Herr Munsch, Creditreform Rating hat im regulierten Markt 71 Emittenten von Mittelstandsanleihen geratet, viele dieser Ratings haben Sie seit dem Erstrating zurückgestuft. Allein in diesem Jahr haben Sie neun Ratings-Downgrades und zehn „Watch-negatives“ verteilt, aber kein einziges Upgrade. Das ist eine Ratingmigration wie in einer schweren Rezession. Haben wir die im Mittelstand?
Nein, aber eine Reihe anderer Themen. Viele unserer aktuellen Ratingschritte betreffen Unternehmen mit relevantem Russland- oder Ukrainegeschäft, das durch die aktuellen politischen Ereignisse gefährdet ist. Hier haben wir im Wesentlichen die „Watch“ vergeben. Es haben aber auch viele Emittenten die Anleihemittel nicht so verwendet wie beim Erstrating angekündigt. Und Untersuchungen von uns belegen, dass sich die wesentlichen Kennzahlen der Emittenten von Mittelstandsanleihen im Schnitt deutlich schlechter entwickelt haben als die des deutschen Mittelstandes als Ganzes.
Waren Ihre ursprünglichen Ratings dann nicht viel zu gut? Eine Ratingagentur muss doch Negativentwicklungen antizipieren, damit das Rating über den Zyklus nur minimal schwankt.
Natürlich haben auch wir negative Szenarien bei unseren Ratings berücksichtigt. Bei manchen Unternehmen hat uns das Ausmaß der negativen Dynamik aber überrascht, wie ich zugeben muss. Es handelt sich bei den Verschlechterungen auch nicht um Auswirkungen eines Konjunkturzyklus, sondern solche, die einzelne negative Entwicklungen der Unternehmen betreffen. Ich erwarte keinen weiteren Anstieg der Ausfallraten, aber man muss realistisch sein: Weitere Pleiten sollten uns alle nicht überraschen. Creditreform Rating wird im Sinne der Investoren die Emittenten weiter eng beobachten.
„Es kann nicht sein, dass wir das aus der Presse erfahren“
Die inzwischen nach knapp zwei, drei Jahren erreichte Ausfallrate von 15 Prozent entspricht einem tiefen Single-B-Rating. Sie haben die Emittenten im Schnitt im BB+ Bereich bewertet. Wie konnte das passieren?
Das ist eine wichtige Frage, die wir natürlich analysieren. Wir führen regelmäßig intensive „Back-Testings“ durch und schauen uns unsere Ratingentscheidungen kritisch an. Es handelt sich dabei um einen sehr aufwendigen Prozess, bei dem wir jeden Ratingschritt untersuchen. Es zeigt sich aber bereits, dass die Gruppe der Anleiheemittenten eine besondere Teilmenge des Mittelstands ist. In diesem Rahmen haben wir bereits einige Faktoren identifiziert, die wir heute anders beurteilen und gewichten als früher. Dazu gehören Abhängigkeiten von einzelnen Personen und Geschäftspartnern oder ein problematischer Branchenbezug.
Wie zu erwarten, reagieren die meisten Emittenten unleidlich auf Ihre Downgrades. Fritz Homann, der Chef des Emittenten Homann Holzwerkstoffe, hat sich sogar öffentlich gegen Ihr Ratingdowngrade gewehrt. Das kann Ihnen nicht gefallen haben.
Jeder Emittent hat das gute Recht, unsere Ratingeinschätzungen zu kritisieren. Sie können aber davon ausgehen, dass wir unsere Ratingentscheidungen gegenüber unseren Kunden immer sorgfältig begründen. Die meisten können sie dann auch nachvollziehen. Die Pflicht zur transparenten Kommunikation liegt aber nicht nur bei den Ratingagenturen. Es kann zum Beispiel nicht sein, wenn die Ratingagentur von der geplanten Aufstockung einer Anleihe aus der Presse erfährt, was uns bereits passiert ist.
Viele CFOs und Emissionsberater sagen uns, dass sie die Analysten der Creditreform nicht mehr wiedererkennen. Stimmt es, dass Ihre Leute heute viel strenger mit den Emittenten umgehen als früher?
Nein, unsere Analysten sind nicht bewusst kritischer oder strenger geworden. Die Ratings sind unter dem Strich schlechter geworden – aber nicht, weil wir strenger raten, sondern auf Grund von Entwicklungen in den Unternehmen.
