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Kontrollierte Offensive

Bildquelle: iStock

Deutschland bleibt auf Wachstumskurs. Das Bruttoinlandsprodukt soll laut Bundesregierung 2011 um 2,6 Prozent steigen. Viele Firmen legen einen Gang zu oder wollen wieder durchstarten. Es gibt aber auch Unternehmen, die selbst während der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mit angezogener Handbremse fahren mussten. Dazu gehört das Halbleiterunternehmen Dialog Semiconductor, das seinen Umsatz in den vergangenen zwei Jahren von 162 Millionen US-Dollar im Jahr 2008 auf 297 Millionen US-Dollar 2010 fast verdoppelt hat. Die Schwaben aus Kirchheim/Teck-Nabern gehören eigenen Angaben zufolge zu den am schnellsten wachsenden börsennotierten Halbleiterunternehmen Europas. Das Biotechunternehmen Qiagen aus der Nähe von Düsseldorf hat seinen Umsatz in den vergangenen zehn Jahren sogar verzehnfacht auf inzwischen 1 Milliarde US-Dollar  (siehe Interview mit Qiagen-CFO Roland Sackers). 

Dieses enorme Wachstum ist schön, aber auch eine Herkulesaufgabe für die Finanzabteilung. Liquidität und Finanzierung müssen zu jedem Zeitpunkt sichergestellt sein, egal, wie stark das Working Capital angesichts des explosionsartigen Wachstums ansteigt. Aber auch die Organisation muss stimmen: Komplexität und Anforderungen an die Finanzabteilung wachsen kontinuierlich. Mit der zunehmenden Internationalisierung erhöhen sich meist auch die Risiken bei Währungen und in der Lieferkette. Das verlangt einen hohen Einsatz des Finanzchefs und seines Teams. Für viele Mittelständler stellt sich zum Beispiel die Frage, ob und ab wann man ein Treasury etablieren sollte. 

Jeder fängt klein an

In der Frühphase haben Unternehmen noch keine Finanzabteilung. Der Geschäftsführer muss in der Regel zusammen mit einem Mitarbeiter die operativen Tätigkeiten parallel zu seinen strategischen Aufgaben bewältigen. Die Buchhaltung wird in diesem Stadium oft zum Steuerberater ausgelagert. Einen Controller gibt es in der Regel nicht. Der CFO muss sozusagen „hemdsärmlig“, wie es Thomas Bluth von Guardian-Business-Services nennt, arbeiten, um das junge Wachstumsunternehmen bis zum positiven Cashflow zu führen. Keine leichte Aufgabe, da Start-ups zu Beginn oft viel Geld benötigen, ohne große Umsätze zu generieren. „Sehr junge Unternehmen werden gerade in der heutigen Zeit kaum Venture Capital oder gar eine klassische Bankenfinanzierung erhalten“, glaubt Bluth. „Stattdessen greifen sie auf öffentliche Fördermittel zurück oder holen sich neue Gesellschafter an Bord.“ 
 
Haben die jungen Unternehmen ihre Produkte am Markt etabliert und sind solide finanziert, wird die nächste Wachstumsphase eingeläutet. In der Spätphase beteiligen sich mitunter Private-Equity-Investoren an den Unternehmen, wenn sie von der Wachstumsgeschichte und den Renditeaussichten überzeugt sind. Die auf den Mittelstand fokussierte Beteiligungsgesellschaft Auctus Capital Partners ist im Rahmen eines Carve-outs mit Management Buy-out 2006 mit 92 Prozent bei dem Pharmaunternehmen PharmaZell eingestiegen. Damals erwirtschaftete das Raublinger Unternehmen, das pharmazeutische Wirkstoffe verschiedener Indikationsbereiche produziert, einen Umsatz von 20 Millionen Euro. „Um eine bessere Transparenz der Kennzahlen zu erhalten, haben wir bereits kurz nach unserem Einstieg ein vollintegrierte ERP-System eingeführt“, sagt Auctus-CEO Dr. Ingo Krocke. Als zweite große Komponente sei das Controlling hinzugekommen. „Zu guter Letzt haben wir die Finanzbuchhaltung in das Unternehmen zurückgeholt und das Risikomanagement institutionalisiert.“ Zudem wurde in den vergangenen fünf Jahren ein zweistelliger Millionenbetrag in den Werksausbau in Raublingen und in Indien investiert. Dank der Investitionen, aber auch gestützt von der organisatorischen Professionalisierung des Finanzbereichs konnte PharmaZell seinen Umsatz auf 60 Millionen Euro im Jahr 2010 steigern.

