, das vom Markt akzeptiert wird.

ein befragter Finanzentscheider

Die Verfügbarkeit und Überprüfbarkeit der Daten sind große Herausforderungen.

ein befragter Finanzentscheider

Aktuell sind die Regelungen zur Auswahl von KPIs aus meiner Sicht noch nicht scharf genug.

ein befragter Finanzentscheider

Die größte Herausforderung besteht darin, dass die nachhaltigen Kennzahlen die gleiche Qualität wie die finanziellen Kennzahlen bekommen. Gleichzeitig sollte der Aufwand minimal gehalten werden, das heißt, es ist eine gute Integration in bestehende Prozesse erforderlich.

ein befragter Finanzentscheider

Mehr Kompetenz benötigt

„Wie schätzen Sie Ihren eigenen Kenntnisstand hinsichtlich nachhaltiger Finanzierungsmöglichkeiten ein?“; in Prozent der befragten Finanzentscheider;
n = 130

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

Mit Blick auf Begriffe wie CSRD, LkSG, NFRD oder auch die EU-Taxonomie-Verordnung wird schnell klar, dass spezialisierte Fachkenntnisse erforderlich sind. Vielfach fehlt es den Unternehmen aber noch an benötigtem Wissen und Kompetenzen. Besonders kleinere und mittlere Unternehmen haben hier noch Aufholbedarf, während größere Unternehmen Nachhaltigkeit vielfach bereits organisatorisch integriert haben. So stufen 46 Prozent der befragten Finanzentscheider ihre eigenen Kenntnisse nachhaltiger Finanzierungsmöglichkeiten als gering ein. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen, was sich durch das schnell wachsende Angebot an Informationen und Möglichkeiten nachhaltiger Finanzierungen erklärt. Mehr Unternehmen als in den Jahren zuvor beschäftigen sich erstmals mit dem Thema nachhaltige Finanzierungen und erkennen ihren Nachholbedarf an Kompetenzen und Wissen. Bei der Implementierung dieser Finanzierungsmodelle, aber auch bei der Schaffung eines Überblicks über die Nachhaltigkeit des Unternehmens sowie die nicht-finanzielle Berichterstattung stehen die Unternehmen vor einigen Problemen.

Eigene KPIs bevorzugt

Was zählt als nachhaltig? Nicht zuletzt die Debatte im Sommer 2022 um die Einstufung von Investitionen in Atomkraft und Erdgas als nachhaltig hat diese Frage wieder aufgeworfen. Unternehmen müssen ihren Nachhaltigkeitsanspruch ohne Zweifel nach außen vertreten können. Daher ist es zwingend notwendig, nachhaltige Finanzierungsmodelle an strikte Parameter zu knüpfen. Aufgrund der individuellen Bedürfnisse der Unternehmen kann es sinnvoll sein, eigene KPIs als Parameter auszuwählen, da ESG-Ratings durch fehlende Regulierung nur eine geringe Vergleichbarkeit ermöglichen.

47 ­Prozent der befragten Finanzentscheider bevorzugen daher individuell festgelegte Kennzahlen für nachhaltige Finanzierungs­modelle gegenüber externen ESG-Ratings. Erforderlich hierfür ist allerdings eine Messung der eigenen Nachhaltigkeit. Zudem müssen die KPIs sorgsam ausgewählt werden und ambitioniert genug sein, wobei dies bei unzureichender Datenlage schwerfällt. Besonders da immer mehr Unternehmen auch verpflichtet sind, über nicht-finanzielle Kennzahlen zu berichten, sind schnell Lösungen zu finden. Hier gilt es, ein unternehmensinternes Verständnis zu schaffen, damit die Erfassung der benötigten Daten nicht als zusätz­liche Bürde aufgefasst wird.

„Bei Positive Incentive/ESG-verknüpften Finanzierungen kann die Zinshöhe an verschiedene Größen gekoppelt werden. Was bevorzugen Sie in Ihrem Unternehmen?“; in Prozent der befragten Finanzentscheider, die Positive-Incentive- oder ESG-linked Finanzierungen bereits nutzen oder für die diese grundsätzlich denkbar sind; n = 62

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

Nachhaltig durch M&A

„Wie beeinflussen Nachhaltigkeitsaspekte ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen im Rahmen von Mergers und Acquisitions aktuell?“; in Prozent der befragten Finanzentscheider; n = 114

Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

Die Geschäftswelt befindet sich im Wandel, und angesichts der Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft sind Unternehmen aufgefordert, ihre Geschäftsmodelle zu hinterfragen. Um erfolgreich zu bleiben, müssen sie sich neu ausrichten, indem sie entweder Bereiche abgeben oder Kenntnisse durch Zukäufe erwerben. Die Sustainability Performance von Unternehmenseinheiten wird dabei im Rahmen von M&A-Deals mit bis zu 10 Prozent des Kaufpreises eingepreist. Unternehmen lassen daher zunehmend Nachhaltigkeitsaspekte in ihre langfristige Zukunftsausrichtung einfließen. So beziehen 15 Prozent der befragten Finanzentscheider diese Aspekte stark in ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen im Rahmen von Mergers und Acquisitions ein. Bei den großen ­Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 5 Milliarden Euro oder mehr sind es sogar 30 Prozent. Bisher existiert zwar noch kein Finanzierungsvakuum für treibhausgasintensive Unternehmen, doch Finanzdienstleister richten ihr Portfolio – auch aus Risikoabwägungen – zunehmend „grün“ aus. Nicht nachhaltige Unternehmen müssen hier mit nachteiligen Konditionen rechnen.