Creditreform: Neue Ratingsystematik nein, Back-Testing ja
Ihr Wettbewerber Scope hat als Reaktion auf die sich rückblickend zu optimistischen Ratings seine Ratingsystematik verändert. Steht die Creditreform noch zu ihrem Ratingansatz?
Ja, wir halten an unserer Systematik fest. Wir setzen auf das Back-Testing, um unsere Ratings zielgenauer zu machen.
Wir haben den Eindruck: Jede Ratingagentur reagiert anders auf das Ratingdebakel bei den Mittelstandsanleihen. Sprechen Sie sich bei der Fehlersuche nicht ab?
Jede Agentur hat ihre eigene Methodik, die sie selbständig überwachen muss.
Auch die Arbeit Ihrer Wettbewerber Scope, Feri und Euler Hermes wird kritisch gesehen. Befürchten Sie, dass eine der drei großen Ratingagenturen die Situation ausnutzen und selbst in den Mittelstandsanleihenmarkt vordringen wird?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Passen die Unternehmensprofile kleiner deutscher Mittelständler, die einen Großteil ihres Geschäfts in Deutschland machen, wirklich mit dem Analysefokus einer multinationalen Ratingagentur zusammen? Die nunmehr dargestellte Volatilität der Entwicklung von Anleiheemittenten ist etwas ganz anderes als die Entwicklung von Großkonzernen, die normalerweise den Fokus ausmachen.
Michael Munsch warnt Emittenten mit Refinanzierungsdruck
Die schlechte Stimmung am Markt hat sich aber schon auf das Neugeschäft ausgewirkt. Das Geschäft läuft verhalten, im April herrschte Flaute am Markt für Mittelstandsanleihen. Arbeiten Sie gerade an vielen Neuemissionen oder herrscht Ebbe in Ihrer Pipeline?
Aktuell sehen wir weniger Neuemissionen, aber der Markt scheint sich aktuell ein wenig wiederzubeleben. Der Best-Practice-Leitfaden, den die Deutsche Börse Anfang April veröffentlicht hat, war ein positives Signal: Er hat Klarheit geschaffen, wie sich die Deutsche Börse künftig Emittenten von Mittelstandsanleihen vorstellt. Ein anderes positives Signal ist das wachsende Bewusstsein dafür, dass es bei Anleiheratings deutlich weniger Downgrades als bei den Emittentenratings gegeben hat. In unseren Gesprächen mit bestehenden und potentiellen Emittenten bringen wir derzeit sehr deutlich unsere Haltung ein, dass wir Anleiheratings gegenüber Emittentenratings den Vorzug geben.
Käme ein Umsteuern noch rechtzeitig?
Wir blicken mit großer Spannung auf das nächste Jahr: 2015 kommt der Mittelstandsanleihenmarkt in die Refinanzierungsphase, was an anderen Bondmärkten in der Vergangenheit immer ein wegweisender Zeitpunkt gewesen ist. Wir reagieren jetzt schon darauf: Von Emittenten wollen wir rechtzeitig vor Fälligkeit ihrer Anleihe ein detailliertes Tilgungs- oder Refinanzierungskonzept sehen. Wenn wir das nicht erhalten, werden wir das in unseren Ratings berücksichtigen.
Info
Creditreform Rating ist der eindeutige Marktführer bei Ratings von Mittelstandsanleihen. Die Bonität von 71 Minibond-Emittenten am regulierten Markt hat Creditreform eingeschätzt, weit mehr als jede der anderen am Markt aktiven Ratingagenturen Euler Hermes, Feri und Scope. Elf von der Creditreform beurteilte Emittenten sind bislang ausgefallen. Nur ganz wenige Emissionen stufte Creditreform seit der Ersteinschätzung herauf, fast jedes dritte Rating hielt die Ratingagentur konstant. Ein Drittel der Ratings wurde einmal oder mehrfach herabgestuft, ein weiteres Drittel der Emittenten hat sein Rating inzwischen zurückgezogen oder ist ausgefallen.
Interviews mit den Chefs von Euler Hermes, Scope, Feri und Fitch sowie weitere Hintergründe zu den aktuellen Geschehnissen und Konflikten rund um die umstrittenen Bonitätseinschätzungen finden Sie auf unserer Themenseite zu Mittelstands-Ratings.