Herr Wettstein, Ihr Trainer Bruno Labbadia hat den Hamburger SV in einem Zeitungsinterview vor kurzem als Sanierungsfall bezeichnet. Hat er recht?
Definitiv – sportlich wie finanziell. Der Hamburger SV hat in den vergangenen zehn Jahren elf Trainer gehabt, nahezu kein einziger hat seinen Vertrag fristgerecht beendet. Und wir haben fünf Geschäftsjahre hintereinander mit einem Verlust abgeschlossen.
Wie viele Verluste haben die wiederholten Kaderumbrüche und millionenschweren Abfindungszahlungen dem HSV in den vergangenen Jahren denn insgesamt eingebrockt?
Das sind etliche Millionen – die genaue Höhe will ich an dieser Stelle nicht beziffern. Aber dass die Investitionen in der Vergangenheit viel zu hoch ausfielen und dazu auch noch schlecht allokiert waren, kann man an den Zahlen für das abgeschlossene Geschäftsjahr 2014/15 ablesen. Wir mussten über 30 Millionen Euro an Abschreibungen auf Spielerwerte verbuchen. Mehr als 20 Millionen davon waren planmäßige Abschreibungen. Daneben fielen außerordentliche Abschreibungen an, weil wir auch während der vergangenen Saison beziehungsweise im Vorgriff auf die neue Saison wieder zahlreiche Spielerabgänge hatten. Außerdem wurden im Zuge der Ausgliederung der Profiabteilung zum 1. Januar 2014 stille Reserven im Spielervermögen gehoben, die ein Jahr später wieder regulär abgeschrieben wurden.
Haben Sie mit dem 2014/15er-Abschluss „Kitchen sinking“ betrieben, wie es viele neu angetretene Finanzchefs tun – heikle Bilanzposten und Verlustbringer konsequent bereinigen, um danach unbelastet arbeiten zu können?
Nein. Wir haben aktiv Dinge bereinigt, aber keinesfalls über Gebühr für Risiken vorgesorgt. Wir haben ehrlich aufgeräumt, ohne zu konservativ gewesen zu sein.
HSV-CFO Wettstein: „45 Millionen Euro Spieleretat sind drin“
Das Hauptproblem des HSV sind die aus dem Ruder gelaufenen Kaderkosten. Schon Ihre Vorgänger wollten dieses Thema angehen, haben es aber immer wieder vertagt. Bekommen Sie die zu hohen Kosten nun endlich in den Griff?
Wir arbeiten intensiv daran. Als ich im November 2014 hier anfing, lagen wir bei Kaderkosten von über 50 Millionen Euro, die zusätzlich noch durch Abfindungen nach oben getrieben wurden. Unser langfristiges Ziel sind 40 Millionen Euro. Jetzt stehen wir ungefähr bei der Hälfte dieses Weges. Ein Etatvolumen von 40 bis 45 Millionen Euro kann sich der HSV ohne weiteres auch leisten, wenn er sich im Gleichgewicht befindet und von den Lasten der Vergangenheit bereinigt ist.
Was aktuell nicht der Fall ist.
Korrekt. Es ist klar, dass wir die Altlasten nicht einfach so abschütteln können. Zum einen gibt es laufende Verträge, zum anderen werden auch diese Saison die planmäßigen Abschreibungen auf Spielerwerte wieder rund 22 Millionen Euro erreichen. Danach sind wir aber zumindest über diesen Berg.
Als Sie für die abgelaufene Saison einen Rekordverlust von 16,9 Millionen Euro präsentierten, haben Sie behauptet, bei der Restrukturierung schon einiges erreicht zu haben. Was denn genau?
Dass wir uns sportlich im Vergleich zu den Jahren davor wieder gefangen haben, hat jeder Fußballfan in der Hinrunde gesehen. Aber auch auf wirtschaftlicher Ebene haben wir konsequent gegengesteuert. Am wichtigsten war, dass es uns gelang, 23 Millionen Euro Eigenkapital einzuwerben und damit unsere Finanzierungsstruktur zu verbessern. Sonst hätten die 16,9 Millionen Euro Verlust schwerer ins Kontor geschlagen. Außerdem haben wir in der Restrukturierungsphase die wichtigen Verträge mit unserem Trikotsponsor, unserem Ausrüster und mit unserem Bierpartner verlängern oder neu abschließen können und auch die Namensrechte am Volksparkstadion langfristig vermarktet. Genauso wichtig ist, dass der HSV standardisierte kaufmännische Prozesse hat.
Die Saison 2015/16 ist für den HSV ein „Übergangsjahr“
Das war das Hauptargument, mit dem die Befürworter 2014 die hochumstrittene Ausgliederung der Profiabteilung durchgesetzt haben – gegen den erbitterten Widerstand zahlreicher Mitglieder und Fans.
Ich war damals noch nicht beim HSV beschäftigt und habe die Debatte nur aus der Ferne verfolgt. Aber ich kann sagen, dass die Ausgliederung richtig war: Sie hat für alle erkennbar Ruhe in den Verein gebracht und für klare Corporate-Governance-Strukturen gesorgt. Das Management kann unabhängig von kurzfristigen Stimmungsschwankungen im Klub agieren. Dass dieser Umstand Vertrauen bei unseren Partnern geschaffen hat, belegen die gerade erwähnten Vertragsverlängerungen mit renommierten Unternehmen.
Aber auch im nächsten Sommer, zwei Jahre nach der Ausgliederung, wird der HSV noch in der Verlustzone stecken.
Die Verluste darf man allerdings nicht an der Ausgliederung festmachen, denn hier besteht kein Sachzusammenhang. Verluste gab es schließlich auch schon vor der Ausgliederung. Die Saison 2015/16 ist ein Übergangsjahr, in dem wir den Verlust gegenüber 2014/15 signifikant verringern werden. Für die Saison 2016/17 streben wir dann ein ausgeglichenes Ergebnis an. Darunter verstehe ich eine schwarze Null plus/minus 2 Millionen Euro – und zwar ohne außergewöhnliche Transfererlöse.
Info
Lesen Sie in Teil 2 des Interviews mit Frank Wettstein, wie er den HSV aus dem Schuldensumpf führen will und welche Rolle dabei Hamburger Unternehmer spielen sollen.
Frank Wettstein
Der 42-jährige Wirtschaftsprüfer ist seit November 2014 Finanzchef beim HSV. Er gilt als Sanierer und hat vor seinem Einstieg beim HSV schon die Krisenklubs Alemannia Aachen und 1860 München beraten. Sein Handwerk lernte er bei Baker Tilly Roelfs im Team von Thomas Treß, dem heutigen Finanzchef von Borussia Dortmund.
Wie es um die HSV-Finanzen steht und wie sich die Rettungsversuche des neuen Managements entwickeln, erfahren Sie auf unserer ausführlichen FINANCE-Themenseite zum Hamburger SV. Zahlreiche Analysen zu der Finanzlage der deutschen Fußballklubs finden Sie in unserem Fußballfinanz-Blog 3. Halbzeit. Weitere spannende Interviews mit Finanzchefs finden Sie auf unserer Themenseite CFO-Interviews.
Info
Wer ist der Mann, der um die Sanierung der HSV-Finanzen kämpft? Erfahren Sie mehr im FINANCE-Köpfe-Profil von HSV-Finanzchef Frank Wettstein.