Herr Halin, Sie behaupten, die „strategische Unternehmensplanung ist nicht mehr strategisch“. Das ist eine steile These.
Das glaube ich nicht, denn die Realität hat sich verändert. Früher haben CFOs und CEOs eine Strategie für einen Zeitraum von vier bis sechs Jahren entwickelt. Das geht jetzt nicht mehr. Heute treten ganz plötzlich Ereignisse auf, die einen ganz massiven Einfluss auf die Unternehmen haben. Die Lage in der Ukraine und der Konflikt mit Russland haben zum Beispiel viele Osteuropastrategien obsolet gemacht und für viele Finanzchefs damit auch die Investitions- und Cashflow-Planung. Deshalb müssen auch CFOs ihre Strategien dynamischer und kurzfristiger gestalten.
Heißt das, langfristige Strategien werden nicht mehr gebraucht?
Nein, die werden immer noch gebraucht. CEOs und CFOs müssen zusammen eine Idee entwickeln, wie die nächsten Jahre verlaufen werden und danach ein Konzept erstellen. Der Unterschied ist, dass sie besser und schneller in der Lage sein müssen, Strategien innerhalb von vier bis sechs Monaten wieder zu revidieren, wenn ein unerwartetes Ereignis eintritt.
Und wie sichern sich CFOs diese Möglichkeit, die eigenen Entscheidungen zu ändern?
CFOs müssen noch genauer auf die flexible Gestaltung von Vertragswerken achten, zum Beispiel durch Exitklauseln. Ob bei Bonds, Krediten oder der Währungsabsicherung, CFOs müssen bei ihren Finanzierungspartnern mehr Flexibilität einfordern – auch wenn das Geld kostet.
Warum sollten CFOs denn gerade jetzt höhere Kosten für flexiblere Vereinbarungen zahlen? Unerwartete Ereignisse gab es doch früher auch schon.
Das ist richtig, aber wir leben in einer Zeit der permanenten Beschleunigung. Vor allem Globalisierung und IT haben die Welt schneller gemacht. Früher aber haben sich Ereignisse im Voraus angekündigt und langsamer entwickelt. Jetzt treten die Ereignisse plötzlich auf und haben sofort einen ganz unmittelbaren massiven Effekt auf das eigene Unternehmen, auch auf ganze Branchen. Denken Sie an die Ukraine-Krise, den Anstieg des Dollars oder die Halbierung des Ölpreises, die sich innerhalb weniger Wochen abgespielt hat. Auf solche Entwicklungen müssen CFOs sich jetzt noch viel stärker vorbereiten.
Andreas Halin: „Großes Unbehagen bei CFOs“
Wie sieht eine gute Vorbereitung auf so ein Ereignis denn aus?
Wenn plötzlich etwas geschieht, dann bleibt dem CFO keine Zeit mehr, über die richtigen Schritte nachzudenken. Die ersten zehn Punkte auf der To-Do-Liste müssen also dann schon feststehen. Dafür sollten CFOs sich genau überlegen, welche möglichen – auch unwahrscheinlichen – Ereignisse eintreten können und diese dann für eine Szenarioanalyse an ein kleines Team weitergeben. In diesem Kreis müssen dann die geeigneten Maßnahmen aus Sicht der Finanzabteilung entwickelt und vorbereitet werden. So wie das Handbuch zur Abwehr einer feindlichen Übernahme bedarf es auch eines Handbuches zur Abwehr disruptiver Ereignisse.
Können Sie ein Beispiel nennen, was ein CFO jetzt zum Beispiel durchspielen sollte?
Ein mögliches Szenario – das fast niemand auf dem Schirm hat – ist ein Zusammenbruch des chinesischen Immobilienmarktes, der Folgen für China haben könnte, wie der Ölpreisverfall für Russland. Welche Auswirkungen hat das auf mein Unternehmen? Wie muss ich reagieren? CFOs müssen heute schon definieren, wie sie in diesem Fall vorgehen.
Wie weit sind CFOs Ihren Beobachtungen nach bei der Umsetzung solcher dynamischer Ansätze?
Es gibt ein großes Unbehagen unter den CFOs. Sie sind sich der Problematik bewusst, aber die meisten haben noch nicht die Ressourcen und Prozesse für die einzelnen Szenarioanalysen, um sich auf disruptive Ereignisse gut vorzubereiten. Abgesehen von den Prozessen, müssen CFOs aber auch intuitiv zwischen den Risiken unterscheiden, die akut werden könnten und denen, die man eher vernachlässigen kann, weil ihre Auswirkungen zu gering wären.
Bedeutet das auch, dass sich das Anforderungsprofil für Finanzpositionen verändert?
Ja, die Unternehmen suchen gezielt nach Kompetenzen, die sie bei sich selbst als Defizit wahrnehmen – und das ist derzeit häufig im Risikomanagement. In diesem Bereich werden von CFOs größere Kompetenzen erwartet. Außerdem muss ein Finanzchef stark genug sein, um Entscheidungen schnell treffen, kommunizieren und dann auch verantworten zu können. Wenn sich die Lage plötzlich ändert, bleibt oft keine Zeit, sich noch beim Aufsichtsrat abzusichern.
Info
Dr. Andreas Halin ist Gründer und Managing Partner bei Global Mind Executive Search Consultants. Der Personalberater ist auf Board-Level Positionen spezialisiert. Er war vor Gründung von Global Mind unter anderem bei Egon Zehnder und Spencer Stuart.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.