Herr Schmidt, die Herabstufungen am Markt für Mittelstansdanleihen häufen sich, anfänglich als Investmentgrade eingestufte Emissionen fallen reihenweise aus. Woran liegt es, dass die ersten Bewertungen anscheinend zu positiv waren?
Rückblickend muss man sicher feststellen, dass bei der Entwicklung des Mittelstandssegments zu Beginn einige Fehler gemacht und manche Besonderheiten nicht hinreichend berücksichtig wurden. Offensichtlich ist, dass einige Ratings in Relation zu den vergebenen Kupons zu gut waren. Außerdem war die Spanne der Kupons bei den Emissionen im Mittelstandsmarkt auffallend eng. Alle Beteiligten haben sich stillschweigend auf Kupons zwischen 6 und 8 Prozent eingependelt. Das war verkehrt, bei einigen Unternehmen hätte der Kupon bereits zum Emissionszeitpuntk deutlich höher ausfallen müssen. Hier wurden die Risiken, die sich aus der spezifischen Branchen- und Größenstruktur dieses Segments ergeben, nicht ausreichend berücksichtig.
Fand nicht auch eine Negativselektion bei den Emittenten statt?
Richtig ist, dass viele Emittenten des Mittelstandssegments auf wenige oder auch nur ein einzelnes Geschäftsfeld fokussiert sind. Zusammen mit dem Größenaspekt sind diese Unternehmen daher anfälliger für Marktveränderungen als breit aufgestellte Großkonzerne. Diese Risiken haben viele Marktteilnehmer anfangs unterschätzt. Unserer Beobachtung nach hat sich der Markt aber inzwischen angepasst, die Relation von Rating und Rendite passt heute deutlich besser, und auch die Ratingagenturen haben eingesehen, dass man bei der Bewertung an manchen Stellen anders vorgehen muss.
Mit welcher Ratingmethodik wollen Sie bei Feri eine realistische Einschätzung treffen?
Wir sind zwar erst seit Mitte 2013 bei Mittelstandsratings aktiv, machen aber schon seit vielen Jahren Branchenratings. Dies hat sich auch in der Ratingmethodik niedergeschlagen. Wir schauen zunächst auf die Struktur der Branche, in der das Unternehmen aktiv ist, und analysieren die Entwicklung und die Perspektiven des jeweiligen Branchensegments. Schritt zwei ist eine Analyse der Wettbewerbssituation: Sind die Wettbewerber im Inland oder Ausland aktiv? Wer hat welchen Marktanteil? Erst danach rückt das Unternehmen selbst in den Fokus. Wir schauen dort ganz klassisch auf die Finanzkennzahlen, analysieren Cashflow-Modelle und nehmen Managementqualität und Entwicklungen unter die Lupe.
Kritiker monieren, der Branchenansatz stoße bei Ratings schnell an Grenzen. Was entgegnen Sie?
Wir glauben, dass sich ein mittleres bis kleines Unternehmen mit vergleichsweiser geringer Marktmacht nur schwer gegen langfristige Trends und Entwicklungen der eigenen Branche behaupten kann. Schauen Sie nur auf den Energiesektor: Die Überkapazitäten bei Solarmodulen waren lange vor den ersten Insolvenzen bekannt. Inzwischen sind alle Emissionen dieser Branche betroffen. Ich halte den Branchenaspekt insbesondere im Mittelstandsmarkt für wichtig. Dort finden sich viele Unternehmen aus Branchen, die sonst am Kapitalmarkt eher unterrepräsentiert sind, wie etwa Erneuerbare Energien und Handel. Einige der Ausfälle im Mittelstandsmarkt sind in diesen Bereichen auf Branchenphänomene zurückzuführen. Selbstverständlich ist die Branche nicht der allein maßgebliche Faktor für ein Rating. Aber sie ist aus unserer Sicht ein sehr wichtiger Bestandteil einer Ratinganalyse.
Mifa-Rating als Lernfaktor
Auch Feri hat schon einmal eine Einschätzung drastisch nach unten revidieren müssen. Die Mittelstandsanleihe des Fahrradproduzenten Mifa ist vor wenigen Wochen abgestürzt, nachdem Mifa Fehler in der Bilanzierung einräumen musste. Feri hatte für das Rating der im August 2013 begebenen Anleihe über 25 Millionen Euro auch die Prozesse im Unternehmen bewertet und die Emission zunächst mit BBB- eingestuft. Im April folgte die Herabstufung auf B-.
