Herr Lindemann, Sie waren von 2000 bis 2009 CFO und Vorstandssprecher von Beate Uhse, später für einige Monate Chief Restructuring Officer (CRO) bei Görtz. Beide Unternehmen kamen wegen der Digitalisierung heftig unter Druck. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?
Handel und Medien sind sehr stark von der digitalen Revolution betroffen – beide Branchen haben diese Entwicklung jedoch lange unterschätzt. Als ich damals zu Beate Uhse gewechselt bin, hatte ich zunächst auch nicht erwartet, wie schnell und in welchem Ausmaß die Digitalisierung das Unternehmen erschüttern würde. Möglicherweise hätte ich das Geschäftsmodell früher mit mehr Nachdruck anpassen müssen, denn durch das Internet ist Beate Uhse damals der komplette Medienbereich weggebrochen. Mit Filmen ließ sich kaum noch Geld verdienen, Raubkopien und kostenfreie Angebote im Internet haben das Preisgefüge völlig verändert. Vor zehn Jahren war aber noch nicht abzusehen, dass E-Commerce einmal so erfolgreich sein würde. Wenn es eine Lehre gibt, dann lautet die wohl: Früh und entschieden handeln.
Und bei Görtz?
In den acht Monaten, in denen ich 2012/2013 als CRO dort war, ging es vor allem darum, das Unternehmen wieder solide aufzustellen, nachdem es 2011 in die Verlustzone gerutscht war. Das Eigenkapital musste gestärkt, die Kosten mussten gesenkt werden. Strategische Fragen standen da zunächst im Hintergrund. Die geht das Unternehmen jetzt mit dem neuen Minderheitseigentümer, dem Finanzinvestor Afinum, an.
Welche Rolle kommt einem CFO bei der Umstellung des Geschäftsmodells zu?
Es ist natürlich vor allem der CEO, der die Impulse geben muss, aber im Teamwork mit dem CFO. Denn der Finanzchef hat zwei sehr entscheidende Rollen bei der Umstellung des Geschäftsmodells: Zum einen muss er das Geld beschaffen, dass für die Veränderung notwendig ist. Zum anderen muss er die Strategie gegenüber Banken und Kapitalmarkt vertreten und erklären können.
Stichwort Finanzierung: Bei vielen Medienhäusern und Handelsunternehmen hat die Digitalisierung schon tiefe Spuren in der Bilanz hinterlassen. Sie agieren aus einer Position der Schwäche heraus und können Investitionen nicht mehr aus dem Cashflow finanzieren. Banken werden dann zurückhaltend bei der Kreditvergabe. Welche Optionen hat so ein Unternehmen?
Für viele Verlagshäuser und Händler ist es aus den beschriebenen Gründen sehr schwierig, sich neu zu orientieren. Private Equity kann eine Option sein, wie Görtz sie gezogen hat. Aber es ist natürlich besser, aus einer Position der Stärke zu handeln, wie es etwa Axel Springer gemacht hat. Springer hat erstaunlich früh – und relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit – die Weichen für die Digitalisierung gestellt. Sicher hat das Unternehmen auch davon profitiert, dass es mit der Bild-Zeitung eine Cashcow in seinen Reihen hat. Die Bild hat die Investitionen in digitale Angebote finanziert. Heute macht das digitale Geschäft fast 70 Prozent des Ebitda von Springer aus.
Vielen Unternehmen fehlt so eine Cashcow. Wenn es auf die Banken ankommt: Wie hat sich die Kommunikation mit den Banken verändert im Vergleich zu ihrer Zeit als CFO?
Banken wollten schon immer verstehen, was sie finanzieren. Aber heute stellen sie noch mehr strategische Fragen als noch vor einigen Jahren. Und in Umbruchsituationen schauen sie noch genauer hin und verlangen Antworten vom Management. Aus meiner Beratertätigkeit weiß ich, dass sie Vorständen in einigen Fällen sogar Input geben, wie sie mit dem Thema Digitalisierung umgehen könnten. Das macht ja auch Sinn: Sie haben Kontakte zu anderen Kunden in der Branche und haben daher einen guten Überblick.
Info
Otto Christian Lindemann ist seit April 2013 Partner bei der WP und Beratungs-Gesellschaft Ebner Stolz. Vom Standort Hamburg aus leitet er ein Team, das unter anderem für Verlage und Druckereien Strategien für den Umgang mit der Digitalisierung entwickelt und in Restrukturierungsfällen berät. Lindemann hat bereits mehrfach in seiner Karriere erleben müssen, wie die Digitalisierung Geschäftsmodelle verändert – und was passiert, wenn Unternehmen nicht rechtzeitig reagieren: Von 2000 bis 2009 war Lindemann CFO und Vorstandssprecher des Erotikunternehmens Beate Uhse. In dieser Zeit brachen dem Unternehmen wegen des Aufkommens von Gratis-Inhalten im Internet ganze Geschäftsfelder und Kundengruppen weg. Hohe Verluste und ein Covenant-Bruch im Jahr 2010 waren die Folge. 2012 war Lindemann dann für einige Monate Chief Restructuring Officer (CRO) bei dem Schuhhändler Görtz, der vor allem unter den Konkurrenz von Onlinehändlern wie Zalando und Co. leidet.
Wie andere CFOs mit dem Thema Digitalisierung kämpfen, lesen Sie in der Titelgeschichte der aktuellen Printausgabe von FINANCE.