Scope hat sich viel Ärger mit dem Rating der MS Deutschland eingehandelt. Nach drastischen Downgrades um viele Notches im Sommer 2013 haben Sie das Rating vor wenigen Monaten schließlich ganz zurückgezogen. Andere Ihrer Kunden wie zum Beispiel Karlie fühlen sich schlecht informiert. Wie stehen Sie dazu?
Florian Schoeller: Wir müssen zwischen dem Fall MS Deutschland und den durch die Weiterentwicklung der Bewertungsmethodik bedingten Ratingänderungen klar unterscheiden. Das Management der MS Deutschland hat die wirtschaftlichen Ziele drastisch verfehlt und die geplanten Investitionen in das Schiff nicht in vollem Umfang getätigt, was sich in der Herabstufung der Anleihe im September 2013 widerspiegelte. In den Folgemonaten wurden die für die Fortführung des Ratings notwendigen Informationen von Scope mehrfach angefordert, vom Emittenten jedoch nicht zur Verfügung gestellt. Der Rückzug des Ratings war die logische und unvermeidbare Konsequenz.
Davon unabhängig hat Scope im März dieses Jahres eine weiterentwickelte Bewertungsmethodik veröffentlicht, in deren Folge es zu zahlreichen Herabstufungen gekommen ist. Für die Einführung einer Methodikänderung gibt es seitens der Aufsichtsbehörde ESMA klare regulatorische Vorgaben und definierte Prozessschritte, und die haben wir strikt eingehalten. Emittenten und Börsen wurden über unser Vorgehen vorab auch informiert. Sollten sich Emittenten im Vorfeld dennoch nicht ausreichend informiert gefühlt haben, ist das nicht zufriedenstellend. Wir müssen unsere Kommunikation verbessern.
Warum haben Sie Ihre Methodik verändert?
Obwohl bislang keiner der von uns bewerteten Emittenten ausgefallen ist, beobachten wir Marktentwicklungen natürlich sehr genau. Insbesondere die hohe Anzahl von Investmentgrade-Emissionen, die bereits nach vergleichsweise kurzer Zeit ausfielen, hat das Investorenvertrauen in das Segment und die Ratings erschüttert. Auch wenn die betroffenen Ratings nicht von Scope erstellt wurden, war diese Entwicklung für uns ein klares Alarmsignal. Als wichtigste Ursache für diese Fehlentwicklung haben wir die zu starke Konzentration der Ratingagenturen auf historische Unternehmenskennzahlen identifiziert. Wir haben daher bereits im September 2013 reagiert und begonnen, einen wesentlich stärkeren Fokus auf zukunftsgerichtete Parameter zu legen. Für Ratingagenturen ist eine der zentralen Lehren aus der Finanzkrise, dass sie ihre Glaubwürdigkeit in kurzer Zeit verlieren, wenn sie ihre Bewertungsmethoden zu langsam an veränderte Realitäten anpassen.
Scope-Chef Schoeller: „Bewertungsmethoden an Realität anpassen“
Holen Sie jetzt das an Härte nach, was Sie bei den ersten Ratings versäumt haben?
Härte ist nicht der richtige Ausdruck. Wir stellen deutlich mehr Fragen und fordern belastbare Belege zur zukünftigen Entwicklung des Unternehmens. In der Vergangenheit haben einige Emittenten ihren Business Case für den Zeitpunkt der Anleiheemission „optimiert“. Nur Analyseverfahren, die künftige Entwicklungen stärker gewichten, können potentielle Risiken aufdecken. Deshalb haben wir das Gewicht zukunftsgerichteter Komponenten erhöht. Wir legen auch einen stärkeren Fokus auf Liquiditätsrisiken und auf Risiken, die sich aus dem Geschäftsmodell künftig ergeben können. Außerdem räumen wir der Mittelverwendung einen hohen Stellenwert ein und antizipieren die Effekte der Emission auf die künftige Bilanzstruktur.
Wie unterscheidet sich Ihre alte – und Ihre neue Ratingmethodik – von der Ihrer Wettbewerber?
Mit der Internationalisierung unserer Ratingaktivitäten wurden global agierende Investoren zu unserer Hauptzielgruppe. Wir erstellen neben Unternehmensanleihen europaweit auch Ratings für Banken und strukturierte Finanzierungen. Institutionelle Investoren erwarten hier Konsistenz von uns und somit vergleichbare Ratings über die Grenzen von einzelnen Asset-Klassen hinweg. Eine eigene Bewertungsskala, die nur für Mittelstandsanleihen Aussagekraft besitzt, können wir uns – im Gegensatz zu anderen Agenturen, die nur ein Ratingsegment abdecken – nicht erlauben.
Können Sie eigentlich eine neue Ratingmethodik einführen, ohne den Emittenten ein Mitsprache-/Einspruchsrecht zu geben? Entstehen da nicht Möglichkeiten für ein Sonderkündigungsrecht?
Ratingagenturen haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, ihre Bewertungsverfahren und Methodiken weiterzuentwickeln. Eine Methodik, die neue Marktentwicklungen und -erkenntnisse ignoriert, kann das Kreditrisiko von Emittenten und Anleihen nicht adäquat in Ratings abbilden. Für methodische Änderungen schreibt die ESMA den Ratingagenturen heute vor, Marktteilnehmern die Kommentierung zu ermöglichen. Bei uns hat insbesondere die Resonanz von institutionellen Investoren auf die erste Veröffentlichung im September wichtige Impulse für unsere neue Methodik gesetzt.
Woran liegt es, dass die ersten Ratings vieler Emittenten zu positiv ausgefallen sind?
Fakt ist: Viele Unternehmen waren nicht reif für eine Anleihe. Vor allem mangelnde Informationstransparenz von Emittentenseite stellt nach wie vor ein Grundsatzproblem dar. Auch das im Mittelstandsbereich gängige „Rating-Shopping“ ist problematisch. Insbesondere bonitätsschwache Emittenten lassen sich von mehreren Agenturen sogenannte indikative Ratings erstellen. Die Agentur mit dem höchsten Rating erhält dann den Auftrag. So erklärt sich zum Teil auch, warum nur jedes zweite im deutschen Mittelstandssegment durchgeführte Rating von Scope schließlich veröffentlicht wurde.
Wenn viele Unternehmen, wie Sie sicher zurecht sagen, nicht reif für eine Anleihe waren, warum haben Sie sie dann geratet?
Ratingagenturen vergeben kein separates Prüfsiegel, ob ein Emittent reif für den Kapitalmarkt ist oder nicht. Sie bewerten das Kreditrisiko von Emittenten und deren Anleihen. Die fehlende Kapitalmarktreife eines Emittenten stellt für Investoren in erster Linie ein hohes Risiko dar und kommt daher in einem niedrigen Rating zum Ausdruck. Sollten zum Emissionszeitpunkt wichtige Informationen für die Erteilung eines Ratings nicht vorhanden sein, erteilen wir auch kein Rating.
Info
Scope sieht sich als Nummer 2 unter den mittelständischen Ratingagenturen. Im Markt für Mittelstandsanleihen ist Scope mit 16 Ratings vertreten, darunter MS Deutschland, Karlie, Alno, Deutsche Forfait und Metalcorp.
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