Schönes Liquiditätspolster

Bei solchen Wachstumsraten steigt naturgemäß auch das Working Capital stark an. Jean-Michel Richard, CFO und Vice President Finance des Halbleiterunternehmen Dialog Semiconductor, schwört auf Factoring, um das Wachstum zu realisieren. „Das ist gerade in Deutschland ein sehr gutes Instrument für das Risikomanagement und die Working-Capital-Finanzierung bei stark wachsenden Unternehmen.“ Das TecDAX-Unternehmen von der schwäbischen Alb ist heute schuldenfrei, finanziert sich vorwiegend aus dem Cashflow und verfügt über ein komfortables Liquiditätspolster von derzeit rund 70 Millionen US-Dollar. Seit 2007 realisierte es eine Wachstumsrate von 51 Prozent. „Wir haben in den vergangenen fünf Jahren bei Dialog drei Phasen durchlaufen: den Turnaround infolge der Insolvenz von BenQ Deutschland, anschließend die Wachstumsphase, und jetzt sind wir in der Akquisitionsphase“, sagt Richard, der 2006 von ON Semiconductor zu Dialog Semiconductor stieß. Mit der in bar bezahlten Übernahme des auf Halbleiter für die drahtlose Kommunikation spezialisierten niederländischen Unternehmens Sitel Semiconductor hat Dialog seinen Umsatz im Februar dieses Jahres auf einen Schlag um rund ein Drittel vergrößert. Das birgt für die Finanzabteilung eine eigene Herausforderung. CFO Richard wusste sich aber zu helfen: „Mit der Übernahme der acht Mitarbeiter der Sitel-Finanzabteilung sind wir nun rund 20 Leute im CFO-Bereich.“

Treasury-Themen verstehen 

Eine Treasury-Abteilung hat Dialog Semiconductor bewusst noch nicht. „Wir brauchen noch keine eigene Treasury-Abteilung mit Spezialisten, dafür sind wir im Moment noch zu klein“, sagt Finanzchef Richard. „Aber wir müssen die Treasury-Themen verstehen“, betont er. Richard war selbst im Treasury tätig und weiß um die Bedeutung von Cash- und Risikomanagement. Er verantwortet beides selbst, unterstützt von einem Mitarbeiter. In Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro ist ein Treasury heutzutage hingegen fast die Regel. Der Verband Deutscher Treasurer (VDT) hat zudem beobachtet, dass inzwischen vermehrt auch Unternehmen mit Jahresumsätzen zwischen 200 bis 500 Millionen Euro Treasury-Abteilungen einführen. „Ein Treasurer kann sich schon bei Unternehmen ab 100 Millionen Euro Umsatz rechnen“, findet VDT-Vorstand Prof. Dr. Heinrich Degenhart. Ab wann sich ein eigenes Treasury lohnt, hängt aber stark vom Einzelfall ab. Je höher die Kreditfinanzierung und je internationaler das Geschäft ist, desto eher rentiert sich ein Spezialist. 

Das Biotechunternehmen Qiagen hat sein Treasury vor knapp drei Jahren als globale Funktion in Deutschland zentralisiert. „Heute hat Qiagen über 50 Tochtergesellschaften in mehr als 30 Ländern“, sagt CFO Roland Sackers. „Um sie effizient steuern zu können, mussten wir die Verwaltung in unseren regionalen Headquarters zusammenziehen.“ Parallel dazu hat das TecDAX-Unternehmen regionale Shared-Service-Center aufgebaut, um bei der Integration der Zukäufe die Geschwindigkeit zu erhöhen: eins in Deutschland für Europa und eins in Washington für den amerikanischen Raum. Für die Region Asien/Pazifik hat Qiagen ein zweigeteiltes Center mit Sitz in Singapur und Shanghai.

Weltweit einheitliches IT-System 

Für das Wachstum ist die IT von enormer Bedeutung, da Prozesse transparenter und effizienter werden können. Wenn es gut läuft, bleiben auch noch  deutlich mehr Kapazitäten für die Analyse der Daten übrig. „Wir arbeiten derzeit an einer SAP-gestützten Automatisierung unseres Treasury-Managements“, sagt Sackers. Der Hintergrund: Basis für die Steuerung des Kennzahlendschungels ist bei Qiagen SAP. Bereits als kleines Unternehmen mit rund 50 Millionen US-Dollar Umsatz hat Qiagen das System implementiert. Das war „seinerzeit eine Herkulesaufgabe, hat aber eine wichtige Grundlage für unser nachfolgendes Wachstum gelegt“, ist Sackers überzeugt. Der CFO von Dialog Semiconductor, Jean-Michel Richard, bestätigt das: „Durch SAP bekommen wir einen idealen Überblick über die täglichen Umsätze.“ Das Halbleiterunternehmen hat SAP bereits vor fünf Jahren eingeführt. „Das ist ungewöhnlich, denn es ist ein sehr teures Tool und für ein kleines Unternehmen auch sehr komplex“, glaubt Richard. Aber es habe sich gelohnt. Denn das frisch akquirierte Unternehmen Sitel nutze ebenfalls ein SAP-ERP-System, was die Integration deutlich erleichtere. 

Unbestritten ist: Damit Unternehmen ohne große Schmerzen wachsen können, ist ein gutes Liquiditätsmanagement allemal sinnvoll – mit oder ohne eigene Treasury-Funktion. Wann ein Treasury vonnöten ist, kann nicht an Kennzahlen festgemacht werden, sondern hängt von der Finanzierung und der Internationalisierung des Unternehmens ab. Sofern es keine eigene Abteilung gibt, sollte es dennoch auch bei kleinen Unternehmen vorhanden sein – zumindest als „Philosophie“.

sabine.paulus(*)finance-magazin(.)de

Sabine Paulus ist seit 2008 Redakteurin beim Fachmagazin FINANCE und der Online-Publikation DerTreasurer. Ihre Themenschwerpunkte sind Personal, Organisation, Karriere und Finanzierung. Sie ist M.A. und hat an der Universität Konstanz unter anderem das Hauptfach Deutsche Literatur studiert.