Bei solchen Themen geht es uns wie allen Analysten: Ein Stück weit müssen wir uns auf die Unterlagen des Unternehmens verlassen. Wir bohren natürlich so tief wie es geht, aber wir sind keine Wirtschaftsprüfer. Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang, dass man die Bedeutung des Managements und der Unternehmensstruktur bei einer Analyse kaum hoch genug einschätzen kann. Auch wir lernen da immer dazu.
Was wollen Sie künftig anders machen?
Wir haben unsere Methodik verfeinert. Wenn wir in der Analyse zu dem Schluss kommen, dass ein Unternehmen in einem kritischen Punkt wie etwa der Unternehmensstruktur noch Schwächen hat, dann kann das Gesamtrating eine bestimmte Obergrenze nicht mehr überschreiten, auch wenn viele andere Punkte gut bewertet werden. Diese Logik setzen wir in unserem Ratingverfahren nun vermehrt ein. Schwächen in besonders wichtigen Bereichen lassen sich damit durch gute Ergebnisse in anderen Feldern nicht kompensieren, sondern schlagen in jedem Fall auf das Rating durch.
Beobachten Sie auch bei Wettbewerbern Veränderungen in der Ratingmethodik?
Ich bin mir sicher, dass alle Ratingagenturen, die im Mittelstandssegment aktiv sind, ihre Methodik nochmals kritisch überdacht haben. Wir hatten durch unseren späten Einstieg in das Segment gewissermaßen die Gnade der späten Geburt und konnten zum Teil aus den Fehlern der anderen lernen. Außerdem gilt: Nicht jeden Auftrag anzunehmen kann ein Stück Selbstschutz sein.
Was sind neben dieser Erkenntnis die wichtigsten „Lessons learnt“ aus den Erfahrungen der vergangenen Monate?
Es herrscht in der Branche ein Konsens, dass wir mehr Qualität und Transparenz in den Markt bringen müssen. Es wäre schade und gesamtwirtschaftlich mit Sicherheit nicht wünschenswert, wenn die Finanzierung über den Kapitalmarkt mittels Anleihen für mittelständisch geprägte Unternehmen grundsätzlich wegfallen würde. Wir Ratingagenturen müssen kritischer agieren als zu Beginn und im Zweifel einen potentiellen Kunden ziehen lassen. Das gilt auch für Emissionsberater und Emissionsbanken; auch sie müssen potentielle Emittenten kritischer auf ihre Kapitalmarktfähigkeit prüfen. Die Börsen sollten überlegen, ob sie ihre Best-Practice-Empfehlungen nicht zumindest teilweise in verbindliche Vorgaben übersetzen.
Wie steht es um die Anlegerschaft?
Sicherlich sind wir uns auch einig darüber, dass das Investmentprodukt Mittelstandsanleihe nicht für jeden Anlegertypus geeignet ist; der einfache Privatanleger ist für den Vertrieb einer Einzelanleihe mit Sicherheit nicht die richtige Zielgruppe. Wie die letzten Emissionen zeigen, hat der Markt in vielen Bereichen bereits Fortschritte gemacht. Das heißt allerdings nicht, dass es nun keine Ausfälle mehr geben wird. Wer im Niedrigzinsumfeld Renditen von 8 Prozent und mehr sucht, sollte wissen, dass diese nicht risikolos zu haben sind.
Info
Die Agentur Feri hat seit Mitte 2013 insgesamt sechs Ratings abgeschlossen, davon ein Unternehmensrating und fünf Emissionsratings. Zu den bekanntesten Namen zählen Mifa und seit kurzem auch MS Deutschland. Veränderungen gab es bislang nur beim Rating der Mittelstandsanleihe des Fahrradherstellers Mifa: Nach einem Ursprungsrating von BBB- im Juli 2013 wurde das Unternehmen nach Bekanntwerden von Bilanzierungsfehlern im April auf B herabgestuft.
Weitere Informationen über das Marktsegment finden Sie auf unserer Themenseite zu Mittelstandsanleihen.